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De-Globalisierung: Verbraucher verlangen heimische Produkte

Bild: Pixabay

Ende der Globalisierung? Eine Verbraucherstudie stellt eine globalisierungskritische Haltung neuer Art fest. Klimapolitik ist die Ausnahme. China zeigt, dass einfache westliche Formeln nicht aufgehen.

Anfang September, pünktlich zur Internationalen Funkausstellung (IFA) [1], hat die Veranstalterin, die gfu-Consumer & Home Electronics GmbH [2], eine Studie veröffentlicht [3], nach der Hersteller von Elektro-Hausgeräten und Consumer Electronics sich in "Deutschland und weltweit einer verstärkt globalisierungskritischen Haltung der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenübersehen".

Die Verbraucher achten demnach häufiger darauf, wo Unternehmen ihren Sitz haben: "Sie legen mehr Wert auf lokale Produktion. Zudem rücken Klimaschutz und faire Arbeitsbedingungen in den Fokus." Die Studie ist englischsprachig überschrieben mit "The Way Back Home". Ihre Kernbotschaft lautet: Unternehmen mit lokaler Verwurzelung und einer nachhaltigen Lieferkette haben Vorteile im Wettbewerb.

61 Prozent der Deutschen sind demnach überzeugt, dass die Globalisierung mehr Nach- als Vorteile bringe. Für den ehemaligen Exportweltmeister ist das ein beachtlicher Meinungswandel. Da passt es auch gut, dass Deutschland inzwischen ein Handelsbilanzdefizit aufweist, das international in der Hauptsache den Energieimporten aus den USA geschuldet ist.

Qualitätsverbesserung bei den chinesischen Produzenten

Beim Handel mit China haben sich die Importe in den Jahren von 2011 auf 2021 wertmäßig von 79,5 auf 141,7 Milliarden US-Dollar fast verdoppelt, während die Lieferungen in die Gegenrichtung nur von 64,8 auf 103,6 Milliarden US-Dollar gesteigert wurden. Die drastische Qualitätsverbesserung bei den chinesischen Produzenten hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass immer hochwertigere Produkte und vor allem Komponenten aus China importiert werden.

Hatten die chinesischen Auftragsfertiger ursprünglich nur Interesse an großen Stückzahlen, sind die Mengenvorstellungen inzwischen deutlich gesunken. Daraus resultierte eine größere Flexibilität auf der Anbieterseite, zugleich wurde die Ambitionen, möglichst alles über Roboter zu leisten, in die Zukunft verschoben hat.

Die kontinuierliche Steigerung der chinesischen Löhne und die Absenkung der produktbezogenen Stückzahlen hat dazu geführt, dass der Kostenvorteil einer Fertigung in China nicht mehr mit den Löhnen begründet werden kann. Der Vorteil besteht heute im Wesentlichen darin, dass ein chinesischer Produzent seine Lieferketten im eigenen Land hat.

Neue Produkte können zudem im eigenen Land oder in den umliegenden Tigerstaaten auf den Markt gebracht werden, bevor sie unter einer internationalen Marke auf den Weltmarkt geworfen werden. Diese regionalen Testläufe in technikverliebten Märkten sind ein unschätzbarer Vorteil bei der Innovation, gerade im Bereich der Unterhaltungselektronik.

Zudem leben chinesische Produkte beispielsweise in Südostasien von dem Ruf, dass ihre Qualität bei Preisgleichheit besser sein muss als solche aus den alten Industriestaaten.

Während Verbraucher jetzt mehr lokale Produktion fordern und sich von der Globalisierung abwenden wollen, sieht man beim Klimaschutz und in Fragen der Nachhaltigkeit vornehmlich ein globales Gemeinschaftsprojekt und keine Aufgabe der Einzelstaaten.

Was dabei meist übersehen wird, ist die Tatsache, dass die Volksrepublik China in einzelnen Provinzen in Fragen des Umweltschutzes vorprescht und dies mit dem Sozialkreditsystem (SCS) absichert. Das SCS baut auf der chinesischen Tradition auf, die Delinquenten öffentlich zu machen, währenddessen Verstöße in der westlichen Sphäre vornehmlich unter der Decke gehalten werden.

Wie lange hat der Aufbau der globalisierten Wirtschaft gedauert?

Der Aufstieg Chinas vom armen Agrarstaat über die verlängerte Werkbank der westlichen Hersteller hin zum aktuellen Innovationstreiber hat gut vier Jahrzehnte gedauert und wurde von den hiesigen Verbrauchern kaum wahrgenommen, weil die Produkte häufig hierzulande eingeführte Marken nutzen – erst über Sourcing der deutschen Hersteller in Fernost und später mithilfe der Übernahme eingeführter Marken.

So hat der chinesische Hersteller Haier inzwischen den größten Erfolg, seit er in Asien die Marke Sanyo, in den USA die Marke GE (General Electric) und in Europa die Marken Candy und Hoover und ihre jeweils vorhandene Fertigungs- und Vertriebsstruktur übernommen hat, wo sich die Mitarbeiter mit den lokalen Strukturen und Vorschriften auskennen.

Haier konzentriert sich auf die innovationsgetriebene Produktentwicklung in kleinen, höchst innovativen, start-up-ähnlichen Einheiten und die Produktion an dem Standort, der die jeweiligen Märkte am besten bedienen kann.

Die Situation bei Smartphones

Bei den in der Gfu-Studie erwähnten Smartphones, bei denen der Weltmarkt von wenigen Ausnahmen abgesehen heute vollständig von chinesischen Auftragsfertigern und zunehmend auch von chinesischen Marken beherrscht wird, ist eine Rückholung der Fertigung heutzutage nur möglich, wenn sie nicht nur politisch gewünscht, sondern auch von der Politik als auch von den Bürgern bezahlt wird.

Selbst Hersteller wie Gigaset in Bocholt, die heute mehrheitlich dem chinesischen Investor Pan Sutong [4] gehört, beziehen ihre Smartphone-Hardware-Komponenten aus China und die Software aus den USA. Eine umfassende Teilebevorratung in Deutschland hat bislang dafür gesorgt, dass sich Lieferunterbrechungen durch die chinesischen Corona-Lockdowns auf das Unternehmen nicht merkbar ausgewirkt haben.

Selbst der koreanische Samsung-Konzern greift bei der Smartphone-Fertigung für den Weltmarkt auf chinesische Fertigungsstätten zurück. Die urfranzösische Marke Alcatel [5] gehört heute zur chinesischen TCL Communication. Und Nokia Smartphones kommen heute von vergleichsweise kleinen chinesischen Hersteller HMD Global.

Die japanische Ikone Sharp ist heute Teil des taiwanesischen Herstellers Foxconn/Hon Hai, der auf dem chinesischen Festland über eine Million Mitarbeiter beschäftigt und auch Hauptfertiger für Apple ist. Selbst wenn Apple jetzt beginnen will, seine Fertigung andere Länder zu verlagern, bleibt die Abhängigkeit von den Lohnfertigern mit chinesischer Basis. Der Vorsprung der chinesischen Spezialisten in der Fertigungslogistik scheint uneinholbar.

Kann Europa die in 40 Jahren gewachsenen Lieferketten kurzfristig sprengen?

Während die Verbraucher hierzulande die Lieferketten zunehmend als Folterinstrument betrachten, von welchem man sich befreien sollte, nimmt man diese Forderungen aufseiten der Industrie mit zumindest gemischten Gefühlen wahr.

So stellt der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI [6]) auf Nachfrage von Telepolis hinsichtlich der Unterhaltungselektronik fest:

Der globale Markt für Unterhaltungselektronik kam 2021 auf 246,6 Milliarden Euro. Davon entfielen 74,6 Milliarden Euro (also 30 Prozent) auf den chinesischen und 9,7 Milliarden Euro (bzw. vier Prozent) auf den deutschen Markt. China ist dabei für die deutschen Importe weiterhin sehr wichtig. Die deutschen Importe an Gütern der Unterhaltungselektronik aus China kamen 2021 auf 5,4 Milliarden Euro.

Das heißt: chinesische Importe tragen einen Großteil zum deutschen Markt bei, werden zum Teil aber auch weiter exportiert. Auch bei den deutschen Investitionen ist China Spitzenreiter. Bis Ende 2020 hat die deutsche Elektro- und Digitalindustrie in etwa 7,4 Milliarden Euro Direktinvestitionen in China getätigt, was 15,6 Prozent der globalen Investitionen (46,8 Mrd. Euro) entspricht. China ist damit – vor den USA – größter Investitionsstandort im Ausland.

ZVEI

Im aktuellen ZVEI-Außenhandelsreport "Spezial": China [7] stellt der ZVEI die Bedeutung des chinesischen Marktes für die deutsche Industrie dar, der noch vor den USA und Frankreich liegt. Eine Entkopplung der globalen Märkte scheint derzeit in der Industrie nur schwer denkbar zu sein.

Man versucht auf Seiten der deutschen Investoren in China derzeit vorwiegend die Investitionen im Reich der Mitte abzusichern, indem man sie aus der Abhängigkeit von Zulieferungen aus der EU und den USA löst. Das scheint aufgrund der Größe des chinesischen Marktes und seinem noch immer großen Wachstumspotentials wichtiger zu sein, als der europäische Markt, der wieder kleinteiliger und aufwendiger in der Bearbeitung wird.

Da ist es auch nützlich, dass China in den letzten Jahren seinen Binnenmarkt entwickelt hat und nur noch zu 20 Prozent von Exporten abhängt. In jedem Fall ist China auf ein Ende der Handelsbeziehungen mit Europa und den USA besser vorbereitet als Russland, das unter den westlichen Sanktionen ächzt.

Weitere Sanktionen gegen China werden für den Westen einschneidendere Folgen haben, weil es China gewohnt ist, mit Gegensanktionen und/oder zeitweiligen und/oder dauernden Lieferunterbrechungen das westliche System ins Schleudern zu bringen, ohne sich dabei über die Maßen selbst zu schaden.

Das Thema zeitweilige Lieferverknappung und Marktkonfusionen bei seltenen Erden scheint hierzulande schon in Vergessenheit geraten zu sein.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7259808

Links in diesem Artikel:
[1] https://gfu.de/ifa-berlin/ifa-berlin-2022/
[2] https://gfu.de/ueber-uns/gesellschafter/
[3] https://gfu.de/verbraucher-verlangen-umdenken-bei-der-globalisierung/
[4] https://blog.gigaset.com/winfuture-meldung/
[5] https://www.alcatelmobile.com/de/
[6] https://www.zvei.org/
[7] https://www.zvei.org/konjunktur-maerkte/aktuelles?showPage=3209795&cHash=d3a7450f7cae737d9bc1670261743c3d