Den russischen Gashahn einfach abdrehen?
Was passiert, wenn Deutschland kein Gas mehr aus Russland abnimmt mit den Erdgasquellen in Russland und welche Konsequenzen hat das für den Klimawandel?
Der Druck aus dem Westen, dass Deutschland auf den kostengünstigen Erdgasbezug aus Russland verzichtet, nimmt stetig zu. Abgesehen davon, dass der Bezugspreis jahrelang unter Weltmarktniveau lag und die deutsche Industrie dadurch einen deutlichen Wettbewerbsvorteil erzielen konnte, die künftig nicht mehr gegeben sind, müssen kurzfristig Alternativen bereitgestellt werden, die finanziert werden müssen.
Wenn die deutsche Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit behalten will, muss die Gas- und Mineralölversorgung für die nächsten Jahre subventioniert werden. Dass man die dafür benötigten Summen, wie bei den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, erneut in ein Sondervermögen auslagern kann, erscheint eher unwahrscheinlich und somit wird es auf deutliche Steuererhöhungen hinauslaufen.
Moritz Kraemer, seit 2021 Chefvolkswirt der LBBW, hat kürzlich geäußert: "Ich plädiere für die Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags", begründet mit gewaltigen Herausforderungen durch Ukraine-Krieg und Klimawandel.
Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) meinte in diesem Zusammenhang, die Festlegung der Ampel-Koalition, in dieser Legislatur keine Steuern zu erhöhen, sei kaum zu halten. Das Perfide an der aktuellen Situation ist, dass eine kurzfristige Stornierung des Gasbezugs aus Russland den Klimawandel noch zusätzlich befeuern könnte.
Was passiert mit den russischen Gasfeldern, wenn Deutschland den Gasbezug einstellt?
"Rein technisch betrachtet lässt sich die Gaslieferung steuern und damit - um in der Begrifflichkeit zu bleiben - auch ein Gashahn zudrehen", erklärt Dominik Möst, Energiewirtschaftsprofessor an der TU Dresden. Über ein Ventil beim Regelwerk ließe sich der Gasfluss in den Pipelines nach Europa leicht regeln.
"Die Gaslieferungen nach Europa könnten somit also auch kurzfristig gestoppt werden", so Möst. Somit ist es technisch möglich, Deutschland und die über Deutschland belieferten europäischen Länder von den russischen Gaslieferungen abzutrennen. Eine Abschaltung der Gasförderung nicht so einfach möglich. Jurij Witrenko, Chef des ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, erklärte in einem Interview, Russland könne die Förderungen nicht einfach stoppen:
Wenn sie Öl und Gas fördern, können sie die Bohrungen nicht einfach abschalten. Die Flüsse können nicht wesentlich reduziert werden, und dann muss man das Gas, das man fördert, verbrennen. Ich würde davon ausgehen, dass Öl und Gas weiter fließen werden.
Jurij Witrenko
Offensichtlich gibt es vor Ort weder ausreichend große Speichermöglichkeiten noch alternative Pipelines, um das Gas beispielsweise nach China zu liefern. Die Alternative, einige aktive Bohrlöcher zu schließen, birgt für Russland das Risiko, dass man diese danach möglicherweise nicht wieder öffnen kann. Dann bliebe nur die Möglichkeit, das nicht verkaufbare Gas abzufackeln, was den CO2-Ausstoß drastisch erhöhen würde.
Zuletzt arbeitete Russland daran, das Abfackeln von Gas zu reduzieren. Wenn die technischen Anlagen zum Abfackeln nicht zur Verfügung stehen, müsste man das Gas in die Atmosphäre entweichen lassen, was einen weiteren Anstieg der Treibhausgase bewirken würde.
Die "klimafreundliche Nachaltigkeit" der russischen Gaskonzerne wurde noch im vergangenen Jahr von der bundeseigenen Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH lobend erwähnt.
Was geschieht mit Nordstream 2?
Die Nord Stream 2 AG mit Sitz im steuergünstigen Schweizer Kanton Zug hat allen 140 Angestellten gekündigt und ist weder telefonisch noch per E-Mail erreichbar. Das elf Milliarden Dollar schwere Projekt war zur Hälfte von den Energie- und Ölriesen Shell, OMV, Engie, Uniper und Wintershall DEA finanziert worden, die das Investment jetzt wohl abschreiben, was dann die Steuerlast in ihren Heimatländern reduzieren dürfte.
Die Pipeline wurde inzwischen mit je nach Quelle zwischen 177 und 350 Millionen Kubikmeter Gas gefüllt, für die nach der Entlassung der Mitarbeiter und der Insolvenz derzeit niemand mehr zuständig ist.
Das Gas in der Pipeline scheint jetzt zu den kriegsbedingten Altlasten zu zählen, die in der Ostsee vor sich hin rotten. Dies gilt offensichtlich auch für die 5.000 Erdgasrohre, die im Hafen Mukran unter freiem Himmel lagern. Sie waren ursprünglich für die Umgehung der Insel Bornholm gedacht, wurden dann aber nicht benötigt, weil Dänemark die lange verweigerten Genehmigung doch noch erteilte.
Für die jetzt nicht mehr benötigten betonummantelten Rohre gibt es derzeit keine alternative Verwendung, weil es momentan keine Pläne für eine Pipeline in vergleichbaren Dimensionen gibt.