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Der Krieg in Kurdistan - nun auch bei uns?

Türkische Nationalisten wollen u.a. in Berlin und Hamburg gegen PKK- und IS-Terrorismus demonstrieren. Linke Gruppe planen Proteste dagegen

Am kommenden Sonntag will die bisher unbekannte "Initiative Friedensmarsch für die Türkei" [1] (AYTK) in Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hannover, Hamburg, Köln, Nürnberg, München und Wuppertal "Protest gegen den Terror der PKK und des IS" auf die Straße bringen. Neben AYTK rufen verschiedene fundamental-islamische und faschistische Gruppierungen zu der Anti-PKK- und IS-Demo auf. Kurdische, türkische, alevitische, gewerkschaftliche und auch islamische Gruppen rufen zu Gegen-Demonstrationen unter dem Motto "Kein Fußbreit den türkischen Faschisten!" [2] auf.

Aufruf zu den Demos

Das verheißt nichts Gutes und könnte zur Folge haben, dass der Kurdistan-Konflikt künftig auch in bundesdeutschen Städten ausgetragen wird. Doch ganz so weit weg, wie wir vielleicht denken, ist dieser Konflikt ohnehin nicht. Und wurde auch schon in der Vergangenheit hierzulande gewaltsam ausgetragen. Bereits Anfang der 1908er Jahre gehörten für türkische und kurdische Linke Angriffe von türkischen Faschisten häufig zum Alltag.

Deutsch-türkische Waffenbrüderschaft

Vermutlich ist die Bundesrepublik in keinen militärischen Konflikt auf der Welt so stark eingebunden wie in den Krieg der Türkei in Kurdistan. Nach 1990 erhielten die Türkei und Griechenland zu gleichen Teilen ausrangierte Rüstungsgüter der Nationalen Volksarmee (NVA), der Armee der ehemaligen DDR. Immer wieder gingen Bilder von deutschen Panzern im Einsatz gegen die kurdische Bevölkerung um die Welt.

Seit dem Verbot kurdischer Organisationen und Vereine im November 1993 wurden und werden tausende Menschen kurdischer Herkunft kriminalisiert. Razzien, Vereinsverbote und Durchsuchungen, Verhaftungen und polizeiliche Aufforderungen zur Denunziation gehören zum Alltag.

Als PKK-Chef Abdullah Öcalan auf der Flucht Asyl in Italien erhielt, beantragte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder aufgrund des internationalen Haftbefehls von 1990 die Auslieferung - statt die Chance zu nutzen und aktiv in den Friedensprozess einzugreifen (PKK: (K)eine Erfolgsgeschichte [3]).

Aus einem Video [4], das zu den Demos aufruft.

Neue Eskalationsstufe

Schon seit Jahrzehnten kommt es immer wieder zu Übergriffen auf linke kurdische, alevitische und türkische Personen und Organisationen. Spätestens seit den Pro-Rojava-Demonstrationen 2014 sind auch Übergriffe islam-fundamentalistischer Gruppierungen bekannt.

Diese Auseinandersetzung könnte indes mit den Demos am kommenden Sonntag eine neue Eskalationsstufe erreichen. Die ominöse AYTK tritt zum ersten Mal öffentlich auf. Für denselben Zeitpunkt sind auch Demonstrationen in der Türkei geplant; dort allerdings weniger verklausuliert unter dem Motto " Alles für das Vaterland - Märtyrer sterben nicht, das Vaterland kann nicht geteilt werden".

Nach den Organisatoren der Gegen-Demonstrationen sollen verschiedene regierungsnahe nationalistische Organisationen wie die "Union Europäisch Türkischer Demokraten e.V." (UETD [5]) oder die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V." (DITIB [6]), sowie nationalistisch-faschistische Gruppen im Hintergrund die Mobilisierung übernehmen. Daraus schließen die zu den Gegen-Protesten aufrufenden Organisationen, dass die Demos am Sonntag "offensichtlich von der AKP-Regierung zentralgesteuert werden. Für eine unbekannte Gruppe ist es kaum möglich, eine solche Aktion zu starten". Belege dafür gibt es allerdings bislang nicht.

Dr. Bekir Alboğa, der Generalsekretär von DITIB, weist die Unterstellung zurück: "Dies ist schlichtweg unwahr und falsch. Diese Behauptung dient der Feindbildkonstruktion üblicher Akteure, um die DITIB in Verruf zu bringen, Unwahrheiten in Umlauf zu setzen und Gegenpole zu schaffen."

Mit Allah und den Grauen Wölfen gegen Minderheiten

Seitens der Unterstützer der Anti-PKK- und IS-Demos wird kein Hehl aus der Sympathie [7] für die türkischen Faschisten, die Grauen Wölfe, bzw. deren Gründer Alparslan Türkeş, gemacht. "Kurz und klar" bewirbt die Demo mit einem Video [8] (Slogan u.a.: "Du willst den Dreck nicht mehr sehen") und hat die Polizei in den betreffenden Städten angeschrieben, mit der Forderung, die pro-kurdischen Gegen-Demos zu verbieten.

Außerdem mobilisiert die Rocker Vereinigung Turkos-MC zu den Demonstrationen am 10. April. Ihre faschistische und rassistische Ideologie lässt sich an den offen zur Schau gestellten Symbolen erkennen.

Der Boxclub Osmanen Germania ruft ebenfalls zur Teilnahme auf. Dessen menschenverachtendes, männlich-gewaltverherrlichendes Weltbild zeigt sich u.a. in einem Rap-Video [9]. Ein musikalisches Bekenntnis mit religiösen Vesatzstücken zu einem Ziel, das schon die Hamas, die sich darin als Teil einer weltumspannenden Bewegung vorstellte, in ihrer Charta 1988 benannte: die Übernahme der Macht. Der kommende Sonntag wird vermutlich eine anschauliche Demonstration dieses Vorhabens.

Indoktrination von Staats wegen über Imame

Hinter DITIB steht das türkische Religionsministerium, die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" (DIYANET). Diese schickt in der Türkei ausgebildete Imame in die Welt hinaus, u.a. auch nach Deutschland. Zahlreiche der hiesigen Moscheen unterstehen DITIB und somit DIYANET. Und sind logischerweise gebunden an die Vorgaben aus der Türkei.

Die Etablierung von DITIB ist eine der vielfältigen Formen der deutschen Unterstützung der türkischen Regierung. Ursprünglich gedacht, um die Integration der hier lebenden muslimischen Türkinnen und Türken zu erleichtert. Allerdings ist dieser vielleicht sogar gut gemeinte Versuch gnadenlos gescheitert, und hat nicht selten zur Schaffung von Parallelgesellschaften geführt. Und auch dazu, dass junge Menschen u.a. in den DITIB-Moscheen für den "Heiligen Krieg" rekrutiert werden.

Jedenfalls war es im Interesse der damaligen türkischen Regierung unter Tansu Çiller: "Nach offiziellen Angaben leben in Deutschland mehr als zwei Millionen Menschen aus der Türkei, die täglich mit zwei Welten, die man mit 'morgens Deutschland - abends Türkei' umschreiben kann, konfrontiert sind", schreiben Fikret Aslan und Kemal Bozay in dem Buch "Graue Wölfe heulen wieder" (Unrast Verlag). Die Autoren beschreiben die Bestrebungen der Çiller-Regierung, den Landsleuten im Ausland "ein türkisch-nationalistisches Bewusstsein einzuimpfen". Çiller waren dabei reaktionäre politische Gruppierungen wichtiger als religiöse. Doch beide haben nun scheinbar zu einer politisch hochexplosiven Symbiose gefunden.

Verherrlichung des Märtyrertums

Vom DIYANET [10] aus, also quasi im Auftrag oder zumindest mit Einverständnis der türkischen Regierung, werden Weisheiten - die Fatwas - in die Welt posaunt, z. B., dass es keine Sünde sei, wenn Väter ihre Töchter ansähen und dabei Lust empfänden, dass Händchen halten vor der Ehe unislamisch sei. Ebenso Augenbrauen zupfen. Das klingt alles amüsant, in der Realität dient es jedoch der sozialen Kontrolle - insbesondere von Frauen.

Inwiefern die Vorgaben aus der Türkei 1:1 in den Predigten der Imame in deutschen Moscheen umgesetzt werden, ist nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Auch nicht, welche Koranstellen und welche Interpretationen welcher Geistlicher verwendet. Aber es liegt nahe, dass diejenigen, die die Gebetshäuser finanzieren, Einfluss nehmen wollen auf die Inhalte.

In der Ausgabe April 2016 der monatlichen DIYANET-Zeitschrift für Kinder wird in einem Comic das Märtyrertum (soldatischer Heldentod) verherrlicht. Dargestellt wird eine Konversation in einer gläubigen Familie, die auf dem Sofa (Vater und Sohn) und der in der Küche (Mutter und Tochter) beginnt und für den männlichen Teil der Familie mit einem Besuch am Grab gefallener Soldaten endet. "Wie schön ist es, als Märtyrer zu sterben!", sagte der Vater. Auch dem Sohn gefällt die Idee. Da will auch die Tochter als Märtyrerin sterben. Der Sohn macht sich lustig, dass seine Schwester ja gar keine Märtyrerin werden könne. Doch die Mutter beruhigt sie, Allah werde schon eine Lösung finden, wenn sie das wirklich wolle.

Dargestellt wie gesagt in einer religiösen Zeitung für Kinder, herausgegeben vom Religionsministerium - das die Inhalte der Predigten auch in deutschen Moscheen bestimmt [11].

Keine Frage der Höflichkeit

Dass der islamische Fundamentalismus auch bei manchen Muslimen in Europa hoch im Kurs steht, zeigt ein aktuelles Beispiel aus der Schweiz. In einer Sekundarschule in Basel ist es üblich, dass die Schülerinnen und Schüler sich nach dem Unterricht mit einem Händedruck von ihrer Lehrerin verabschieden [12]. Zwei muslimische Schüler (14 u. 15 Jahre alt) verweigerten diesen Händedruck mit der Begründung, muslimischen Männern sei es nicht gestattet, eine andere Frau als die eigene Ehefrau zu berühren.

Nun lässt sich vortrefflich darüber streiten, inwiefern Händeschütteln in der Schule notwendig ist. Und ob diese Sitte anderen Kulturen aufgezwungen werden muss. Darüber ist in der Schweiz ein Streit entbrannt, in der Mehrheitsgesellschaft, aber auch in der muslimischen Community.

Interessant an diesem Vorfall ist allerdings nicht in erster Linie die Frage, ob die beiden jungen Muslime sich ihrer Lehrerin gegenüber despektierlich verhalten, sondern was dahintersteckt: Der Vater der beiden, Ibrahim S., ist Imam in der saudi-arabischen Faysal-Moschee in Basel. "Die Moschee war bereits mehrfach in den Negativschlagzeilen: 2013 berichtete die 'Basler Zeitung', dass es zu Predigten gegen Ungläubige gekommen sei. Unter anderem sollen Koranverse und Bücher zitiert worden sein, die Kirchenglocken als Ding des Teufels verurteilen. An einer Wand in der Moschee habe eine Fatwa (Rechtsauskunft) 'Verbrechen jedweder Art' an Menschen eines ungläubigen Staates legitimiert", berichtet das Internetmagazin 20minuten.ch.

Einer der beiden Jungen postete [13] in Sozialen Netzwerken eine Propaganda-Botschaft des IS, bei der auch eine Flagge der Terrormiliz zu sehen ist. "Im Video hantiert eine vermummte Gestalt mit einer Kalaschnikow. N. S. kommentiert: 'Jeder Muslim soll liken.' Ein anderes Video zeigt den Salafisten-Prediger Pierre Vogel."

Der boxt [14] übrigens auch. Die Verquickung zwischen DIYANET, bzw. ATIB, dem österreichischen Ableger des türkischen Religionsministeriums, hat in Österreich zur Ausweisung der von DIYANET ausgebildeten und finanzierten Imame geführt (Österreich will das Problem Islamismus bei den Wurzeln packen [15]). Hierzulande wird nun am kommenden Sonntag u.a. DITIB als Mit-Organisator der Anti-Terror-Demos auftreten.

"Werde Deutscher - bleibe Türke"

Schon Çiller wollte ihre "Landsleute im Ausland" laut Aslan und Bozay für ihre Zwecke einspannen: "Der Kampf gegen den Terrorismus sollte nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland - insbesondere in Europa - geführt werden." Auch Erdoğan setzt bekanntermaßen auf seine "Landsleute im Ausland".

Es sei ein offenes Geheimnis, "dass der türkische Staat seit Jahrzehnten in Deutschland und in Europa geheimdienstlich, organisatorisch und propagandistisch tätig ist. Wie in der Vergangenheit ist es nicht auszuschließen, dass während oder nach diesen Demonstrationen Angriffe gegen Demokraten gestartet und Ausschreitungen provoziert werden", heißt es in einer von alevitischen, kurdischen, türkischen, liberalen, sozialistischen und gewerkschaftlichen sowie auch islamischen Organisationen gemeinsam verfassten Erklärung. Das Bündnis ruft die demokratische Öffentlichkeit auf, die Gegendemonstrationen für die Demokratisierung der Türkei, für die demokratische und friedliche Lösung der kurdischen Frage zu unterstützen.

In Hamburg soll die religiös-nationalistische Demonstration ausgerechnet in der Sternschanze beginnen. Dabei ist es fraglich, ob diese Idee einer gewissen Naivität entspricht oder dem in dem Video des Boxerclub Osmania formulierten Anspruch, die Macht zu übernehmen. In jedem Fall wird es als Kampfansage verstanden, das linke Multi-Kulti-Viertel wird der kruden Mischung aus politischer und religiöser Reaktion garantiert nicht kampflos überlassen.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.facebook.com/AYTK-Almanya-Yeni-Turk-Komitesi-1004762422889709/?fref=nf
[2] https://linksunten.indymedia.org/de/node/174888
[3] https://www.heise.de/tp/features/PKK-K-eine-Erfolgsgeschichte-3374986.html
[4] https://www.facebook.com/kurzundklar/videos/1684592908456869/
[5] http://www.uetd.de/
[6] http://www.ditib.de
[7] https://www.facebook.com/kurzundklar/photos/a.1625689981013829.1073741828.1612122092370618/1685565208359639/?type=3&theater
[8] https://www.facebook.com/kurzundklar/videos/1684592908456869/?hc_location=ufi
[9] https://www.youtube.com/watch?v=psfMLKIjGTY
[10] http://www.diyanet.gov.tr/
[11] http://www.diken.com.tr/diyanetten-cocuklara-sehadet-ogudu/
[12] http://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Der-Haendedruck-gehoert-zur-Schweizer-Kultur--14486343
[13] http://www.20min.ch/schweiz/news/story/Schueler-teilten-IS-Videos-auf-Facebook-17235435
[14] https://www.youtube.com/watch?v=qzz7hXfJygI
[15] https://www.heise.de/tp/features/Oesterreich-will-das-Problem-Islamismus-bei-den-Wurzeln-packen-3378587.html