Debatte um "Friedensmanifest": "Intention des Aufrufs findet meine volle Unterstützung"

Politologe Varwick. Bild: Rald John, CC BY-SA 4.0

Telepolis dokumentiert: Politologe Varwick will mit Initiative und Kundgebung nichts mehr zu tun haben. Er verteidigt aber die Ziele. Was hat ihn zu diesem Schritt bewogen?

Ich bin gemeinsam mit 69 Personen Erstunterzeichner des "Manifestes für Frieden" vom 10.2.2023. Dessen Stoßrichtung trage ich voll mit, insbesondere die Kernaussage, dass mit der einseitigen Strategie von immer mehr Waffenlieferungen keine Stabilisierung der Lage erreicht, sondern vielmehr mit Verhandlungen Kompromisse ausgelotet werden mussten.

Ich habe mitgemacht. weil ich der Überzeugung bin, es müsse auch öffentlich Druck gemacht werden, damit Verhandlungen nicht per se diskreditiert werden. Ich meine, der Text ist insgesamt ausgewogen (und wäre so oder so zerrissen worden!).

Er verurteilt Russland deutlich, setzt zugleich auf Verhandlungen und nicht auf Waffenlieferungen. Ich hatte diese Initiative in einem zunehmend von einseitigem Bellizismus geprägten Diskursklima grundsätzlich für richtig und wichtig.

Gleichwohl ziehe hiermit meine Unterschritt an dem Manifest zurück und werde mich auch nicht an der damit zusammenhängenden Demonstration am 25.2.2023 in Berlin beteiligen.

Meine Begründung lautet:

1. In der öffentlichen Diskussion über das Manifest wird nicht mehr zwischen Erstunterzeichnern und Unterstützern unterschieden. Die 69 bewusst
 ausgewählten Erstunterzeichner sind m.E. mehrheitlich (von Ausnahmen wie Herr Todenhöfer abgesehen) integre Persönlichkeiten aus unterschiedlichen politischen Lagern. Ich selbst stehe politisch in der Mitte und bin für eine neue 
Strategie bei der Suche nach Lösungen im Krieg gegen die Ukraine.

2. Bei den inzwischen rund 500.000 Unterzeichnern sind jedoch zunehmend
 Personen dabei, mit denen ich nicht gemeinsam genannt werden mochte. Ich habe eigentlich keine Angst vor "Beifall von der falschen Seite" (dazu hat Hans-Magnus Enzensbergers schon 1962 das Notwendige gesagt): "Wer ständig im feindlichen Feld nach Anzeichen des Beifalls Ausschau hält, macht seine Feinde zu Schiedsrichtern des eigenen Redens." Aber das setzt voraus, dass eine klare Distanzierung von denjenigen Unterstützern erfolgt, die man für nicht
 akzeptabel hält.

3. Das ist mitunter eine schwierige Gratwanderung, aber zu sagen, jeder, der reinen Herzens für Frieden demonstrieren möchte, sei willkommen (so Frau Schwarzer und Frau Wagenknecht im Spiegel-Interview) greift zu kurz. Um es deutlich zu sagen: Ich will und werde mich mit Extremisten in keiner Form und bei keiner Sache gemein machen. Die Gefahr, dass der Protest von Extremisten und Populisten instrumentalisiert wird, ist real und dieser Gefahr müsste
 deutlicher widersprochen werden. Wer dies nicht tut, schadet auch der Sache
 des Manifestes.

4. Das Video zur Vorstellung des Manifestes durch die beiden Initiatorinnen erscheint mir zudem mehr als unglücklich. Es spricht nichts gegen eine "lockere Art" auch bei ernsten Themen. Die Art der Präsentation war aber für mich unangemessen und kann bei den Opfern des Krieges zurecht als Provokation empfunden werden.

5. Auch das Zustandekommen des Aufrufs scheint im Nachhinein unglücklich.
Ich selbst war am 3.2.2023 von Frau Schwarzer mit dem Zusatz angefragt worden, sie wolle etwa zwei Dutzend Gleichgesinnte als Erstunterzeichner gewinnen. Der Text schien mir zwar nicht in allen Punkten richtig justiert, aber bei einem solchen Text geht es immer um eine Konsensfassung, bei der nicht jeder die eigene Handschrift durchsetzen kann.

Aus diesem Grund bin ich auch eigentlich kein Freund von solchen Aufrufen und hatte bisher auch nur einen (in der Zeit) unterzeichnet, an dem ich inhaltlich mitgestaltet habe und der bewusst nicht als Petition angelegt war, die von anderen unterzeichnet werden konnte.

Am 9.2.2023 kam dann der Hinweis von Frau Schwarzer, dass nun auch Frau Wagenknecht als Initiatorin dabei sei, und am Tag danach solle der Aufruf veröffentlicht werden. Ich habe mich kurz (und vermutlich nicht intensiv genug) gefragt, ob ich meine Unterschrift zurückziehen solle, habe mich dann aber dagegen entschieden. Das Verfahren war aber befremdlich.

Zusammengefasst: Die Intention des Aufrufs findet nach wie vor meine volle Unterstützung. Ich werde weiter bei jeder Gelegenheit Position beziehen und für meine Argumente streiten. Ich halte es aber inzwischen für einen Fehler, dieses Manifest unterstützt haben und will mich hiermit korrigieren.

Berlin, 17.2.2023

Diese Erklärung des Politologen Johannes Varwick erschien auf seiner Twitter-Seite.