Der Anti-Anti-Amerikanismus

Seite 2: Anti-Amerikanismus in Deutschland soll "Produkt einer tiefen narzisstischen Kränkung" sein

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Doch die deutsche Intelligenzia gefällt sich heutzutage mehr in Vasallentreue gegenüber unserem großen Verbündeten. Da werden dann ganz andere, recht phantasievolle Ursachen für den Hass auf die "Amis" aus dem Hut gezaubert. Am 24. Mai 2014 schrieb etwa Alexander Grau in Cicero:

Der zeitgenössische deutsche Antiamerikanismus ist psychologisch vor allem das Produkt einer tiefen narzisstischen Kränkung. Deren Ergebnis ist eine ausgeprägte antiamerikanische Neurose, die dazu führt, dass man sich hierzulande zwanghaft mit allen angeblichen Opfern amerikanischer Aggression und amerikanischen Dominanzstrebens solidarisiert.

Alexander Grau

Dabei seien die USA doch in Wahrheit "die einzige Schutzmacht für jeden Freiheitsliebenden dieser Welt". Der Autor, ein promovierter Philosoph, ahnt offenbar nichts von den durchaus realen Opfern, die die zahllosen Einmischungen der USA tatsächlich, also erwiesenermaßen, hinterlassen haben. Dazu kommt die ebenso absurde wie mantrahaft vorgetragene These der Transatlantiker, dass wir Europäer allein gar nicht fähig wären, uns zu verteidigen.

Zum einen fragt sich allerdings: Gegen wen sollen wir uns eigentlich verteidigen? Wer droht denn, uns zu überfallen? Und zum anderen befremdet die Vorstellung, dass fast 2000 Jahre Gemetzel unter den europäischen Völkern als Qualifikation in Sachen Kriegsführung immer noch nicht auszureichen scheinen.

Das Gleiche bei WELT N24. Dort schrieb Richard Herzinger am 11. Mai 2015:

Statt die USA als unverzichtbaren Verbündeten anzusehen, werden sie als Hauptbedrohung denunziert. … Die USA, die man risikolos beschimpfen kann, ersatzweise für die weltpolitischen Ruhestörungen durch autoritäre, totalitäre und terroristische Mächte verantwortlich zu machen, ist offenbar die hierzulande wirkungsvollste Operation zur Verdrängung der wirklichen Gefahren.

Richard Herzinger

Auch dieser Autor verfügt offenbar über keinerlei Erkenntnis ob der Tatsache, dass es die USA oft genug selber waren, die "autoritäre, totalitäre und terroristische Mächte" unterstützten. Ist so ein Mensch nun einfach schlecht informiert oder Opfer der eigenen Desinformations-Kampagnen?

"Die USA sind unser Unglück. Dieser Satz scheint auch jenseits der Neonazi-Szene zum Universalschlüssel für das Verständnis internationaler Politik avanciert zu sein", verkündete Moritz Schneider am 17. Oktober 2015 in Huffington Post. Oder, ebenso undifferenziert, schrieb Caroline Fetscher im Tagesspiegel am 1. Mai 2016:

Wo große dunkle Mächte beschworen werden, die Unglück bringen, Kultur zersetzen und andere Nationen bedrohen, da tauchen nicht nur an den rechten oder linken Rändern gerne Verschwörungstheorien zu "Amerika" auf.

Caroline Fetscher

Zugegeben, es kursieren eine Menge absurder Verschwörungstheorien, allen voran der Inside-Job-Irrsinn zum Thema 9/11. Gleichzeitig jedoch dient der Begriff "Verschwörungstheorie" mittlerweile als eine Art Universal-Vernichtungsmittel gegen jeden Versuch, unbekannte Verbrechen der Geschichte ans Tageslicht bringen zu wollen. Das also, was Journalisten eigentlich tun sollten: aufdecken. Und nicht diffamieren.

Den Vogel in Sachen Anti-Anti-Amerikanismus schießt jedoch der Soziologe Felix Knappertsbusch ab, der in seinem Buch "Anti-Amerikanismus in Deutschland" auf 400 Seiten streng wissenschaftlich das Zustandekommen der Ressentiments gegenüber den USA zu erklären versucht. Natürlich unter systematischer Ausblendung sämtlicher geschichtsbezogener Ansätze. Deutschlandfunk berichtete am 26. Juli 2016:

Ein stereotypes Sprechen über Amerika muss keine Diskriminierung oder Verfolgung von Amerikanerinnen und Amerikanern zur Folge haben, um als Anti-Amerikanismus kritisiert werden zu können. Anhand von Umfragedaten und Interviews zeigt Felix Knappertsbusch, dass Sätze wie "die US-amerikanische Kultur ist oberflächlich" kontextabhängig ganz andere Funktionen erfüllen.

So tituliert "Herr H." die Amerikaner zum Beispiel als "Weltpolizei", klagt über die amerikanische "Cowboymentalität" oder über die große Kluft zwischen "Arm und Reich" in den USA. All das diene in erster Linie der Aufwertung der eigenen Bezugsgruppe: "Anhand der negativen Vergleichsfolie 'Amerika' werden die vermeintlichen Vorzüge und besonderen Qualitäten der eigenen Nation sichtbar gemacht bzw. als negativ wahrgenommene Aspekte der Eigengruppe auf 'amerikanischen Einfluss' zurückgeführt."

Deutschlandfunk

Der gleiche vermeintlich psychologische Ansatz also wie in Cicero. Und schließlich die ebenso vorhersehbare wie billige Zuspitzung: "Wer auf Amerika schimpft, pflegt damit also gerne den eigenen Nationalismus." Da war sie wieder, die Nazi-Keule. Die Frage aber, ob sich Begriffe wie "Weltpolizei" und "Cowboymentalität" vielleicht anhand belegbarer Ereignisse der Geschichte durchaus rechtfertigen ließen, kommt dem Verfasser nicht einmal in den Sinn. Das heißt, er schließt bei seinen umfangreichen Ermittlungen von vornherein eine mögliche Ursache für die Existenz vom "Anti-Amerikanismus" aus. Die traurige Konsequenz: Sein großes Werk ist wissenschaftlich leider ganz und gar irrelevant.

Was an den anti-anti-amerikanischen Pamphleten also am meisten irritiert. ist die offensichtliche Ignoranz der Autoren gegenüber den realen Folgen westlicher Interventionen in der islamischen Welt.

Was ist zum Beispiel mit dem Regime-Change gegen Mohammad Mossadeq 1953 im Iran? Einem demokratisch legitimierten Präsidenten, der allerdings die Öl-Industrie verstaatlichen wollte - und deshalb weg musste?

Was ist mit dem Schah von Persien, der Mossadeq nachfolgte und den die USA ein Vierteljahrhundert protegierten, obwohl er ein grausamer, feudalistischer Diktator war, verhasst bei seinem eigenen Volk?

Was ist mit der islamischen Revolution im Iran von 1979, die vermutlich ohne die vorherigen Einmischungen nie stattgefunden hätte?

Und was ist mit der langjährigen militärischen Unterstützung Saddam Husseins durch die USA bei seinem Terrorkrieg gegen den Iran, bei dem ca. eine Million Menschen starben? Genau derselbe Saddam Hussein, der kurze Zeit später dämonisiert und schließlich zweimal bekriegt wurde?

Was ist mit der Unterstützung von islamistischen Terroristen in Afghanistan und Syrien? Ja, sogar der Unterstützung Osama Bin Ladens, bevor er sich gegen seine früheren Verbündeten wandte, aber erst nachdem diese Militärbasen in Saudi Arabien, Bin Ladens Heimatland, eingerichtet hatten?

Und was ist mit den 13 Jahre währenden Sanktionen, unter denen das irakische Volk zu leiden hatte?

Lieber Herr Grau vom Cicero: Wie war das noch mit den "angeblichen Opfern"? All diese barbarischen Ereignisse sind den zitierten Autoren also entweder nicht bekannt, oder sie sind ihnen egal. Welche dieser beiden Optionen wäre wohl die erschreckendere? Welche dieser beiden Möglichkeiten disqualifiziert einen Journalisten, erst recht einen Wissenschaftler, mehr?

Aber auch im Zusammenhang mit anderen Themen schimpfen Deutschlands Redakteure gerne auf den in unserem Land ach so weit verbreiteten Anti-Amerikanismus. Am 10. Oktober 2015 schrieb Alexander Neubacher auf Spiegel Online anlässlich der großen Anti-TTIP-Demo in Berlin:

Bei den TTIP-Protesten sind die Rechten nicht Mitläufer, sondern heimliche Anführer. … Die Kampagne gegen den Freihandel ist wie auf dem braunen Mist gewachsen. … Vom "Ausverkauf deutscher Interessen an die Amerikaner" ist die Rede. Dabei soll doch am eigenen Wesen die Welt genesen, denn man hält sich für die Krone der Schöpfung. … Amerika gilt als Reich des Bösen.

Alexander Neubacher

Pikantes Detail am Rande: Der Text erschien eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung. Sprich, der Autor besaß keinerlei konkrete Kenntnisse über die Teilnehmer, saß stattdessen vermutlich daheim auf dem Sofa - und ließ seinen Ressentiments gegenüber Andersdenkenden freien Lauf. Mit der Konsequenz, dass er im Handumdrehen 200.000 friedliche Bürger zu anti-amerikanischen Nazi-Mitläufern erklärte. Dass auf der Veranstaltung auch Amerikaner sprachen, weil der Widerstand gegen TTIP eben nicht nationalistisch geprägt war, sondern sich diesseits und jenseits des Atlantiks gegen die Übermacht der Großkonzerne formierte, musste dem Mann zwangsläufig entgehen. Ein journalistisches Totalversagen.

Mit ein paar von solchen Propagandisten in deutschen Redaktionen könnte man vielleicht leben. Problematisch wird es allerdings, wenn junge Menschen den Journalisten-Beruf ergreifen, tatsächlich ernst nehmen und dann erleben müssen, dass sie bestimmte Themen besser nicht anfassen - wenn sie noch ein bisschen Karriere machen wollen. Auf diese Weise pflanzt sich das Dilemma fort, ja, es potenziert sich, bis bestimmte Kapitel der Geschichte aus dem kollektiven Gedächtnis weitgehend ausradiert sind. Wer jedoch dagegen anstinken will, dass die grausamen Folgen westlicher Interventionen vergessen werden, der muss sich warm anziehen. Denn irgendwer schreit gewiss: Anti-Amerikanist!

* * *

Einer der wenigen, der sich gegen reflexartige Anti-Amerikanismus-Vorwürfe wehrte, war Rudolph Augstein. Am 3. Dezember 2001, kurz nach Beginn des Krieges in Afghanistan, schrieb er im Spiegel:

Ein Gespenst geht um in Deutschland: der Anti-Amerikanismus. Als anti-amerikanisch wird hierzulande schon denunziert, wer die Frage stellt, ob die US-Militärs noch die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren, wenn sie international umstrittene Streubomben auf Afghanistan regnen lassen. … Ist ein Anti-Amerikaner, wer das anprangert? Undankbar trotz der Carepakete nach dem Zweiten Weltkrieg und alles anderen Guten, was wir Deutschen den USA verdanken?

Rudolf Augstein