Der Kipppunkt: Wo stehen wir bei der globalen Energiewende?

Überschwemmte Straße, die eine Bahntrasse überquert, Deutschland 2021.

Überschwemmte Straße, die eine Bahntrasse überquert, Deutschland 2021. Bild: Shutterstock.com

Die Treibhausgase steigen weiter, die Klimakrise verschärft sich. Aber es gibt Grund für Optimismus. Denn nie war es einfacher, auf Sonne und Wind umzusteigen.

Ziel der Energiewende sollte es eigentlich sein, die Kohlendioxid-Emissionen bei der Energiegewinnung zu senken und auf null zu bringen, um damit den Treibhauseffekt und die Erderhitzung zu begrenzen. Doch das ist in den letzten Jahrzehnten misslungen. Und misslingt weiter, jedenfalls weltweit.

Oder anders formuliert: Wir befinden uns auf einem historischen Emissions-Peak, wobei offen ist, ob es in den nächsten Jahren noch weiter hinauf-, auf einem Plateau auf gleicher Höhe voran- oder bereits bergab geht.

Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel

Denn Fakt ist: Die Treibhausgasmengen konnten in den letzten Jahrzehnten nicht nur nicht gesenkt werden, sondern sie haben sich in einer kontinuierlich ansteigenden Kurve immer weiter ausgeweitet. Auch im letzten Jahr legten die jährlichen energiebezogenen Emissionen erneut um 2,1 Prozent zum Vorjahr zu und liegen nun erstmals auf dem Höchstwert von rund 40 Gigatonnen Kohlendioxid-Äquivalent (Äquivalent = Umrechnung anderer Treibhausgase wie Methan in CO2).

Die misslingende globale Energiewende zeitigt bereits jetzt dramatische Folgen. Durch die sich erhöhende Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre hat die durchschnittliche Temperatur über der Erde um rund 1,2 Grad Celsius zugenommen.

Das erzeugt in immer dichterer Folge Hitze- und Unwetterrekorde sowie in zunehmendem Maße Wettextreme wie verheerende Dürren, Überschwemmungen wie vor einigen Wochen im östlichen Europa oder außergewöhnliche Hurrikans z.B. an der US-Ostküste, um nur die naheliegendsten Ereignisse zu nennen.

Viele der "überlebenswichtigen Parameter" der Erde hätten Spitzenwerte erreicht, was darauf hindeute, dass "die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel steht", so eine Gruppe der weltweit erfahrensten Klimaexperten in der aktuellen Studie "The 2024 State of the Climate Report" ("Zustandsbericht für das Klima 2024").

Natürliche Kipppunkte

Immer mehr Wissenschaftler befassten sich nun mit der Möglichkeit eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs, heißt es in dem Bericht. In ihm wurden 35 kritische Erdindikatoren im Jahr 2023 bewertet. Danach seien 25 davon schlechter als je zuvor, darunter der Kohlendioxidgehalt. Dies deute auf eine "kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise" hin.

Die Forscher identifizierten 28 Rückkopplungsschleifen, darunter die zunehmenden Emissionen aus schmelzendem Permafrost, die dazu beitragen könnten, mehrere Kipppunkte auszulösen, wie z. B. den Zusammenbruch der massiven grönländischen Eiskappe. Das Resümee der Untersuchung:

Wir stehen kurz vor einer irreversiblen Klimakatastrophe. Dies ist zweifellos ein globaler Notfall. Ein Großteil der Lebensgrundlagen auf der Erde ist gefährdet. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein.

Rasante Energiewende möglich

Um diese Bedrohung abzuwenden, ist eine rasante Energiewende eine unabdingbare Voraussetzung.

Bis 2030, also in nur noch sechs Jahren, müssten die globalen Emissionen fast halbiert werden, so die wissenschaftlichen Szenarien, um das 1,5 bis zwei Grad Ziel, vom Pariser Klimavertrag vorgeschrieben und von Klimaforschern wegen der Schadenseskalationen als Obergrenze festgesetzt, noch einhalten zu können. Bis 2050 müsste dann der Ausstoß von Treibhausgasen komplett eingestellt werden.

Das scheint angesichts der bis heute vorherrschenden Trends eine kaum lösbare Aufgabe. Doch tatsächlich ist dem keineswegs so, auch wenn der Zeitdruck enorm ist. Denn die Umstände für eine effektive und auch schnelle Energiewende sind nie besser gewesen als heute.

Vor allem zwei Aspekte bieten Grund für Optimismus.

Erstens: Der sich beschleunigende technologische Fortschritt bei den erneuerbaren Energien und die voranschreitende Elektrifizierung von fossilen Sektoren (Verkehr, Heizen etc.) vereinfacht die Umsetzung der Energiewende.

Zweitens: Erneuerbare Energien werden immer billiger. Sie sind schon heute meist die billigste Energieform.

Steigende Effizienz

Zum ersten Punkt:

Der Wirkungsgrad von Solarmodulen hat stetig zugenommen. Damit wird definiert, wie viel Sonnenlicht in Strom umgewandelt werden kann.

Die üblichen Solarzellen heute wandeln bereits etwa 20 bis 22 Prozent des Sonnenlichts in elektrische Energie um. Neue Forschungsergebnisse, die in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurden, zeigen jedoch, dass künftige Solarzellen einen Wirkungsgrad von bis zu 34 Prozent erreichen könnten.

Die neuen Spitzen-Zellen würden zusätzliche 60 Prozent der Sonnenenergie einfangen. Das bedeutet, dass weniger Panels benötigt werden, um die gleiche Energie zu erzeugen, was die Installationskosten und die für Solarparks benötigte Fläche (oder Dachfläche) reduziert sowie mehr Profite für die Solarstromproduzentenn verspricht. Forscher gehen davon aus, dass die Effizienz in Zukunft noch weiter gesteigert werden kann.

Ein chinesisches Unternehmen hat zudem vor Kurzem mitgeteilt, dass man das erste, vollständig aus recycelten Materialien bestehende Silizium-Solarmodul produziert habe. All das macht Solarenergie immer attraktiver, auch ökonomisch, während die Massenherstellung die Produktion billiger macht.

Elektrifizierung 2.0

Ähnliche technologische Schübe kann man auch bei der Windkraft sehen, wo durch die Steigerung der Nabenhöhe, bessere Rotoren und Materialien die Leistungsfähigkeit von Windrädern und damit die produzierbare Strommenge stark gesteigert werden konnte. Für das nächste Jahr erwartet man die Installation eines Windrads mit 13 bis 15 Megawatt (MW) Leistung. Noch zehn Jahre zuvor lag die Rekordmarke bei vier MW.

Auch bei der Elektrifizierung von bisher fossil geprägten Sektoren wie dem Individualverkehr und dem Heizen gibt es Fortschritte.

Im Jahr 2023 wurden weltweit fast 14 Millionen neue Elektroautos zugelassen, womit die Gesamtzahl der Elektroautos auf den Straßen auf 40 Millionen anstieg. Der Absatz von Elektroautos lag 2023 um 3,5 Millionen höher als 2022, was einem Anstieg von 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Und es ist mehr als sechsmal so viel wie 2018, nur fünf Jahre zuvor.

Die Hälfte aller E-Autos fährt in China. Zwischen 2021 und 2022 nahm der Verkauf von Elektrofahrzeugen dort von 1,3 auf sechs Millionen zu, ein Drittel der weltweiten Verkäufe.

Wenn in der EU und den USA nicht mit Zöllen gegen China und nachlassender Unterstützung für die Wende der E-Auto-Aufschwung abgewürgt worden wäre, sähen die Zahlen weltweit noch besser aus.

E-Autos werden billiger

Die Zukunft gehört den E-Autos, auch, weil die ökonomischen Rahmenbedingungen immer besser werden. So zeigen Studien, dass heute schon die Hälfte aller vollelektrischen Autos innerhalb von fünf Jahren Betrieb billiger sind als vergleichbare Verbrennermodelle. Denn im Betrieb schlagen die Elektros die Benziner deutlich.

Einige E-Automodelle brauchen zwar länger, um ihren Kostenvorteil auszuspielen, vor allem, weil Luxusausstattungen die Kaufpreise hochtreiben. Da aber die Anschaffungskosten von Elektroautos im Fallen begriffen sind, wird das bald Geschichte sein.

Der Trend ist eindeutig, vor allem, weil die E-Fahrzeugbatterien effizienter, leistungsfähiger, materialschonender und billiger werden. Bis 2026 geht man davon aus, dass der Preis um 50 Prozent fallen wird.

Wärmepumpen schlagen Gaskessel

Auch beim Beheizen von Räumen werden klimaneutrale Technologien zunehmend konkurrenzfähig, wenn sie nicht schon auf der Überholspur sind. Die aktuellen Modelle von Wärmepumpen sind zum Beispiel drei bis fünf Mal energieeffizienter als Gaskessel. Das hat auch wirtschaftliche Auswirkungen. So stellt die IEA in der Studie "The Future of Heat Pumps" fest:

Der durchschnittliche Haushalt oder Betrieb, der eine Wärmepumpe einsetzt, gibt weniger für die Energie aus als derjenige, der einen Gasheizkessel verwendet. Diese Einsparungen gleichen die höheren Anschaffungskosten für Wärmepumpen in vielen Märkten aus – in einigen sogar ohne Subventionen. Der wirtschaftliche Nutzen von Wärmepumpen verbessert sich angesichts der heutigen Energiepreisspitzen: Die Einsparungen für Haushalte reichen von 300 US-Dollar pro Jahr in den Vereinigten Staaten bis zu 900 Dollar in Europa. Mit einer angemessenen Unterstützung für ärmere Haushalte zur Bewältigung der Vorlaufkosten können Wärmepumpen die Energiearmut sinnvoll bekämpfen, wobei die Einsparungen bei den Energierechnungen in einkommensschwachen Haushalten zwischen zwei und sechs Prozent des Haushaltseinkommens liegen, nachdem sie sich von einem Erdgaskessel verabschiedet haben.

In den letzten Jahren ist der Verkauf von Wärmepumpen weltweit daher auch stark angestiegen, auch wenn er im letzten Jahr leicht um drei Prozent zurückging. Für die IEA ein Effekt der starken Inflation und wieder gesunkenen Gaspreise (im Zuge von historischen, steuerfinanzierten Subventionen), die Verbraucher abhielten, in dieser Phase eine größere Investition zu tätigen und sich vom Gas zu verabschieden.

Doch die Attraktivität von sauberer Wärmetechnologie für die Verbraucher könnte, wie die IEA betont, durch staatliche Unterstützung bei der Anschaffung erhöht werden. Da die Wärmepumpen im Betrieb, wie schon gesagt, kostengünstiger sind als fossile Wärmeversorgung, zahlt sich der Umstieg am Ende für die Haushalte aus, während es bereits für die Industrie verwendbare Wärmepumpen gibt.

Die Skandinavier machen es vor

Vorreiter sind die skandinavischen Länder, die lange von Heizöl abhängig gewesen sind. Schweden, Norwegen und Finnland haben zwar das kälteste Klima in Europa. In allen drei Ländern gibt es aber inzwischen mehr als 40 Wärmepumpen pro 100 Haushalte, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Und die Ausbaukurve geht steil nach oben.

Der Grund für diese Entwicklung: Über unterschiedliche Regierungen hinweg wurde mittels Förderungen, Regulierungen und Verboten die Wende erfolgreich vollzogen. Die meisten Skandinavier müssen sich nun keine Sorgen mehr machen über die volatilen, immer wieder steigenden Gaspreise, die nur unzureichend durch den Einsatz von Steuergeldern ausgeglichen werden können.