De-Dollarisierung: Wie nah ist der monetäre Machtwechsel?

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US-Dominanz über das globale Währungssystem wird seit Jahren kritisch diskutiert. Ist mit dem Ukraine-Krieg auch eine Geld-Zeitenwende eingetreten?

Schafft der Dollar sich ab? Die Nachricht von der wankenden Leit- beziehungsweise Reservewährung liest man besonders in alternativen Medien dieser Tage reihenweise. Ihre These untermauern einige Autoren mit einer Analyse aus dem Hause des italienischen Vermögensverwalters Eurizon SLJ Asset Management.

Jener im April veröffentlichten Analyse zufolge werden nur mehr 47 Prozent der weltweiten Währungsreserven in Dollar gehalten. Das entspräche einem herben Verlust von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. 2001 waren noch gut zwei Drittel aller Reserven in US-Dollar denominiert.

Nun spukt der Geist der sogenannten De-Dollarisierung schon seit Jahrzehnten durch die globalisierungs- und imperialismuskritischen Foren. Warum sollte also diesmal etwas dran sein? Nun, tatsächlich sind die Zeichen der Zeit diesmal recht eindeutig zu lesen.

Das "exorbitante Privileg"

Über die außergewöhnliche Rolle, die den Vereinigten Staaten als Emittent der weltweiten Reservewährung zukommt, hat Telepolis bereits mehrfach berichtet. Ebenso darüber, wie die USA dieses "exorbitante Privileg" (Valéry Giscard d'Estaing) für ihre Zwecke zu instrumentalisieren verstehen, was nicht selten im Kontext des Vorwurfs ökonomischer Kriegsführung Erwähnung findet.

Manche Autoren schreiben einer Ent-Dollarisierung im Falle einer Niederlage der Ukraine gar die Macht zu, das gesamte Bündnis der Nato zu destabilisieren. Andere wiederum halten den Fokus auf die Dollar-Hegemonie hingegen für einen Denkfehler besonders der imperialismuskritischen Linken, weil diese makroökonomische Prozesse unter- und währungspolitische Prozesse überschätzten.

Dass die viel beschriebene und gescholtene Dollar-Hegemonie allerdings einen wesentlichen Faktor des Weltgeschehens darstellt, lässt sich schwer bestreiten. Mindestens, seit auch US-Finanzministerin Janet Yellen kürzlich im US-Sender CNN vor dem Ende der monetären Vorherrschaft gewarnt hat. Wie kurz zuvor auch die europäische Währungshüterin Christine Lagarde und ein ungewöhnlicher Dritter im Bunde: Donald Trump.

Während Lagarde nur andeutete, dass der Konflikt zwischen China und den USA der Hegemonie-Gefährdung zugrunde liege, polterte Trump gleich los, das Reich der Mitte plane, den Dollar mit dem Renminbi (Yuan) zu ersetzen – und suggerierte, das sei unter seiner Ägide undenkbar gewesen. Tatsächlich müssen die Vereinigten Staaten eher die Schuld bei sich selbst suchen. Das sagen zumindest deren Kritiker.

Ökonomische oder doch geopolitische Gründe?

Vor etwas mehr als einer Woche hat Fed-Chef Jerome Powell bei einem Telefonstreich des russischen Komiker-Duos Wladimir Kutznetsow und Alexei Stoljarow verlauten lassen, dass es eine Rezession brauche, um die Inflation abzumildern.

Parallel dazu fürchten US-amerikanische Sparer um ihre Einlagen, seit die JP Morgan die (nächste) gestrauchelte Bank geschluckt hat – und nun womöglich als "too big to fail" gilt. All das trägt nicht gerade dazu bei, das ohnehin angeschlagene Vertrauen in die Weltwirtschaft zu festigen.

Für den britischen Ökonomen Adam Tooze ist das allerdings nicht der Grund für den Regress der Reservewährung. Auch die geopolitischen Verwerfungen, die Trumps Einwurf aufscheinen lassen, hält er bemerkenswerterweise für vernachlässigbar. Stattdessen liege der Entwicklung eine Veränderung des Wirtschaftsmodells der USA zugrunde, schreibt er auf seinem Substack-Blog.

Die Vereinigten Staaten hätten sich vom Öl- und Gas-Netto-Importeur zum Netto-Exporteur gewandelt. Tatsächlich exportieren die USA derzeit Rekordmengen und erschließen darüber hinaus auch noch neue Ölfelder.

Während sich hohe Energiepreise vormals negativ auf die Leitwährung ausgewirkt hätten, trieben sie den Wert des Dollars heute nach oben, so Tooze. Und das zum Stagflation-geprägten Nachteil von Export- und Entwicklungsländern, die folglich zu lukrativeren Geschäftspartnern abwanderten. Soweit zumindest eine hier sehr verkürzte Darstellung.

Mit dem Kunstgriff, die geopolitischen Spannungen aus der Gleichung herauszulassen, tritt Tooze in krassen Widerspruch zu anderen Kommentatoren. So schreibt Thomas Fazi im britischen Nachrichtenportal UnHerd:

Der Prozess der De-Dollarisierung ist in erster Linie geopolitisch, [und]nicht ökonomisch.

Thomas Fazi

Zeitenwende Ukraine-Krieg

Der Ukraine-Krieg stelle vielmehr eine historische Zäsur dar, argumentiert Fazi. Die Position vertritt nicht nur der kanadische Milliardär und erklärte Philanthrop Frank Giustra im Magazin Responsible Statecraft, sondern Finanzexperten, die die US-Wirtschaftszeitung Financial Times im Kontext einer Umfrage unter Zentralbankern zitiert. Die Zäsur betrifft nicht den völkerrechtswidrigen Krieg in Europa ohne UN-Mandat. Ein solcher hat sich bekanntlich bereits 1999 ereignet.

Vielmehr geht es darum, dass der von den USA angeführte Westen im Jahr des Kriegsausbruchs auf beispiellose Weise seine Verfügungsgewalt über das globale Finanzsystem demonstriert habe.

Zum einen mit dem Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem Swift, zum anderen mit dem Einfrieren von insgesamt 300 Milliarden Dollar russischem Staatsvermögen.

Die Russische Föderation hatte bereits vor Ausbruch des Krieges 2021 ihre Dollarbestände schrittweise reduziert und dabei "geopolitische Tendenzen" als Grund angeführt.

Gemeint waren unter anderem die Sanktionen infolge der Krim-Annexion 2014. Dem folgte im März 2022 Putins Rubel-Dekret für Gaslieferungen. "Die Botschaft war eindeutig", heißt es auf UnHerd:

Von nun an würden die USA vor nichts zurückschrecken, um Länder zu bestrafen, die aus der Reihe tanzen oder sich dem westlichen Diktat widersetzen. Und wenn dies Russland passieren konnte, einer Großmacht, deren Zentralbankreserven größtenteils aus Verkäufen an den Westen stammten, dann kann es jedem passieren.

Thomas Fazi

Das Beispiel sollte Schule machen. Und befeuerte neben der Abkehr vom Dollar mutmaßlich auch die Zuwendung zum Edelmetall und die Kooperation (potenzieller) "enemy states". Die FT zitiert den Chefstrategen des World Gold Council John Reade:

Die Länder haben erkannt, dass das von Russland gehaltene Gold, da es sich der Kontrolle anderer entzieht, in Situationen nützlich ist, in denen man möglicherweise keinen Zugang zu anderen Reserven hat.

John Reade, Financial Times

Thronfolger China?

Die Mehrheit der 83 befragten Zentralbanken, so die FT, rechne damit, dass der Renminbi künftig an Einfluss gewinne. In Russland hat der Renminbi den Dollar als meist gehandelte Währung bereits ersetzt.

Die chinesische Zeitung Global Times brüstet sich indessen bereits damit, dass zwei Drittel der bilateralen Transaktionen in Rubel oder Renminbi abgeschlossen werden. Hat Trump doch recht und China plant, den Dollar vom Thron zu stoßen?

Die Chancen dafür stehen gut. Nicht zuletzt, weil die Gruppe der Staaten mit Dollar- beziehungsweise Hegemonie-Aversion rasant wächst: Neben den BRICS-Staaten zählen dazu etwa Indien, Saudi-Arabien, Argentinien, Venezuela, Pakistan oder die Emirate.

Dort werden entweder schon Handelsabschlüsse in Renminbi besiegelt (Brasilien, Emirate, Saudi Arabien) oder stehen unmittelbar bevor.

Selbst der französische Präsident Macron sprach sich bei seinem viel gerügten Besuch in Peking für die Unabhängigkeit von der "Extraterritorialität des Dollars" aus.

Beobachter wie der ehemalige Fed- und US-Finanzministeriums-Mitarbeiter Zoltan Poszar sprechen bereits von einer neuen monetären Weltordnung, einem "Bretton Woods III" unter Führung der asiatischen Großmacht. Dabei vertauschen sich gegenüber der von Telepolis beleuchteten US-Vision schlichtweg die Vorzeichen.

So stellt China nicht nur das "Swift-Äquivalent" CIPS (Telepolis berichtete), sondern plant auch, den Handel an der Shanghai Petroleum Natural Gas Exchange per digitaler Zentralbankwährung (CBDC) abzuschließen. Die Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) unterstützt jenes Projekt mit dem Namen "mBridge" nach Kräften.

Der russische Präsident Wladimir Putin brachte beim Treffen der BRICS-Staaten im vergangenen Jahr erneut das Projekt einer eigenen BRICS-Währung ins Spiel, die den Dollar als Reservewährung ablösen solle. Sollte sie zustande kommen, stehen die Chancen für eine "de-dollarization" gut.

Das hat der ehemalige Wirtschaftsberater der Trump-Administration, Joseph W. Sullivan, kürzlich im US-Polit-Magazin Foreign Policy am Beispiel der fiktiven und goldgedeckten Währung "bric" ausgeführt:

Würden die BRICS-Staaten für den internationalen Handel nur den Bric verwenden, […] hätte [etwa]Russland keine Notwendigkeit, die Erlöse aus dem bilateralen Handel in Dollar zu parken. Schließlich würde Russland den Rest seiner Importe mit Brics und nicht mit Dollar kaufen.[…] [Die] Mitglieder wären wahrscheinlich in der Lage, eine breitere Palette von Gütern zu produzieren als jede bestehende Währungsunion. […]

Aber die BRICS müssten nicht einmal nur untereinander Handel treiben. Da jedes Mitglied der BRICS-Gruppe in seiner eigenen Region ein wirtschaftliches Schwergewicht ist, wären Länder auf der ganzen Welt wahrscheinlich bereit, in der BRICS-Gruppe Geschäfte zu machen.

Joseph W. Sullivan, Foreign Policy

Eine vollständige Verdrängung des Dollars aus dem Welthandel sehen selbst Befürworter einer De-Dollarisierung in naher Zukunft nicht eintreten. Vielmehr rechnen sie – wie auch Sullivan – mit einer Koexistenz, ganz im Sinne der von Russland und China propagierten multipolaren Weltordnung:

Der Bric würde dem Dollar nicht so sehr die Krone vom Kopf reißen, sondern vielmehr das Gebiet, in dem er sich befindet, verkleinern. Selbst wenn die BRICS den Dollar abschaffen würden, würde ein Großteil der Welt immer noch den Dollar verwenden, und die globale Währungsordnung würde eher multipolar als unipolar werden.

Joseph W. Sullivan, Foreign Policy