Der Reform-Glanz schwindet
Die Initiative Neues Soziale Marktwirtschaft bekommt zunehmend Gegenwind: Bei der Präsentation ihres "Reformers des Jahres" kam jetzt unangemeldeter Besuch von den "Überflüssigen"
Zum dritten Mal vergab die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) den Titel „Reformer des Jahres“. Erstmals bekam ihn kein Prominenter aus dem eigenen Haus überreicht, wie zuvor ihr ehemaliger Botschafter Paul Kirchhoff oder das Gründungsmitglied des Fördervereins der INSM, Friedrich Merz. Vielmehr wollte die Initiative nach etlichen Negativschlagzeilen endlich wieder positive Meldungen produzieren.
Die Voraussetzungen dafür waren gut. Wie schon in den Jahren zuvor berichtete der öffentlich-rechtliche Sender „Phoenix“ live von der Lobbyveranstaltung und der Prämierte ist kein geringerer als der einflussreiche Verfassungsrichter Udo Di Fabio. Doch die Stimmung im prunkvollen Marmorsaal des Palais am Festungsgraben wurde jäh gestört, als über 20 „Überflüssige“ in roten Kapuzenjacken und weißen Gesichtsmasken das Podium stürmten. Sie überreichten der veranstaltenden INSM ihrerseits einen Titel: „Dreisteste Propagandakompanie des neoliberalen Kahlschlags“
Seit über einem Jahr tauchen die Überflüssigen“ [http://www.myblog.de/ueberfluessig/cat/22856] immer wieder in der Öffentlichkeit auf (Mach mal Pause). So besetzte die Aktionsgruppe im vergangenen Jahr die Büros der Berliner AWO, um gegen die Einführung von 1-Euro-Jobs zu protestieren, und statteten dem Nobelrestaurant Borchardt einen spektakulären Besuch ab. Jetzt geriet die INSM ins Visier, der sie vorwerfen, „dass eine dreiste Lobbyorganisation in der Öffentlichkeit als unabhängige Initiative auftritt und versucht sogar Verfassungsrichter für die Interessen der Arbeitgeberverbände einzuspannen.“ Im Flugblatt wird ein Vertreter der Überflüssigen so zitiert:
Die Preisverleihung ist eine Propagandashow. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft versucht die Umverteilung von unten nach oben aus offenkundigen Interessen als alternativlos darzustellen. Kürzungen sind keine Reformen. Wer den Ärmsten nimmt, ist nicht mutig. Wir lassen uns von der Propaganda nicht mehr für dumm verkaufen. Jeder Mensch hat das recht auf ein gutes Leben, es ist genug für alle da.
INSM: Negative Schlagzeilen häufen sich
Nach kurzem Tumult ging die Veranstaltung nach Plan weiter, doch kam der folgende Sprecher nicht umhin, sich auf die Aktion zu beziehen. So sprach der Vertreter des mitveranstaltenden FAZ-Ablegers „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) immerhin davon, dass es „seit einem Jahr Diskussionen über die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ gäbe. Gleichzeitig rechtfertigte er das Engagement seiner Zeitung damit, dass die gemeinsame Preisverleihung eine transparente Zusammenarbeit zwischen Zeitung und Initiative sei – eine erstaunliches Bekenntnis zur Eingemeindung der PR in den Journalismus.
Viele Jahre hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft seit ihrer Gründung im Oktober 2000 für ihren Finanzier, den Arbeitgerberverband Gesamtmetall, gute Dienste geleistet. Das Thema „Reform“ war seither in aller Munde, in Politik und Wirtschaft wurden gewichtige „Botschafter“ für den neoliberalen Umbau des Staates gefunden. Doch das Blatt scheint sich langsam zu wenden. Die Gegner der 100 Millionen Euro schweren PR-Kampagne schaffen es zunehmend, den parteiischen Charakter der Initiative öffentlich herauszustellen. Bereits im vergangenen Jahr veröffentlichte die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung eine Aufsehen erregende Analyse über die politischen Strategien der INSM (Think Tanks sollen Stimmung schaffen und lassen die Grenze zwischen PR und Journalismus verschwimmen). Noch weitere Kreise zog die Aufdeckung der versteckten TV-Werbung in der ARD-Vorabendserie „Marienhof“ vor wenigen Monaten. Auf ihrer eigenen Website räumt die Initiative ein, dass der Kauf von Drehbuchdialogen ein Fehler gewesen sei.
Unsaubere Methoden
Ob es eine Folge der negativen Presse ist oder Zufall: Der Geschäftsführer der Initiative, Tasso Enzweiler, macht Anfang 2006 Platz für einen Nachfolger. Er steht für das Konzept des „Guerilla-Marketing“, die den Namen der Initiative in der Öffentlichkeit mittlerweile in Misskredit gebracht haben. Die Aggressivität der Methoden, die mit dem Namen Enzweiler verbunden ist, wird jetzt zunehmend geglättet. So gibt es in diesem Jahr beispielsweise keinen Gegenpreis „Blockierer des Jahres“ mehr.
Doch auch bei der gestrigen Verleihung des Titels „Reformer des Jahres“ waren wieder Ungereimtheiten an der Tagesordnung. So wird der Preisträger offiziell durch eine Jury und die Leser der FAS gewählt. Damit möchte man offensichtlich „demokratische“ Elemente in die Wahl einbringen, den ideellen Wert des Preises erhöhen und sich des Vorwurfs erwehren, es wäre eine bloße PR-Veranstaltung. Jury und Leser haben völlig unterschiedlich abgestimmt. Während Udo Di Fabio bei der Jury auf Platz eins gelistet ist, findet er sich bei den Lesern nur auf Platz vier. Merkwürdigerweise hat er dennoch den ersten Platz errungen - und das lässt sich dann nur mit dem kleinen 1x1 der PR schnell erklären: Er ist derzeit einfach das beste Pferd im Stall.
Di Fabio ist als maßgeblicher Verfassungsrichter einer der mächtigsten Männer im Staat und ist an allen wichtigen Entscheidungen der obersten Rechtsinstanz federführend beteiligt. Zudem sucht er die öffentliche Bühne, um mit Reformvorschlägen auf der Ebene der kulturellen Werte direkt in die gesellschaftliche Debatte einzugreifen. Sein viel diskutiertes Buch „Die Kultur der Freiheit“, plädiert für konservative Tugenden wie Kinderreichtum, Familie sowie harte Arbeit. Und seine Biografie (der Vater war Bergarbeiter, der Großvater immigrierte aus Italien) ist ein mustergültiges Beispiel für den gesellschaftlichen Aufstieg. Die menschgewordene Reform sozusagen. Dennoch: Wenn es nach den Lesern der FAS gegangen wäre, dann würde an diesem Tag Hermann Otto Solms, Bundesschatzmeister der FDP, als Gewinner auf dem Podium stehen. Aber das wäre einfach nicht so sexy.