Deglobalisierung

Begeisterte Befürworter der Globalisierung erlebten schon einmal bessere Zeiten

In einer Einschätzung der Commerzbank heißt es alarmistisch: "Der Welthandel zerfällt in regionale Blöcke."1 Protektionismus ist weit verbreitet. Nicht nur die bekannten Instrumente (z. B. Zölle) finden Anwendung. Die Denkfabrik Eurasien-Group spricht von einem "kalten Technologiekrieg". Die USA blockieren den Zugang von Huawaei zum US-Markt und "reglementieren den Verkauf von High-Tech-Gütern ans Ausland. So brauchen Unternehmen wie Microsoft inzwischen staatliche Lizenzen, um Software an China zu verkaufen. 'Technologische Vorherrschaft', so US-Vizepräsident Mike Pence, ist eine Bedingung unserer nationalen Sicherheit."2

Gegenwärtig ist von Globalisierungs-Euphorie wenig zu spüren. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm erklärte in einem Interview mit dem Handelsblatt auf die Frage, wie die Covid-Seuche, die anders als SARS nicht regional begrenzt ist, sich auswirkt; "Es wird nicht so bleiben wie bisher, weil wir nicht mehr so stark auf internationale Lieferketten vertrauen werden."3 Dies verstärkt einen Prozess, der unabhängig von der Covid-Krise bereits im Gang war.

In der Zeitung Die Welt heißt die Überschrift eines Artikels: "Zeitenwende: Die De-Globalisierung hat längst begonnen." Für die "rückläufige Globalisierung" werden folgende Anzeichen genannt: Der globale Handel wächst seit 2008 langsamer als die Produktion. Und: "Seit 2011 ist die Fragmentierung der Produktion auf globaler Ebene rückläufig. Sie war nach dem Einbruch in 2008 nur marginal wieder angestiegen, um seitdem kontinuierlich zu sinken."4

Steffen Kinkel ist Wirtschaftsinformatiker an der Hochschule Karlsruhe. "Alle zwei bis drei Jahre fragt (er) […] mehr als 1400 deutsche Industrieunternehmen, ob sie Arbeit ins Ausland verlagert haben. Und ob sie Arbeit zurückgeholt haben. […] 1997 verlegten (Kinkels Umfrage zufolge - Verf.) z. B. 27 Prozent der Metall- und Elektronikhersteller Teile ihrer Produktion ins Ausland. 2003 waren es 25 Prozent. […] 2009 waren es nur noch 9, 2012 noch acht Prozent."5 "Viele haben Probleme mit den Partnerfirmen vor Ort. Oder die Logistik ist zu umständlich."6

Zwei verschiedene Begriffe von Globalisierung

Ein enges Verständnis von Globalisierung bezieht sie auf das Ausmaß langer, verschiedene Kontinente umspannender Lieferketten und auf die Überwindung von Handelsschranken. Einem weiten Verständnis von Globalisierung entspricht die Feststellung: Selbst wenn die Lieferketten weniger international wären und es mehr Handelshemmnisse gäbe, bliebe der Konkurrenzdruck des Weltmarkts auf die Volkswirtschaften bestehen. Um in der Konkurrenz nicht unterzugehen, muss jedes Kapital seine Verwertung steigern. Das Fortkommen der Sieger wird auf dem Weltmarkt prämiert. In Ländern, die wirtschaftlich schlecht dastehen, unterbleibt die Förderung von Entwicklungspotentialen auf "niedrigerem" Niveau.

Wer in der internationalen Konkurrenz auf den unteren Plätzen steht, kann oft nicht einmal mehr im eigenen Land auf teurere Weise technisch weniger anspruchsvolle Produkte herstellen, sondern wird durch die Produkte der Gewinner überschwemmt. Die Kapitale der wirtschaftlich reicheren Länder beanspruchen einseitig häufig bestimmte Stoffe und volkswirtschaftliche Segmente der wirtschaftlich armen Länder. Das verhindert eine aufeinander abgestimmte und eine sich positiv rückkoppelnde Arbeitsteilung in der "zurückgebliebenen" Ökonomie.

Negativfolgen internationaler ökonomischer Vernetzung

Bereits aus ökologischen Gründen werden sich Transporte zukünftig massiv verteuern. Kostenvorteile durch Außenhandel verlören schon damit stark an Bedeutung. Das Lob der langen Lieferketten setzt die billigende Inkaufnahme niedriger und niedrigster Löhne sowie schlechter Arbeitsbedingungen in anderen Ländern voraus. Viele Befürworter der Globalisierung sehen davon ab, weitere Negativwirkungen überhaupt umfassend wahrzunehmen. Ein Beispiel: Frachtschiffe laden "zwecks Stabilisierung in ihren Ballastwassertanks an einem Ende des Meerwasser, um es am anderen Ende wieder ins Meer zu lassen. Zehntausende Arten sollen dabei nach Schätzungen verschifft werden" - und zwar in Gegenden, in denen sie nicht durch ein evolutionär gewachsenes Umfeld (inklusive natürlicher Feinde) gebändigt werden.7

Die auch auf andere Art und Weise zustande kommende "Welthomogenisierung ist dabei, in hohem Tempo Tier- und Pflanzenarten auszurotten, und zwar ohne dass einem einzigen Tier oder einer einzigen Pflanze unmittelbar etwas angetan würde (was andernorts natürlich auch noch passiert, etwa um anstelle von Regenwald Soja für die deutschen Schweine anzubauen, die dann als Nackensteak nach China verkauft werden.)".8

Vielen wird bewusst, wie die Herrschaft des Weltmarkts den Druck der Konkurrenz auf die nationalen Ökonomien verschärft. Aus den Erfahrungen mit den Negativfolgen internationaler ökonomischer Vernetzung im Krisenfall wird auf so etwas wie Schotten im Schiff gedrängt. Dem entspricht das Votum für die "größere Unabhängigkeit von überregionalen Stoff-, Güter- und Finanzströmen, also die sukzessive Stärkung und Immunisierung der Region gegenüber zu großer Abhängigkeit von außen."9 Diese verschiedenen Motive konvergieren im Plädoyer dafür, ökonomische Zusammenhänge zu dezentralisieren. Lokale und regionale Bereiche wären dann stärker miteinander verknüpft. National und international wäre der Vernetzungsgrad geringer.

Deglobalisierung

Walden Bello (2001)10 von der einflußreichen thailändischen Nichtregierungsorganisation Focus on the Global South tritt für "Deglobalisation" ein als Antwort auf die Probleme, die aus einer weit verstandenen Globalisierung oder aus den Zwängen des Weltmarkts entstehen. Die geforderte Regionalisierung unterscheidet sich vom Protektionismus oder der Formierung von Wirtschaftsblöcken, die sich auf die Konkurrenz am Weltmarkt ausrichten, sich also positiv auf ihn einstellen.

Stattdessen geht es um eine weltweite Raumordnung, die den Rückbau und die Entmächtigung des Weltmarktes beinhaltet: "Die Dekonnexion bedeutet für mich die Unterwerfung der äußeren Beziehungen unter die Logik einer internen Entwicklung. Es ist das Gegenkonzept zu dem zur Mode gewordenen Weltbankmodell der Strukturanpassung. Die Strukturanpassung erfolgt stets einseitig, es ist die Anpassung der Schwachen an die Erfordernisse der Starken. […] Es wäre eine auto-zentrierte Entwicklung in einem mittelgroßen Rahmen vorstellbar, bspw. dem Zusammenschluss von mehreren Nationen oder Ländern der Dritten Welt. So große Länder wie China oder Indien und eine Reihe größerer Staaten des Südens könnten hier eine Vorreiterrolle spielen."11

Zwar bedarf es internationaler Absprachen, ihr Ziel muss aber sein, die "Notwendigkeit übergreifender Entscheidungen und Regulierungen zu vermindern" und "die eigenständige politische Kompetenz lokaler und regionaler Einheiten zu Lasten von Staaten und internationalen Organisation zu stärken."12 Wenn wir im Folgenden von Deglobalisierung sprechen, dann nicht im Sinne einer Abnahme von internationalen Geschäftsbeziehungen, sondern im Sinne einer Überwindung des Weltmarkts.