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Der Präsident der USA im Infowar: Wenn eine Medienlandschaft den Knall nicht hört

Screenshot aus dem YouTube-Video des Infowars-Gesprächs

Donald Trump war im November 2015 zu Gast in der Alex Jones Show - Sagt das auch etwas über den Journalismus der Leitmedien aus?

Über eine halbe Stunde dauerte im November des vergangenen Jahres der Auftritt von Donald Trump bei Infowars.com. Infowars, auch "Die Alex Jones Show" genannt, steht wie kein anderes Medienformat für den Kampf um die Deutungshoheit zwischen den Leitmedien und alternativen journalistischen Formaten. Was bedeutet es, wenn ein Mann, der nun zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde, Wahlkampf in einem Medium betreibt, in dem sich der Konflikt zwischen legitimen und illegitimen Bestimmern der Wirklichkeit geradezu symbolisch verdichtet?

Es bedeutet vor allem eins: Sowohl in den USA als auch hierzulande hat nahezu eine gesamte Medienlandschaft den Knall nicht gehört. Und wie es aussieht, soll er auch weiterhin nicht gehört werden.

Donald Trump war im November 2015 zu Gast bei Alex Jones [1]. Vielleicht empfiehlt es sich diesen Satz noch einmal zu lesen, aber an seinem Inhalt ändert sich nichts. Fest steht: Ein Mann, der ein Jahr später zum 45. Präsidenten der USA gewählt worden sollte, hat Wahlkampf in einem Medium gemacht, das wie kein anderes für einen Journalismus steht, wie ihn die großen Medien kaum mehr verachten könnten. Infowars, das ist, um den Kampfbegriff zu verwenden, sozusagen das Epizentrum der Verschwörungstheorien.

Und genau in diesen Epizentrum, in dem die These von einem 9/11-Inside-Job und einer Machtelite vertreten wird, die darauf aus ist, eine Weltdiktatur zu errichten, hat sich Trump begeben. Was ist da los?

Wenn ein "illegitimer" Präsidentschaftskandidat (denn das war und ist Trump für einen großen Teil der Medien) und ein "illegitimer" Journalist zusammenkommen und am Ende trotz ihrer scheinbaren "illegitimen" Position der eine legal zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wird und der andere sagen kann: "Ich habe den Präsident unseres Landes in meinem 'illegitimen' Format interviewt", dann muss nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im journalistischen Kosmos etwas Schwerwiegendes passiert sein. So eine Situation entsteht nicht über Nacht.

Einer der Gründe: Seit langer Zeit ist eine partielle Blindheit aufseiten führender Journalisten, Leitartikler und Redakteure zu beobachten. Schwerwiegende gesellschaftliche Probleme werden nicht erkannt, verleugnet, schöngeredet oder völlig falsch bewertet - das gilt genauso für ihren Umgang mit Entscheidungen der politischen Elite.

Die Tatsache, dass der neue "president-elect" der Vereinigten Staaten von Amerika in einem Format zu Gast war, dessen Macher sich Zugang zum Bohemian Grove [2] verschafft und darüber berichtet hat, wie Teile der US-amerikanischen Elite mit Roben verkleidet vor einer großen Eulenstatue stehen und ein Ritual mit Namen Cremation of Care praktizieren, um ihrer "social cohesion" [3] zu festigen, lässt tief blicken.

Die Tatsache, dass Trump zu Gast in einem Format war, dessen Macher bereits die Treffen der Bilderberger in den Fokus rückte, als selbst gestandene politische Korrespondenten bei dem Begriff "Bilderberg-Group" nur mit den Achseln zucken konnten, verrät viel über das, was in den USA, aber auch in Deutschland, gerade passiert.

Scheuklappen und Populismus

Man kann sicherlich als Vertreter eines Qualitätsjournalismus, der Informationen und Sachverhalte nach journalistischen Maßstäben nüchtern, objektiv, sachlich bewertet und einordnet, zu dem Ergebnis kommen, dass ein Berichterstattungsexzess bei dem Stichwort "Bobbycar" [4] erfolgen muss. Auch kann man eine verschwiegene Zusammenkunft von 140 führenden Persönlichkeit der westlichen Welt als einen Kaffeeklatsch betrachten, der von keinerlei öffentlichem Interesse [5] ist.

Genauso dürfen die Entscheider in den Redaktionen zu dem Ergebnis kommen, dass eine Berichterstattung auf Steroide zu erfolgen hat, wenn ein etwas älterer Politiker gegenüber einer jüngeren Journalistin zur vorgerückter Stunde eine anzügliche Bemerkung [6] macht. Und im Falle einer spektakulären Mordserie [7] kann man sich gewiss entscheiden, das zu tun, wozu man sich - in der einen oder anderen Variation - quasi immer entscheidet, wenn es um einen zeitaufwendigen Investigativ-Journalismus geht: Man schlägt sich um die beschränkte Anzahl an Plätzen im Gericht, lässt mit den Trommeln des Boulevards den "Teufel" [8] in München auflaufen, aber ansonsten beschränkt man sich was die Berichterstattung angeht auf das, was die Agenturen liefern und überlässt den investigativen Teil nicht mehr als einer Handvoll Kollegen.

Jedem journalistisch Interessierten sei dieses Video [9] aus der John Olivers Show Last Week Tonight empfohlen - ein Stück Satire, das einem im Hals stecken bleibt. Kurz: Ein Reporter stellt in der Redaktionskonferenz ein Thema vor. Es geht um den Korruptionssumpf in der eigenen Stadt. Alle am Tisch ziehen daraufhin lange Gesichter. Keiner ist begeistert. Sehr viel Begeisterung gibt es aber für den Vorschlag einer jungen Journalistin, die eine "tolle Geschichte" über eine Katze machen möchte, die aussieht wie ein Waschbär - ab Minute 15:00).

Medien können sicherlich solche Entscheidungen treffen. Sie sollten sich dann aber nicht darüber beschweren, dass Mediennutzer sich von ihnen abwenden und irgendwann eine gesellschaftliche Situation entsteht, in der sich zusammenfügt, was sich besser nicht zusammenfügen sollte.

Festgestellt werden kann: Wir haben es mit einer geradezu schizophrenen Situation zu tun. Sowohl in den USA als auch in anderen westlichen Demokratien beschweren sich Vertreter großer Medien über den Aufstieg der Populisten. Sie sind entsetzt über den Wahlsieg von Trump. Aber dass auch ihre eigene Betriebsblindheit mit zu der Situation beigetragen haben könnte, scheint aus ihrer Sicht wohl noch immer völlig absurd.

Längst ist es, um den Fokus weiter auf Deutschland zu richten, nicht mehr unrealistisch, dass die AfD in den Bundestag einzieht und vielleicht sogar die stärkste Oppositionspartei wird. Sollte sich die AfD stärker jene Teile der alternativen Medien zu Nutze machen, die längst eine Reichweite und ein Publikum haben, die nicht mehr übersehen werden können, dann stünde Deutschland, um einen Blick ins Jahr 2021 zu werfen, womöglich auch ein "8. November" bevor.

Man stelle sich nur einmal vor, wie es wäre, wenn Frauke Petry im Dezember 2020 in einem jener alternativen Formaten in Deutschland zu Gast wäre, auf das die Alphajournalisten voller Verachtung blicken und dann im Oktober 2021 mit ihrer Partei eine Regierungsmehrheit erreichen würde.

Nun sind bekanntlich die Schweden keine Holländer und die USA nicht Deutschland, aber mal unabhängig davon, wie realistisch dieses Szenario sein mag oder nicht: Man kann nur darauf hoffen, dass alleine schon das bloße Gedankenspiel zu einer Schockfrostung der Eingeweide des mainstreammedialen Feldes führt. Auf dass die Schockfrostung dazu führt, dass sich der Journalismus wieder auf das konzentriert, was Mediennutzer erwarten: Ideologische Scheuklappen ablegen, erkennen, dass die eigenen Vorstellungen von der politischen Wirklichkeit nicht über jeden Zweifel erhaben sind, um endlich einen gesellschaftspolitisch kritischen Journalismus zu liefern.

Grundlage für die Kritik an der Berichterstattung großer Medien

Erschreckend ist: Wer sich näher mit der Berichterstattung der großen Medien in Deutschland auseinandersetzt, muss feststellen, dass es eine reale Grundlage für Verärgerung oder gar Wut auf den gelieferten Journalismus dieser Medien gibt.

Und das bedeutet: Die Gefahr, dass auch hier einmal Kandidaten auf der politischen Bühne auftreten werden, die geschickt die Wut der Menschen über eine Medienlandschaft, die an ihnen vorbei berichtet, aufnehmen wird, um damit Politik zu machen, ist real. Oft genug waren bei den großen, prägenden Ereignissen diejenigen, die eigentlich für Fakten zuständig sind, im Postfakten-Modus unterwegs.

Als sich Menschen aus Ost und West in den Armen lagen, weil das Land endlich wiedervereint wurde, berauschten sich Eliten aus Politik und Journalismus gemeinsam an dem Ereignis [10] und versuchten sich an einer möglich positiven Bewertung der Probleme (Stichworte Einheit plus Portokasse).

Als wackere Professoren vor das Bundesverfassungsgericht zogen und vor den Gefahren des Euros warnten, erklärte [11] Ulrich Wickert in einem Welt-Interview, dass der Euro "aus historischen, politischen und finanz- und wirtschaftspolitischen Gründen zu einer Erfolgsgeschichte" werde, während Theo Sommer, langjähriger Chefredakteur der Zeit, unter der Überschrift "Der gute Tausch" [12] Kritiker der Einheitswährung "poltern" ließ und den Lesern riet, sich "kein X für ein U vormachen zu lassen" - von den "Pseudopropheten". Anders gesagt: Im Großen und Ganzen waren sich Alphajournalisten einig: Euro = gut.

Die schlimmen, weitreichenden Konsequenzen, die der Euro in der Form, wie er konzipiert wurde, für Europa haben sollte, wurden wahlweise als naiv belächelt oder mit publizistischer Aggressivität zur Seite geschoben.

Als der Kosovo-Krieg [13] anstand, schlossen weite Teile der großen Medien ihre Reihen. Schließlich ging es um das ganz große Kino. Frieden, Freiheit und so. Die Medien hätten zwar laut "Völkerrechtsbruch!" rufen müssen, aber was ist schon ein Völkerrechtsbruch, wenn es einen "Hufeisenplan gibt?

Im Jahr 2014 gestand [14] bei einer Matinee der Wochenzeitung Die Zeit der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder selbst offen ein, sich über das Völkerrecht hinweggesetzt zu haben: "Natürlich ist das, was auf der Krim geschieht, etwas, was auch Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Aber wissen Sie, warum ich ein bisschen vorsichtiger bin mit dem erhobenen Zeigefinger? Das will ich Ihnen gerade sagen. Weil ich es nämlich selbst gemacht habe, gegen das Völkerrecht verstoßen." Für die öffentliche Rezeption dieses Krieges hat das heute allenfalls den Charakter einer Fußnote.

Und so ließen sich viele Beispiele anführen, die erkennen lassen: Die Kritik an der Berichterstattung ist nicht aus der Luft gegriffen. Ein kurzer Blick:

Gewiss: Diese Darstellung ist mit einer Prise Ironie versehen. Zu all diesen Themen finden sich in den großen Medien auch differenziertere [15] Betrachtungen. Das Problem: Sie sind eher die Ausnahme als die Regel.

Visuell hervorragend auf den Punkt bringt die Lage das bekannte Spiegel-Cover ("Stoppt Putin" [16]), das man als eine Art sichtbaren Ausdruck einer Medienlandschaft betrachten darf, die der festen Überzeugung zu sein scheint: Die Menschen außerhalb ihres Redaktionsgebäudes leben in einer Wirklichkeitsblase und nur innerhalb der Redaktionen existiere die wirkliche Wirklichkeit.

Als die viele Mediennutzer Sturm liefen und sich über die Schieflagen in der Berichterstattung massiv beschwerten, fiel so manchem großen Medium nichts besseres ein als die Leserforen dicht zu machen (Der Kampf um die Leserforen [17]). Der Leser soll gefälligst die über jeden Zweifel erhabenen Zeitungen kaufen, aber seine Meinung möge er bitte für sich behalten (FAZ schaltet lieber ab) [18]. So ein Mediensystem ist weit weg von einer ernsthaften kritischen Selbstbetrachtung.

Sendung: ARD-Presseclub, 6. November 2016 [19]

Moderator: Jörg Schönenborn. Zu Gast sind: Michael Bröcker, Brigitte Fehrle, Alexander Kain, Margarete von Ackeren. Folgendes Szenario:

Schönenborn sagt: "Jetzt mal tief aus dem Herzen...." und möchte dann von der Runde wissen, welche Regierungskoalition gut für das Land wäre. Brigitte Fehrle meldet sich zu Wort und sagt: "Schwarz-Grün". Nach und nach sagen auch die anderen in der Runde, was sie denken. Schöneborn stellt fest, dass im Prinzip alle einer Meinung sind.

Er fragt: Gibt es denn jemand, der Frau Fehrle in der Sache widerspricht? Ein "nä" kommt aus der Runde und Schönenborn sagt: "Dann haben wir ein Problem, weil dann der Eindruck erscheint, dass das wieder so ein Journalisten-Ding ist und hier alle unter einer Decke stecken."

Der Knall, er wurde nicht gehört. Nein, man weigert sich mit Nachdruck, ihn zu hören. Man macht so weiter, wie man es immer gemacht hat. Keine Kurskorrektur. Soll der Eisberg doch ausweichen. Oder noch besser: Das, was da aussieht wie ein Eisberg. Das ist gar keiner.

Schließen des Meinungskorridors

Da wird mit einem Augenzwinkern von so einem "Journalisten-Ding" geredet und so getan, als ob bei der Besetzung der Runde nicht von Anfang klar gewesen wäre, dass hier nun niemand dabei ist, der eine, nun ja, sagen wir: etwas subversivere Meinung vertreten würde. Anders gesagt: Die Meinungsvielfalt, die so dringend in den wichtigen Formaten zu finden sein müsste, ist selbst in der gegenwärtigen Situation noch immer nicht dort anzutreffen.

Selbst, wenn Mediennutzer scharenweise aufbegehren, wenn alternative Medien wie Pilze aus dem Boden schießen, um endlich der Meinungsvielfalt, wie sie in den Gesellschaften vorhanden ist, abzubilden, weigern sich weite Teile der Leitmedien, einen vernünftigen Meinungsquerschnitt abzubilden und in die heiligen Hallen der legitimen Diskursproduktion auch jenen Zutritt zu gewähren, die einen anderen Stallgeruch aufweisen.

Wer wollte ernsthaft bestreiten, dass in den großen Medien, in den großen politischen Talkshows immer und immer wieder dieselben Gäste sitzen? Ob FDP-Lindner oder FDP-Kubicki [20], ob SPD-Oppermann, CDU-Bosbach oder CDU-von der Leyen oder ob dieser oder jener Experte aus den immer selben Denkfabriken und Stiftungen: Weil das Mediensystem mit aller Macht dazu beigetragen hat, den Meinungskorridor bei den großen gesellschaftlichen und politischen Themen auf den Durchmesser eines Bambusrohrs zu reduzieren, ist "der Feind", den es jetzt zu bekämpfen versucht, erst entstanden.

Die folgenden Worte stammen von dem ehemaligen SPD-Politiker und Kommunikationswissenschaftler Peter Glotz, und sind bereits viele Jahrzehnte alt: "Viele Journalisten stellen nicht das zur Debatte, was die Gesellschaft bewegt, sondern das, was die Gesellschaft ihrer Meinung nach bewegen sollte. Ausdruck der Publizistenideologie ist die als Ethos kostümierte Auffassung, man dürfe doch X oder Y kein Podium bieten. Wem ich ein Podium biete, sagen viele Journalisten, entscheide ich selbst. Die Folge ist eine immer größer werdende Kluft zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung."

Niemand sollte sagen, man habe den Eisberg nicht kommen sehen. Vor langer Zeit ist er bereits aufgetaucht. Noch weit vom Bug entfernt. Doch mittlerweile ist der Zusammenstoß längst erfolgt. Die Außenwand wurde aufgerissen. Das Wasser dringt ein.

Doch die Kapitäne auf den Brücken der großen Medien reagieren, als wäre das Schiff unsinkbar. Wer den Eliten aus dem journalistischen Feld zuhört, könnte man meinen, die SPD steht vor einem.

Obwohl die Sozialdemokraten von 40,9 Prozent (Bundestagswahl 2002) auf 22,23 Prozent abgestürzt sind (derzeitige Umfragewerte), das heißt, Millionen von Wählern verloren haben, würden diese lieber mit einem Schild in der Hand untergehen, auf dem steht: "Im Prinzip war die Agenda 2010 richtig", als dass Sie endlich ihre schweren Fehler erkennen [21] und sich zu einer kompletten Kurskorrektur entscheiden.

Ähnlich "schwierig" ist es, wenn der Chefredakteur eines großen Mediums gegenüber dem Medienmagazin Zapp Folgendes sagt:

Natürlich müssen wir uns fragen, wie gehen wir Medien damit um? Was beschreiben wir jetzt? Haben wir die Gesellschaft so beschrieben, wie sie ist? Oder haben auch wir vom Spiegel hin und wieder einen elitären Blick auf deutsche Wirklichkeit gehabt? Weil wir in Hamburg sitzen, in Berlin sitzen. In deutschen Großstädten ist uns hin und wieder der Blick auf - das ist jetzt ein gemeines Wort - Provinz, Kleinstädte, Sorgen die es in Deutschland gibt, verloren gegangen. Das glaube ich schon.

Spiegel-Chefredakteur [22]

Man merkt diesen Worten an, wie schwer sich mit einer grundlegenden Kurskorrektur getan wird. Zu diesem Hin und Wieder sollte man vielleicht einfach nur anmerken: Hin und wieder wurde der Eisberg gestreift. Das kommt vor.

Um nur ein Beispiel anzuführen, was "Hin und Wieder" so heißen mag: Als der paritätische Wohlfahrtsverband seinen Armutsbericht in diesem Jahr veröffentlichte, sprach der Spiegel etwas vom "gefährlichen Blues" eines "bitterarmen Deutschland" [23]. Eine der Kernaussagen: Wer ein Armutsproblem herbeirede, unterstütze die AfD.

Beiträge wie diese sind es, die in ihrer Gesamtheit dokumentieren: Über einen sehr langen Zeitraum haben Journalisten schwerwiegende politische und gesellschaftliche Probleme schön geredet - in diesem konkreten Fall eben das Problem Armut.

Wer so journalistisch auf die Verwerfungen im eigenen Land blickt, müsste eigentlich deutlich das Trommeln der politischen Verführer hören. Aber nein: Es besteht keine Verpflichtung das Trommeln wahrzunehmen. Man darf sich auch weigern zur Kenntnis zu nehmen, dass Trump bei Alex Jones war.

Die gegenwärtige Lage, bei der Medien einer Kritik ausgesetzt sind, wie es wohl noch nie der Fall war, zeigt auch: Teile der journalistischen Elite haben es sich bequem eingerichtet. Nach außen hin wird man nicht müde zu betonen, wie weltoffen, kosmopolitisch und tolerant man ist, doch in Wirklichkeit hört die Toleranz bereits dann auf, wenn ihre Angehörigen auf die Sprache der unteren Klassen und Schichten treffen.

Hinter vorgehaltener Hand, in mehr oder weniger diskreter Runde, ist man brüskiert darüber, wie "die" da unten reden, schüttelt den Kopf über "deren" Ansichten und Meinungen. Hin und wieder, ja, da lässt man sich auf die Welt der Abgehängten und Gestrauchelten ein. Ein Reporter bzw. ein Fernsehteam klopft dann an die Haustür von Familie Meier. Man setzt sich 3-4 Stunden zu Siggi aufs Sofa oder hört sich an, was Kevin und Chantal so über Politik denken. Und dann geht es wieder raus, auf die Straße, man fährt nach Hause und muss erstmal durchatmen, schließlich: Das Reporterleben kann ganz schön anstrengend sein. Am Abend genießt man dann zur Selbstbelohnung einen 2009er Spätburgunder oder einen Malbec aus Argentinien und tauscht sich mit dem Partner oder der Partnerin (.....) über das, uff, aus, was man sich heute so antun musste.

Ja, was wäre das doch eine schöne Welt, wenn alle Bürger nur so wären wie "wir", hier im Juste Milieu.

Doch dem ist nicht so. Die "anderen", es gibt sie auch. Sie sind "da draußen". Sie sind so aktiv wie nie. Sie gehen zur Wahl und entscheiden sich tatsächlich für Kandidaten und Parteien, die den Wirklichkeitsmonopolisten in den großen Redaktionen quer liegen. Die einen stellen sich auf die Straße und rufen laut Lügenpresse, die anderen tauschen sich auf dem Markt oder in der Mittagspause in ruhigem Ton darüber aus, dass die Medien sie im Stich gelassen haben.

Und wieder andere, die politisch im Prinzip unbelastet sind, weder etwas mit rechts noch links zu tun haben, machen sich am Wahltag auf in die Wahlkabine und machen ihr Kreuzchen an einer Stelle, an der sie es noch nie gemacht haben. Um denen "da oben" eins auszuwischen und sich darüber zu erfreuen, dass die Kandidaten und Parteien, die die verhassten Medien favorisieren, nicht gewinnen. Und ja: Dann gibt es auch noch jene aus dem rechts-konservativen Lager, die sich aus voller Überzeugung einen kräftigen Rechtsruck in Deutschland wünschen und gerade dabei sind, Morgenluft zu wittern.

In solchen Situationen ist politisch vieles denkbar. Sie sind brandgefährlich. Eigendynamiken können entstehen, die in der Lage sind, die Stellwerke eines gesamten gesellschaftlichen Gefüges zu zerstören.

Was in diesen Zeiten des Umbruchs leider oft gerade von denen, die die bestehenden Verhältnisse kritisieren, nicht beachtet wird, ist: Die Hoffnung und der Glaube daran, dass auf der politischen Ebene grundlegende Veränderungen mit Verbesserungen gleichzusetzen sind, wurde oft genug in der Geschichte enttäuscht.

Die, die als Außenseiter nachrücken, mögen augenscheinlich anders sein, aber bei genauerer Betrachtung sind sie gar nicht so verschieden von denjenigen, gegen die Bürger rebellieren. Bedauerlicherweise gilt das auch für die alternativen Medienformate. Gut ist: Sie bilden ein Meinungsgegengewicht zu den Leitmedien. Sie greifen Themen auf, die von den großen Medien mit Nachdruck ignoriert werden. Sie haben den Meinungskorridor quasi aufgerissen. Phantastisch. Schlecht ist: Oft genug entwickeln sie sich, ähnlich den großen Medien, auch zu Mikrokosmen, in denen im Wesentlichen die eigene Sicht auf die Welt zum Widerhall kommt.

Allenfalls Berufsoptimisten dürften bei der gegenwärtigen Entwicklung auf einen insgesamt guten Ausgang hoffen.

Um eine Prognose zu wagen: Da das Versagen der gesellschaftlichen Eliten, immer deutlicher wird, versuchen diese immer angestrengter, ihre fatalen Weichenstellungen zu verschleiern oder zu beschönigen. Dadurch kommen die "Fehler" nur noch deutlicher zum Tage, weil viele Menschen ganz gut unterscheiden können, ob sie nun "ein Hund in die Hand gebissen" hat oder nicht - auch wenn ihnen insbesondere die Eliten aus den Medien dieses Urteilsvermögen gerne mal absprechen.

Die Bürger reagieren auf die Beschwichtigungsversuche zunehmend ungehaltener, machen immer deutlicher auf die Fehler der Eliten aufmerksam. Doch diese - weil man sich aus Eitelkeiten oder welchen Gründen auch immer nicht eingestehen will, wie schwer die Verwerfungen bereits sind, die durch katastrophale Entscheidungen in der Politik erfolgt sind - setzen sie noch eins drauf. Sie beschönigen noch heftiger und nehmen nicht wahr, dass ihre Situation der ähnelt, in der sich "Comical Ali", der Propagandaminister des Irak 2003 beim Einmarsch der USA präsentiert [24] hat ("Ich garantiere Ihnen dreifach: Es gibt keine amerikanischen Soldaten in Bagdad."

Die Nerven liegen blank

Es ist der bereits angesprochene schizophrene Moment, der zunehmend die Wahrnehmung, das Denken und Handeln von der politischen und journalistischen Elite bestimmt.

Erinnert sei an den längst legendären Auftritt des ehemaligen "Landesvater" von Rheinland Pfalz, Kurt Beck, der ein Stück Realsatire ablieferte, die kaum besser hätte sein können. Beck war auf dem Weg zu einer Veranstaltung, bei der er mit Schülern über Bürgerbeteiligung reden wollte. Draußen bei einem Interview unterbrach ihn ein Bürger mit dem für Beck als Reizwort empfundenen "Nürburgring". Becks Reaktion [25]: "Können Sie einfach mal das Maul halten ... Sie sind dumm." An Ausfällen wie diesen, lässt sich ablesen: Die Nerven liegen blank.

In den USA hat Hillary Clinton es sich nicht nehmen lassen, die Hälfte der Trump-Wähler als "erbärmlich" (deplorables) zu bezeichnen, hierzulande schmettert man dem unangenehmen Teil der Bürger ein "Pack" entgegen oder redet von "Armleuchtern" [26]. Kein Tag vergeht, an dem die legitimen Bestimmer der Wirklichkeit nicht das Wörtchen "gefühlt" verwenden.

Da ist davon die Rede, dass die Bürger das Gefühl hätten, sie seien abgehängt - das stimmt aber nicht. Niemand wird bei uns abgehängt. Da wird von einer "gefühlten Armut" geredet - aber in Deutschland ist niemand arm. Schließlich sind "wir" ein reiches Land. Da ist davon die Rede, dass die Bürger fühlten, "die Eliten" reagierten über ihre Köpfe hinweg - was gar nicht sein kann, schließlich leben wir in einer Demokratie. Da wird gesagt, Bürger hätten das Gefühl, dass Alphajournalisten zu eng mit den Herrschenden verbunden sind, dass Medien nicht objektiv berichten und politisch voreingenommen seien - aber auch all das: Es kann nicht sein. Warum? Darum.

Während diese Zeilen hier entstehen, ist auf der Seite eines großen Online-Mediums zu lesen [27]: "Menschen, die das Gefühl haben, dass die politische Klasse sie nicht mehr versteht, nutzen intensiv Social Media." Was soll man zu dieser Aussage noch sagen? Für den Gedanken, dass "die politische Klasse" die "Menschen" möglicherweise tatsächlich "nicht mehr versteht", ist in so einer Überschrift kein Raum mehr.

Hier haben wir ihn. Das ist der Grund dafür, dass Donald Trump bei Infowars auf Sendung war: Hüben wie drüben sind es nicht die Bürger, die sich weigern, der politischen Wirklichkeit ins Auge zu blicken, sondern schier ein ganzes Mediensystem, das sich im Kollektiv weigert zu erkennen.

Wollte man die Logik der großen Medien visualisieren, böte sich folgendes Bild. Ein Schiff hat einen Eisberg gerammt hat und Feuer ist ausgebrochen. Die Berichterstattung erklärt nun, dass das Feuer (das geleugnet wird) stark genug ist, um den Eisberg (der auch geleugnet wird) zu schmelzen.

Aber was ist dann mit dem Feuer auf dem Schiff? Nun, davor braucht man keine Angst zu haben. Schließlich verhält es sich wie alle Feuer: Irgendwann gehen sie, nachdem nichts mehr da ist, was sie verbrennen könnten, von alleine aus. Aber: Was ist denn mit den Menschen an Bord?

Nun, die müssen sich auch keine Sorgen machen.

Warum?

Na, weil es doch gar kein Feuer gibt!

Sie verstehen das nicht? Sie sehen Brüche in der Logik?

Macht nichts. Sie müssen auch nicht alles verstehen.

Schließlich ist die Welt komplex, nicht eindimensional.

Donald Trump im Infowar? C'est la vie.


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[1] https://www.youtube.com/watch?v=FJqLAleEnKw
[2] http://www.fr-online.de/politik/verbrannte-sorgen-spiel-mit-dem-feuer,1472596,3451372.html
[3] http://www2.ucsc.edu/whorulesamerica/power/bohemian_grove.html
[4] http://www.stern.de/politik/deutschland/freispruch-fuer-wulff-weshalb-das-bobby-car-wichtig-war-3398924.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Es-ist-eine-Privatisierung-und-Re-Oligarchisierung-der-Politik-zu-beobachten-3373147.html
[6] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sexismus-debatte-bruederle-sieht-sich-als-opfer-einer-medienkampagne-a-962830.html
[7] https://www.heise.de/-3191932
[8] https://www.heise.de/-3045701.html
[9] https://www.youtube.com/watch?v=bq2_wSsDwkQ
[10] https://www.heise.de/-3378111.html
[11] http://www.welt.de/print-wams/article612939/Warum-glauben-Sie-an-den-Euro-Herr-Wickert.html
[12] http://www.zeit.de/1998/09/euro.txt.19980219.xml
[13] https://www.heise.de/-3379205.html
[14] https://www.youtube.com/watch?v=EWSbvaucEVM
[15] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-krim-und-das-voelkerrecht-kuehle-ironie-der-geschichte-12884464.html
[16] http://meedia.de/2014/07/30/spiegel-rechtfertigt-sich-nach-massiver-kritik-fuer-stoppt-putin-cover/
[17] https://www.heise.de/tp/features/Der-Kampf-um-die-Leserforen-3255904.html
[18] https://www.heise.de/tp/features/FAZ-schaltet-lieber-ab-Propaganda-Verachtung-und-Hass-3255972.html
[19] http://www1.wdr.de/daserste/presseclub/sendungen/streit-in-der-union100.html
[20] http://www.focus.de/panorama/welt/medien-kubicki-und-von-der-leyen-sind-talkshow-koenige-2012_aid_884362.html
[21] http://www.nachdenkseiten.de/?p=32638
[22] http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Spiegel-Chefredakteur-Brinkbaeumer-An-der-Wirklichkeit-vorbei-geschrieben,zapp10110.html
[23] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/armut-paritaetischer-wohlfahrtsverband-spielt-mit-dem-feuer-a-1078831.html
[24] http://www.spiegel.de/politik/ausland/iraks-informationsminister-alle-lieben-comical-ali-a-246719.html
[25] https://www.youtube.com/watch?v=CZSAwX_ocvI
[26] http://www.stern.de/politik/deutschland/katrin-goering-eckardt-im-stern--armleuchter-gehoeren-eben-dazu-7206036.html
[27] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/donald-trump-soziale-medien-facebook-erreichbarkeit#comments