Der Realitätsverlust von Bundeskanzler Olaf Scholz

Seite 2: Eine unangenehme Wahrheit

Auch in einem anderen Punkt soll die Ampel Rechtsbruch betreiben und gegen das geltende Klimaschutzgesetz verstoßen haben. So sei der Klimaschutzbericht für das Vorjahr nicht an den Bundestag fristgerecht eingereicht worden. Auch die EU-Verpflichtung, einen Nationalen Energie- und Klimaplan vorzulegen, wurde wohl missachtet.

Und nicht zuletzt wurde nach wochenlangen "Heizhammer"-Kampagnen gegen die Wärmewende das Heizungsgesetz geschreddert. Selbst beim ersten ambitionierteren Gesetzesentwurf, so das Umweltbundesamt, wären die Klimaziele im Gebäudesektor nur schwer erreichbar gewesen.

Die jetzt eingefügte "Technologieoffenheit" und die lascheren Vorgaben machen die Zielerreichung noch unwahrscheinlicher, wenn nicht unmöglich – und erzeugen zugleich Fehlinvestitionen und am Ende Mehrkosten für die verunsicherten Bürger:innen.

Dabei müsste das Klimaziel der Bundesregierung noch aufgestockt werden, und zwar schnell. Denn die Emissionsmarke der Regierung, bis 2045 klimaneutral zu werden, ist bei Weitem nicht ausreichend, um die beim Pariser Klimagipfel vereinbarte Obergrenze von maximal 1,5 bis zwei Grad Celsius Erderhitzung einhalten zu können.

Wie der Weltklimarat IPCC berechnet hat, bleiben für 1,5 bis 1,7 Grad ab jetzt nur noch 350 Milliarden Tonnen an CO2-Äquivalenten übrig. Momentan verbrauchen wir pro Jahr global 40 Milliarden Tonnen. Also in nicht einmal zehn Jahren ist der "Kohlenstoffkuchen" aufgegessen. Die Emissionen müssten in wenigen Jahren, bis 2030, daher halbiert werden, um noch eine Chance zu haben, die Obergrenze zu halten.

Industriestaaten wie Deutschland müssten dafür ihr Tempo deutlich erhöhen und dürften zwischen 2030 und 2035 bereits keine Emissionen mehr ausstoßen, wie auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen feststellt.

Die Folgen eines Überschreitens der 1,5 bis zwei Grad Obergrenze an Erderhitzung sind allseits bekannt und an den gegenwärtigen Klimakrisen mit Hitzewellen, Dürren, Waldbränden, Stürmen, Überschwemmungen, Meeresspiegelanstieg und dem Abschmelzen von Gletschern gut zu studieren. Die rasante und eben nicht lineare Zunahme von Klimakatastrophen wird in Zukunft das Leben von Milliarden von Menschen gefährden.

Besorgniserregend ist dabei die immer dichtere Folge von Studien, die zeigen, dass Kipppunkte wie das Abschmelzen des antarktischen Eisschilds, das Auftauen von Permafrostböden oder die abnehmende Zirkulation in den Ozeanen erreicht sein könnten. Eine aktuelle Studie hat gerade davor gewarnt, dass Kipppunkte wie der Zusammenbruch des Amazonas-Regenwalds früher als vom IPCC prognostiziert schon vor 2100 eintreten könnten.

All das sollte uns zeigen, dass die Scholz-Rhetorik im Sommerinterview in einem Paralleluniversum stattfindet – und die Medien das Ganze nur wie eine Theaterperformance goutieren oder eben nicht. Die Probleme und Herausforderungen sind aber enorm und werden nicht durch nette Worte und bessere Kommunikation gelöst. Auch nicht durch ein bisschen Nachjustieren.

Am Ende ist es das politisch Radikale, das vom Aussitzen der Missstände profitieren wird.

Der renommierte Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bringt es in Bezug auf die verfehlte Klimapolitik der Ampel auf Spiegel Online derart auf den Punkt:

Wer jetzt weiterer Verschleppung das Wort redet, ruft zu verfassungswidrigem Verhalten auf. Und ist so verantwortungslos wie jemand, der bei einem nahenden Tsunami den Leuten erzählt, sie sollten ruhig noch am Strand verweilen.