Der Anfang vom Ende
Das Scheitern der Irak-Mission kündigt sich an
Erleben wir den Anfang vom Ende der US-Mission im Irak - und damit auch den des "Neuen Roms"? Die Anzeichen dafür mehren sich: An der Heimatfront schwindet die Unterstützung für den Krieg, nur noch 44 Prozent der US-Bürger sind für die Besatzung; viele der politischen und medialen Eliten verlieren, wie Richard Perle und David Frum in "An End to Evil" verbittert schreiben, "die Nerven für den Kampf" und haben statt des Sieges nur noch die Wahlen vor Augen; die Spanier kündigen den Rückzug ihrer Truppen an; japanische und südkoreanische Truppen verbarrikadieren sich vor aufständischen Schiiten; einzelne Städte befinden sich bereits in der Hand der Aufständischen; verbündete Truppen oder Zivilisten werden (wie damals im Iran), als menschliche Schutzschilde in Geiselhaft genommen. Damit scheinen sich all jene Unkenrufe zu bestätigen, die dem Imperium im Irak ein Waterloo geweissagt haben und das Imperium im "Quagmire" des Zweistromlandes versinken sahen.
Ich glaube fest, dass das alles zu einer friedlicheren Welt führen wird.
Karen Hughes, frühere PR-Beraterin von US-Präsident Bush
Rumsfelds entschlossener Auftritt und trotzige Ankündigung, die Truppen um 20.000 Krieger aufzustocken und "robust" gegen "Schurken, Terroristen und Gesetzlosen" vorzugehen, wird daran wenig nützen. Auch mit noch mehr Soldaten wird der Aufstand nicht mehr aufzuhalten sein, allenfalls wird er den Blutzoll auf beiden Seiten weiter erhöhen. Der Sieg über den Feind, wie ihn Präsident Bush im Sommer letzten Jahres vorschnell und vollmundig auf einem Flugzeugträger verkündet hat, Frieden und Demokratie sind jedenfalls in weite Ferne gerückt. Dafür hat die Besatzungsmacht, im Rausch über den raschen Erfolg des Network Centric War, zu viele Fehler beim Einmarsch, bei der Befriedung und beim Wiederaufbau des Landes begangen.
Zunächst als sie die Wut des Mobs der Straße unterschätzte und ihn bei all seinen Plünderungen, Brandschatzungen und Gewaltorgien gewähren ließ; sodann, als sie jedes Gespür für die Kultur des Landes vermissen ließ, Häuser und Türen auftrat und in die Gemächer der Frauen eindrang; ferner als sie glaubte, auch dem Irak eine von Exilanten gebildete Regierung aufs Auge drücken und dem Land eine von abendländischen Prinzipien und Werten diktierte Verfassung verordnen zu können. Ein muslimisches Land, das von vielen Widersprüchen kultureller, religiöser und ethnischer Art zerrissen ist wie der Irak, ist aber nicht mit "homogenen" Staaten wie Nachkriegsdeutschland oder -japan zu vergleichen; und schließlich, als ihre Truppen in ihrer Hatz auf die Muslimbrüder letztendlich auch noch die Nerven verloren und eine Moschee in Grund und Boden gebombt haben. Dümmer als die US-Besatzungstruppen kann man sich wahrlich nicht anstellen. Dümmer geht's nimmer - wie der Volksmund sagt.
Die Übertragung der Souveränität an eine irakische Regierung schon zum 30. Juni erweist sich als illusorisch, auch wenn Präsident Bush (zumindest in öffentlichen Stellungnahmen) weiter daran festhält. In Bälde werden die US-Truppen und mit ihnen ihre Schreibtisch-Strategen vom Potomac genau jenem Szenario gegenüberstehen, das ihnen von vielen Experten und Kennern der Region vor Beginn des Krieges vorausgesagt wurde und das sie doch unbedingt vermeiden wollten: Ein irakischer Norden, der die Türkei gegen sich aufbringt; ein sunnitisches Dreieck, das "libanonisiert" und folglich unregierbar geworden ist; sowie ein schiitischer Süden, der dem Iran hörig ist und den Hass auf den Westen weiter schüren wird.
Der neokonservative Schnellschuss, Regimewechsel durchzuführen und dem "Bösen an sich" ein Ende zu setzen, ist letztlich nach hinten losgegangen
Die Domino-Theorie, die schon in Vietnam nicht funktioniert hat, bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen, noch ehe sie ihre Wirkungen entfalten konnte. Shock and Awe und Nation-Building, Zeitmächte und Raumkräfte sind eben zweierlei Stiefel. Die Mission civilisatrice, die man dem Irak angedeihen lassen wollte, um ihn aus dem Mittelalter in die Moderne zu katapultieren, ist kläglich gescheitert. Mit Gewalt und ohne Rückhalt, sprich heimische Wurzeln lässt sie sich nicht in die Tat umsetzen.
Wieder mal sind wir Zeugen einer einer politischen Naivität ohnegleichen. Im Übrigen nicht der ersten, die eine US-Regierung in den letzten Jahrzehnten begangen hat. Siehe Korea, siehe Vietnam, siehe Iran, siehe Afghanistan. Die Köpfe und Herzen, die man durch den Sturz des Tyrannen für sich gewinnen wollte, hat man nicht erobert, sondern im Sturm verstört. Bis auf weiteres hat man im Greater Middle East, dessen "Demokratisierung" durch einen "vorbildlichen Irak" beginnen sollte, jeden Kredit verspielt.
Auch wenn man es am Potomac noch nicht einsehen will und trotzig wider besseren Wissens an dieser historischen Mission festhalten will: Das Imperium steht vor den Trümmern seiner Nahostpolitik. Es ist keinen Schritt vorangekommen. Weder in dieser Region noch im "Heiligen Land". Im Gegenteil: Statt geliebt zu werden, wie Fareed Zakaria verlangt, wird es nur noch gehasst; statt weitere Partner, Anerkennung und Demokratie zu gewinnen, säte, förderte und erntete es Zorn, Wut und den Kampf der Kulturen. Der neokonservative Schnellschuss, Kulturen zu revolutionieren, Regimewechsel durchzuführen, robuste Gefahrenabwehr zu betreiben und dem "Bösen an sich" ein Ende zu setzen, ist letztlich nach hinten losgegangen.
Das Imperium muss mehr noch als vor dem Krieg auf die Kraft und Macht seiner Potentaten in Ägypten, in Saudi-Arabien und in Pakistan setzen und hoffen, dass Demokratie, Partizipation und freie Meinungsäußerung auch weiterhin Fremdwörter bleiben. Würden heute freie Wahlen stattfinden, würden diese Regierungen allesamt, wie einst in Algerien, als das Militär gegen die fundamentalistischen Sieger der Wahl einschritt, von ihren Völkern hinweggefegt. Über so viele Truppen und Waffen verfügt das Pentagon gar nicht, um all diese Feuersbrünste und Flammenherde dann zu löschen. Es sei denn durch den Einsatz von Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen. Das aber käme der Apokalypse gleich, die niemand wollen kann.
Die Folgen der "humanitären Kriege"
An der hoch explosiven Lage im Irak dürfte darum auch eine Nato-Truppe, die von der UN legitimiert wäre und die die gleichermaßen verhassten wie überforderten US-Truppen ablösen würde, im Augenblick wenig ändern. Im Kosovo kann man derzeit die Folgen und Resultate so genannter "humanitärer Kriege" beobachten.
Trotz jahrelanger Truppenstationierung und finanzieller Zuwendungen wurde keines der Probleme der Region, die zum Krieg geführt haben: Rassenhass, Arbeitslosigkeit und Nationalismus, bislang wirklich gelöst. Schlimmer noch: Auch der Ruf der UN ist dort, worauf US-Strategien zu Recht hinweisen, ruiniert. Erneut setzt sich der Eindruck durch, dass man, als man vor Jahren die UCK einseitig unterstützt hat und damit den kosovarischen Nationalismus indirekt Auftrieb gab, wieder mal, frei nach Churchill, "das falsche Schwein geschlachtet hat". Auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte, wird KFOR dort Dienst tun müssen, um die ethnischen Gruppen voneinander abzuhalten.
Und trotz aller Schönfärberei ist man auch in Afghanistan keinen Schritt weiter gekommen. Aus Sicherheitsgründen mussten die Parlaments- und Präsidentenwahlen dort auf den Herbst verschoben werden. Traut man Insidern, dann sind sowohl die Warlords im Norden als auch die Taliban im Süden und Osten des Landes wieder auf dem Vormarsch, sodass auch SFOR fürchten muss, alsbald zwischen die Fronten und in Geiselhaft genommen zu werden. Vom florierenden Drogenhandel und munter schwelenden Stammeskonflikten mal ganz zu schweigen.
Mag es für viele vielleicht auch zynisch klingen: Aber in einigen Jahrzehnten wird man sich vielleicht noch einmal den "Katechon" Saddam zurückwünschen. Er mag zwar ein Massenmörder gewesen sein, der für unzählige Schandtaten direkt verantwortlich war. Andererseits war er aber auch, anders als die jetzigen asymmetrischen Kräfte, ein wahrnehmbarer und darum leicht zu kontrollierender Feind, der die fliehenden und widerstrebenden Kräfte des Landes gebündelt und so der Region Stabilität, Ruhe und Sicherheit gegeben hat.
Machtpolitik sollte man eben nicht mit Moral verwechseln oder, wie Falle der Neocons, mit revolutionärem Übereifer. Mit Gewehrkugeln lässt sich keine demokratische Gesellschaft herbeischießen. Statt ihn gewaltsam aus dem Amt zu jagen, Chaos zu stiften und den Irak dadurch zu "libanonisieren", wäre es besser gewesen, den politisch-wirtschaftlichen Druck auf ihn zu erhöhen und ihn auf diese Weise durch sein eigenes Volk zu Fall zu bringen. Nach dem verlorenen Krieg war er wirklich keine Gefahr mehr für die Nachbarn. Zwar ließ er Selbstmordbomberfamilien Geld zukommen, aber weder hatte er nähere Kontakte zu Netzwerken des Terrors noch war er in Proliferation verwickelt oder gar im Besitz von Massenvernichtungswaffen. Im Übrigen hat der Blitzsieg über die Republikanische Garde gezeigt, dass er militärisch ein Wicht und Pappkamerad war.
Ab und an sollten Söhne eben auch auf ihre Väter hören oder von ihnen lernen. Jugendlicher Leichtsinn, Übermut, Arroganz oder Kraftmeierei zahlen sich nicht immer aus. In der Politik ebenso wenig wie im Alltag.