Der Yeti haart

Ein Team von britischen Wissenschaftlern und Dokumentarfilmern hat in Bhutan Haare gefunden, die vom sagenhaften Yeti stammen könnten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Anfang April ging die Meldung durch die britische Presse, dass das Team von "To the end of the world" des Fernsehsenders Channel 4 zusammen mit mehreren Wissenschaftlern auf den Spuren des Yeti Bhutan durchstapft hat. Dabei fanden sie Erstaunliches: ein Büschel Haare, das an einem Zederbaum hing. Nach Auskunft des Sherpas Sonam Dhendup, der sie führte, hauste in diesem hohlen Baum zuvor ein Yeti und selbiger hinterließ auch die Spuren seiner Krallen in Rinde und Holz. In der Nähe fanden die Forscher die typischen, ungewöhnlichen Fußspuren, erst wenige Stunden alt. Es zeigte sich ihnen ein kurzer Andruck mit schmaler Ferse und Zehen.

Rob McCall, ein Evolutionsbiologe der Oxford University, war begeistert, auch wenn die Gruppe den Yeti nicht selbst gesichtet hat.

Zurück in England übergaben sie die Haare dem renommierten Genetiker Professor Bryan Sykes vom Institute of Molecular Medicine in Oxford, der vor Jahren schon einen angeblichen Yeti-Pelz als Bärenfell enttarnt hatte. Und sein Kommentar nach der Analyse ist erstaunlich:

It's not a human, it's not a bear, nor anything else that we've so far been able to identify. We've never encountered any DNA that we couldn't recognise before, but then, we weren't looking for the Yeti. We don't know what it is; it's behaving most peculiarly.

NewScientist

Die Haare sind also weder menschlich, noch von einem Bären, noch von einem Affen - sie sind überhaupt nicht zuzuordnen. Alles andere von dem Yeti-Jäger-Team übergebene Material war leicht als z.B. schweinisch zu identifizieren, nicht aber diese speziellen Haare aus dem Zedernbaum. Sykes ist einer der bekanntesten Gen-Forscher weltweit, in seinem Labor gelang es Ende der 80er Jahre zum ersten Mal DNS aus ärchäologischen Knochen zu extrahieren, durch die weltweite Presse gingen u.a. die Ergebnisse seine Gen-Analysen der russischen Zarenfamilie.

Die Nachricht vom Yeti-Haar war so überraschend, dass viele sie für einen verspäteten April-Scherz hielten, aber auf Nachfrage von Telepolis bestätigte Bryan Sykes: "No it is not a hoax. But there is no more I want to add at the moment until we have more results from the samples in our care."

In Bhutan wird der Yeti "Migyur" genannt und kaum jemand zweifelt daran, dass es ihn gibt, auch wenn westliche Wissenschaftler das bisher nicht beweisen konnten. Der Begriff Yeti lautet eigentlich yeh-teh, der von verschiedenen Autoren als "Mann in den Felsen" oder auch schlicht "Schneemensch" übersetzt wird. Eigentlich kennen die Himalaja-Bewohner aber drei Sorten Yetis: Erstens den Meh-the, ein affenähnliches Wesen, das so groß wie ein Mensch ist und rotbraunen bis schwarzen Pelz hat. Er hat einen länglichen Kopf und sehr lange Arme, fast bis zu seinen Knien. Zweitens der Dzu-the eine riesige, bärenähnliche Erscheinung, der oft auch auf vier Beinen geht und sich nur ab und zu aufrichtet und dann Fußspuren mit Klauenabdrücken hinterlässt. Und drittens der Teh-lma, der kleiner ist als ein Mensch, affenähnlich mit rötlichem Pelz und einem spitzen Kopf.

Aber auch in anderen Teilen der Welt sind menschenähnliche behaarte Wesen bekannt: In Nordamerika der Bigfoot oder Sasquatch, auch Witiko genannt, der unter den amerikanischen und kanadischen Indianern überall in Folklore und Überlieferung verbreitet ist. Es gibt eine Hypothese, dass es sich um einen in wenigen Exemplaren Überlebenden der Gattung Gigantopethicus blacki handelt, einer Art Riesen-Orang-Utan, der vor über 300'000 Jahren in Asien lebte. In Sumatra soll es den Orang Pendek geben, den "kurzen Menschen" des Urwald. Sibirien kennt den Chuchunaa, einen "wilden Mann"; der den wilden oder Eisenmänner in der Mythologie Mitteleuropas ähnelt. In China gibt es einen Verwandten dieses Waldmenschen, den Yeren, der immer wieder beobachtet wurde. Die Mongolei kennt den Almas. In dem unwegsamen Gebiet der Grenzregion zwischen Vietnam, Laos und Kambodscha turnt der Nguoi Rung herum. Und am Amazonas in Brasilien haust der schauerliche Mapinguari, in Bolivien der Ucumari.

So weit die kryptozoologische Klassifizierung, für keines dieser Wesen liegt ein wissenschaftlich akzeptierter Beweis ihrer Existenz vor. Theorien sehen in ihnen abwechselnd Bären, Affen, Überlebende ausgestorbener Tiere oder früher Menschenrassen (wie z.B. des Neandertalers). Kryptozoologie (International Society of Cryptozoology, ISC) ist die Wissenschaft (wenn auch nicht von allen Wissenschaftlern anerkannt) von den Wesen, deren Existenz beobachtet, aber nicht wissenschaftlich bewiesen wurde. Kryptos ist das griechische Wort für verborgen oder geheim. Der Belgier Bernard Heuvelmanns begründete vor einem halben Jahrhundert diese Forschungsrichtung, der sich seither Tausende angeschlossen haben. Die Kryptozoologie beschäftigt sich aber nicht nur mit den haarigen Wald- oder Schneemenschen, sondern mit allen Arten von Tieren wie u.a. Seeschlangen, Riesenkraken, Nessie, tasmanische Tiger und Moas auf Neuseeland sowie alle anderen Arten, von denen Beweise wie Fotos, Filmmaterial, Spuren vorhanden oder Sichtungen berichtet sind. Immer noch werden neue Tiere zumindest in Gegenden entdeckt, wo sie eigentlich nicht hingehören, z.B. der Yarra Pygmäenflussbarsch (Edelia obscura) im April diesen Jahres im australischen Fluss Murray. Dieser Fisch ist dort noch nie gesehen worden, er ist also zumindest eine neue Art in dieser Region, wenn nicht sogar eine gänzlich unbekannte Art, die sich vor Ort weiterentwickelt hat.

Der Berg-Gorilla galt auch bis 1902 als Mythos, ebenso der Komodo-Waran, der vorher gerne als "Drache" bezeichnet wurde und 1912 auf einer indonesischen Insel entdeckt wurde. Heute sind auf den östlichen Sunda-Inseln "Drachenfütterungen" eine tägliche Touristenattraktion. Die Quastenflosser galten als ausgestorbene Urfische, bevor Ende der 80er Jahre der Beweis erbracht werden konnte, dass sie in großer Tiefe der Meere heute noch leben.

Beim Yeti ist allerdings fraglich, ob sich mit ihm nicht eher die Kryptoanthroplogie als die Kryptozoologie beschäftigen sollte, denn schließlich wird er immer als menschenähnlich bezeichnet. Der Schneemensch wird schon seit dem Mittelalter beschrieben, er ist in alten Handschriften abgebildet und ein europäischer Söldner, der in der Mongolei kämpfte, brachte die Kunde von ihm im 15. Jahrhundert nach Mitteleuropa. 1899 sichtete der anerkannte Kenner Tibets Major L.A. Waddel die seltsamen Fußabdrücke des Yeti, was der Bergsteiger Oberst C.K. Howard-Bury 1921 bestätigte. 1951 fotografierte der Bergsteiger Eric Shipton weit oben im Schnee des Melungtse-Gletscher des Himalaja eine menschenähnliche Fußspur, das Bild mit dem als Maß daneben gelegten Eispickel ging um die Welt. 1954 schickte die Londoner Zeitung Daily Mail erstmals eine Expedition von Wissenschaftlern; Tom Slick, ein texanischer Millionär, schickte weitere, bis er sich dann auf die Jagd nach dem Bigfoot verlegte. 1960 leitete Sir Edmund Hillary eine weitere Suche, die wieder Spuren fand und sich den Yeti-Skalp aus dem Sherpa-Kloster in Khumjung auslieh, um ihn untersuchen zu lassen. Der kappenartige Skalp war ungefähr 200 Jahre alt und die Untersuchungen erwiesen, dass er aus dem Fell der wilden Himalaja-Ziege gefertigt ist. Die Tibetaner haben allerdings auch nie behauptet, die Reliquie sei im westlichen Verständnis ein Stück vom Yeti - für sie ist der Yeti-Skalp eine symbolische Kopie, westliche Vorstellungen von Authentizität interessieren sie wenig.