Der Papst, die Sozialdemokratie und die Einheizer des Ukraine-Kriegs
Die Angst regiert: Wie der Ukraine-Krieg die bürgerliche Contenance auflöst. Die medialen Eliten der Berliner Republik sind in Rage. Ein Kommentar.
Das Gegenteil vom Einfrieren ist das Aufheizen. Und wer will schon einen Krieg anheizen - außer vielleicht Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus dem Wahlkreis der Düsseldorfer Rheinmetall?
Man fragt sich also, was eigentlich so schlimm daran soll, einen Krieg, den man offenbar nicht entscheiden kann – jedenfalls nicht zu den eigenen Gunsten – dann wenigstens einzufrieren?
Und so aus einem heißen Konflikt, bei dem täglich Menschen sterben, einen kalten zu machen, bei dem ein bleierner Waffenstillstand ein ungeliebten Status Quo für den Augenblick auf Dauer stellt, und zwei verschiedene verfeindete Seiten einander gegenüberstehen.
Dies wäre im Prinzip nichts anderes als das Szenario, unter dem Europa über 40 Jahre lang friedlich gelebt hat: der Kalte Krieg. Auch damals war ein Teil Europas – in der Diktion der Konservativen – unfrei und unter sowjetischer Knute, ein anderer Teil "neutralisiert".
Und doch hat wenig die politischen und medialen Eliten der Berliner Republik derart in Rage gebracht, wie die Bemerkung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich
"Den Krieg einfrieren und beenden"
Was war geschehen? In der Debatte um die "Unterstützung der Ukraine" am 14. März hatte Mützenich zunächst darauf hingewiesen: "In keinem anderen europäischen Land (…) wird über ein einzelnes Waffensystem so viel gestritten wie in Deutschland."
Er hat auch die eigene Koalition kritisiert: "Manches Maß ist verloren gegangen, auch manches Maß in der Koalition." Das zielte vor allem auf Strack-Zimmermann und den grünen Rechtsaußen Anton "Panzertoni" Hofreiter, aber auch auf den Rest der beiden kleineren Koalitionsparteien.
Zugleich sagte er, es müsse damit umgegangen werden, dass viele Länder außerhalb Europas einen anderen Blick auf diesen Krieg hätten.
Dann hatte Mützenich Folgendes gesagt:
Und da bin ich bei der Frage – es wird hier im Deutschen Bundestag offensichtlich manchmal schon als Schandfleck bezeichnet, wenn man sie allein nur stellt: Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?
Rolf Mützenich
Baerbock schüttelt betont den Kopf
Im schwarz-grünen Kostüm saß Annalena Baerbock auf der Ministerbank und bemühte sich an keiner Stelle der Mützenich-Rede zu lächeln, sondern verärgert und verdrossen auszusehen. Bei der Passage zum Einfrieren schüttelte sie sehr betont ihren Kopf.
Schon längst eingefroren ist derweil das Koalitionsklima. Das zeigten die maßlosen Kommentare von Hofreiter ebenso wie die Bemerkung der grünen Katrin Göring-Eckardt in der FAZ:
Wer wie Rolf Mützenich den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine "einfrieren" will, gibt dem Aggressor nach und verlangt von den Menschen in der Ukraine, sich einem Diktator zu unterwerfen.
Katrin Göring-Eckardt
Im Nachgang der Rede kam dann der offene Hass des ehemaligen ukrainischen Botschafters Andreij Melnyk. Melnyk schrieb auf X/Twitter über Mützenich: "Habe immer gesagt: Dieser Typ war und ist der widerlichste deutsche Politiker. Für immer und ewig."
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Andrij Melnyk: Er ist wieder da – und pöbelt wieder
Dabei liegen die Dinge bei genauer Betrachtung nicht so einfach. Denn auch wenn in Medien wie in der FAZ immer gern betont wird, dass Grüne und FDP in der Ukraine-Frage näher bei der Union liegen, und gezählt wurde, dass zwei FDP-Abgeordnete (Stack-Zimmermann und Wolfgang Kubicki) den Antrag der Union zur Taurus-Frage unterstützten, wird zugleich gern vergessen, dass bei der Union sogar drei Abgeordnete gegen die Taurus-Lieferung votierten, darunter der frühere CDU-Generalsekretär Mario Czaja.
Die Stimmung der Mehrheit der Bürger
Zugleich treffen Mützenich und die SPD in den Debatten um Taurus wie um den Ukraine-Konflikt als solchen sehr wohl die Stimmung der Mehrheit der Bürger.
Sie hat sich in den letzten Wochen – wohl durch klare Haltung des Kanzlers, aber auch unter dem Eindruck der ukrainischen Niederlagenserie – sehr deutlich gegen eine Waffenlieferung ausgesprochen.
Umfragen sollten nicht die Politik bestimmen und sind sowieso nur Momentaufnahmen. Aber laut Deutschlandtrend der ARD ist die Zustimmung zur Lieferung von Marschflugkörpern durch Deutschland an die Ukraine um sieben Prozent auf 29 Prozent gesunken.
Gegen die Lieferung sind inzwischen 61 Prozent (plus neun Prozent). Gerade in Ostdeutschland, wo im September drei Landtagswahlen anstehen, sind viele Bürger der Ansicht, dass der Krieg irgendwie beendet werden muss, und damit genau auf der Linie der SPD.
Waffenstillstand: In Gaza gut, in der Ukraine böse
Es ist sowieso ein Paradox: Im aktuellen Gaza-Konflikt, bei dem Parteinahme für Israel zur Staatsraison der Bundesrepublik erklärt wurde, tritt die Bundesaußenministerin offen für einen "humanitären Waffenstillstand" ein; im Ukraine-Konflikt – und die Ukraine ist glücklicherweise nicht deutsche Staatsraison – wird die gleiche Forderung behandelt wie die Vorstufe zum Landesverrat.
Dabei ist das Ausloten von Waffenstillstandsoptionen gerade für diejenigen dringend geboten, die es mit der Ukraine gut meinen. Sind Kiews Truppen doch zuletzt immer stärker in die Defensive geraten, und zwar nicht wegen der fehlenden Marschflugkörper, sondern wegen fehlender Soldaten und aus Munitionsmangel.
Die Frage ist längst nicht mehr, wie die Ukraine "siegen" kann, sondern wie der Westen einen Diktatfrieden Russlands verhindern kann.
Was erlauben Papst?
Und dann verlässt der Papst auch noch die CDU-Linie! Das Oberhaupt der Katholischen Kirche sagte in einem Rundfunkinterview, in "dem es um die Farbe Weiß ging: das Weiß des Papstes, weiße Brautkleider, weiße Tauben – und eben auch die weiße Fahne" (SZ):
Ich glaube, dass derjenige der Stärkere ist, der die Lage begreift; der an die Bevölkerung denkt; der den Mut zur weißen Flagge, zur Verhandlung hat. (…) Verhandeln ist nie eine Kapitulation. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen.
Papst Franziskus
Im Gegensatz zur Bundesaußenministerin, die auch bei Caren Miosga vor allem den Kopf schüttelte und Papst Franziskus nur ratlos kommentierte: "Ich verstehe es nicht", hatte die Süddeutsche Zeitung sehr gut verstanden:
Für diesen Papst ist nicht Europa das Zentrum seines Denkens, er sucht die Ränder, geografisch und thematisch. Deshalb die Kritik am herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystem, das er für soziale Not verantwortlich macht. (...)
Und dann eben der Krieg, sein ewiges Thema (…)
Und dann kommt, (…) das Credo, das ihn auch heute umtreibt:
"Nie wieder Krieg, nie wieder Waffenlärm. Nie wieder solches Leid. Friede für alle, ein dauerhafter Friede ohne Waffen."
Die Leiden der Menschen in der Ukraine, im Gazastreifen, an vielen anderen Brennpunkten der Welt – der Papst weiß mehr von ihnen aufzuzählen als viele seiner schnellen Kritiker. Seine Gedanken sind nie bei Militärtaktik und Sicherheitsstrategien, sondern immer bei den Opfern. 'Welche Schuld trägt die Bevölkerung? Warum muss sie einen so hohen Preis und sogar mit dem Tod bezahlen?" (…)
Heiklen Themen weicht er nicht aus.
Marc Beise, SZ
Ansonsten gab es nirgendwo auch nur den Versuch die Äußerungen des Papstes zu verstehen.
Die Toten sind egal – Hysterie und Lebenslügen regieren im Westen
Stattdessen reagierten Strack-Zimmermann, Hofreiter, CDU-Kiesewetter & Co regelrecht hysterisch auf den Papst. Seit Beginn des Krieges fordern sie immer mehr und immer stärkere Waffen: Sturmgewehre, Haubitzen, dann Drohnen, später Panzer und nun Marschflugkörper, immer verbunden mit der sich stets als falsch erweisenden Prognose, Putin werde dann schon einsehen, dass er nicht gewinnen könne.
Genau das stimmt nicht, sondern ist eine fatale Fehleinschätzung der Russen, die in Deutschland Tradition hat.
Man sollte besser begreifen, dass Papst Franziskus voll auf der Linie der außereuropäischen Staaten liegt, insbesondere der Brics-Staaten Brasilien, Indien und Südafrika, die einen umgehenden Waffenstillstand und Verhandlungen fordern.
USA und Nato: Eindimensionale Strategie
Der Papst hat sich mit seinen Äußerungen in bewussten Gegensatz zu den zunehmend isolierten Kriegs- und Eskalationsbefürwortern gestellt. Die Strategie der USA und ihrer Nato-Vasallen ist eindimensional.
Für sie sind geschätzt mindestens 75 000 getötete russische und 50 000 getötete ukrainische Soldaten, 130. 000 russische, 110.000 ukrainische Verletzte sowie mehr als 10 .000 tote Zivilisten noch immer nicht genug.
Denn wenn die Ukraine "verliert", "dann stünde Putins Invasionsarmee an der Grenze zu vier NATO-Staaten. Dann würden sich auch Berlin ganz andere Fragen stellen als bisher. Es ist im höchsten Interesse Deutschlands, dass Putin noch in der Ukraine gestoppt wird", - so Bertold Kohler in der FAZ vom 15.03.2024.
Darum geht es eigentlich. Nicht um die Ukraine. Es ist höchste Zeit, dies wenigstens auch auszusprechen.
Aber vorläufig gilt: Der Ukraine-Krieg ist offenkundig tatsächlich in der Lage, das, was einmal bürgerliche Contenance war, zu brechen. Die Angst und die Lebenslügen regieren zumindest bei den politischen und medialen Eliten.