Dear ICANN, dear Esther

Bald Entscheidung über neue allgemeine Domainnamen (gTLDs)

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Die Bewerber für die neuen Top Level Domains stehen in den Startlöchern. 24 "Letters of Interest" postete die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) seit Sonntag auf ihrer Webseite. Noch hätten sich relativ wenig Interessenten gemeldet, befanden die Domainverwalter. Aber der eigentliche Run soll auch, laut ICANNs vorläufigem Zeitplan, erst am 1. August starten. Bis Anfang Dezember möchte man dann möglichst schon die Verträge mit den Glücklichen machen, die in der ersten Runde den Zuschlag bekommen. Von ICANN allein für eine Bewerbung veranschlagte Kosten: 7.500 bis 50.000 US-Dollar, ohne Garantie auf einen Zuschlag.

Es herrscht so etwas wie eine verkaterte Goldgräberstimmung: Seit über zehn Jahren gab es keine neuen TLDs mehr, und auch nach der Inthronisierung von ICANN hat es fast zwei Jahre gedauerte, bis dieses Essential der Neuordnung des DNS angegangen wurde. Mit aller Vorsicht will man sich nun in das weite Feld vortasten, daher bekommen erst einmal nur zwischen fünf und zehn Anbietern eine Chance. Immerhin, so ICANN: "Das ist ein schwer umkehrbarer Prozess." Sorgen um die technische Stabilität - und - vielleicht noch mehr - die Angst vor markenrechtlichen Messerstechereien - haben den Names Council im April schließlich zu dem Kompromissvorschlag bewogen, mit einer kleinen Zahl von neuen TLDs einzusteigen. Allerdings steht ICANN dadurch im Herbst vor der schwierigen Entscheidung, wer seine TLD-Pläne realisieren darf und wer nicht.

"Liebe ICANN", schreibt GNU-Chef Richard Stallmann, "hiermit melde ich mein Interesse an der Schaffung einer Top Level Domain .gnu an." Eine solche Domain sollte für Individuen und Software-Entwickler zur Verfügung stehen, die sich für die Open Software Bewegung engagieren wollen. Gleich mehrfach wird eine Domain für Kinder, .kid, gefordert, die spezielle Angebote für Kinder bereitstellen soll. Für das durch die Diskussionen geisternde Gegenstück einer .sex-Domain fand sich dagegen zumindest bisher noch kein Bewerber.

Die Bewerberliste vereint alte Hasen im Domaingeschäft und unbekannte Newcomer. Richard Sexton (Vrx NetworkServices Inc.) möchte seine acht alternativen Top Level Domains von .faq über .DDS für Zahnärzte bis .GALLERY, die seit 1996/97 über private Rootserver erreichbar sind, nun natürlich gern auch ins DNS bringen. Der Wiener Rüdiger F. Schultz dagegen hat noch einiges vor sich, bevor seine Wunsch-Top level Domain .fam für Familien live gehen kann: ".Fam Top Level Domain ist eine Firma, deren Zweck in erster Linie in der Förderung und dem Betrieb der neuen gTLD ist. Wir formulieren gerade unsere Geschäfts-, Marketing- und Finanzpläne."

Spannend wird es, wenn sich die alten Kämpfer mit den Newcomern herumstreiten müssen. Auf .web spekulieren beispielsweise ein Anbieter aus Singapur und einer aus Kalifornien, aber Image Online Chef Christopher Ambler pocht auf "ältere" Rechte: "Image Online Design möchte ICANN daran erinnern, dass es sich seit dem Beginn des Prozesses 1995 engagiert und 1996 nach Instruktionen der IANA Tests begonnen hat, um sein Konzept zu verifizieren." Image Online Design hat - wie auch Bewerber "dotster" - zur Sicherheit in Yokohama schon mal Kaffee in den Sitzungspausen gesponsert.

Ganz im Sinn der geplanten Erweiterung des DNS-Angebotes ist es, dass bereits die unterschiedlichsten Typen von TLDs auf der Liste versammelt sind. Offene kommerzielle TLDs wie .biz stehen neben nicht-kommerziellen mit ganz spezifischen Zielen wie isnotfair, .isnotgreen oder .union, die Verbraucherschützer Jamie Love "der lieben Esther" ans Herz legt. Eine eigene regionale Domain beantragen auch die "indigenen Völker Amerikas". Deren regionale Domain .naa könnte eine Art Vorbild für .eur sein, falls die Europäische Kommission den Plan für die Eintragung einer ccTLD aufgibt.

Ein extremes Beispiel für eine streng satzungsgebundene ("chartered") TLD ist etwa .geo. Das SRI (Stanford Research Institute) will in dieser TLD unter Längen- und Breitengraden geographische Informationen verschiedenster Anbieter zusammenführen. "Zum Beispiel", so der Vorschlag, "stellen wir uns den Server mit dem DNS-Namen 10e20n.geo vor. Als Second-level-Server repräsentiert er eine 10 auf 10 Grad große Zelle der Welt. (..) Und ähnlich steht der Server 1e5n.10e20n.geo für ein auf ein Grad großes Feld." Firmen oder Regierungen können sich also ein Fleckchen Erde registrieren, allerdings müssen sie allen Anbietern von geographischer Daten für diesen Ort Zugang gewähren. Noch punktgenauer wird es nur bei den Telefonnummern unter .tel.

In Yokohama muss das ICANN-Board am Sonntag über die Prinzipien entschieden, nach denen die erste Auswahl getroffen wird, und welche Mitspracherechte sie hinsichtlich der Charters und der jeweiligen Policy hat. Davor dürfte drei Tage lang kräftig diskutiert werden: 74 detaillierte Fragen hat ICANNs Büro der Community im Juni als Hausaufgabe gegeben, über 1.300 Antworten kamen zurück, von den Diskussionsbeiträgen innerhalb der DNSO-Arbeitsgruppen ganz abgesehen: "Mit freundlichen Grüssen an ICANN!"