Der Zerfall geht weiter

Laut einer Studie der Weltbank ist die Zahl instabiler Staaten gestiegen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Problem zerfallender oder gescheiterter Staaten (failed states) beschäftigt die Weltöffentlichkeit seit Anfang der neunziger Jahre. Damals galten solche Probleme noch als regionale Angelegenheiten, die, wie 1992 in Somalia, primär aus humanitären Gründen zum Handeln zwingen. Aber bereits im Jahre 2000 bezeichnete eine von US-Präsident Clinton eingesetzte Kommission den Zerfall von Staaten als eine wachsende Sicherheitsaufgabe für die kommenden 25 Jahre.

Spätestens mit dem 11. September 2001 wird das Phänomen instabiler oder gescheiterter Staaten in der westlichen Welt verstärkt als unmittelbare Gefährdung der eigenen nationalen Sicherheit verstanden. Als instabil gelten Staaten mit beispielsweise komplexen internen Konflikten, großen Problemen bei der Bewältigung von Post-Konflikt-Situationen und kaum vorhandener Rechtsstaatlichkeit. Staaten in einem solchen Zustand bieten neben Drogenhändlern und Waffenschmugglern besonders Terroristen geeigneten Unterschlupf. So gehörten denn auch die Attentäter von Washington und New York einem transnational operierenden Terrornetzwerk an, dessen Hauptsitz, wenn auch zeitlich begrenzt, in Afghanistan, einem dieser vom Zerfall geprägten Staaten war. So schlussfolgerte die Bush-Regierung in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie von September 2002: „America is now threatened less by conquering states than we are by failing ones.“ Und in der Europäischen Sicherheitsstrategie wurden im Dezember 2003 zerfallende Staaten als „alarmierendes Phänomen, das die globale Politikgestaltung untergräbt und die regionale Instabilität vergrößert“, bezeichnet. Der 11. September, so eine vorherrschende Position, hat gezeigt, dass instabile Staaten, sofern sie weitesgehend ignoriert werden, zu globalen Risiken wachsen können.

Laut einer neuen Studie der Independent Evaluation Group (IEG) der Weltbank hat sich die Zahl dieser Länder zwischen 2003 und 2006 von 17 auf 26 erhöht. Besonders die Regionen Asien und Afrika seien unter anderem mit Kambodscha, Birma, Osttimor, Laos oder Burundi, Dschibuti, Nigeria und Sudan stark betroffen.

Dem Bericht zufolge schaden solche Konfliktherde auch den Volkswirtschaften der Nachbarländer. So muss ein Staat mit einem instabilen Nachbarn mit einem wirtschaftlichen Schaden von 1,6 Prozent des jährlichen Bruttoinlandprodukts rechnen. Weiter kritisiert die Studie die zu kurze Dauer von Stabilisierungsprojekten. Die Weltbank habe zwar in den vergangenen zwei Jahren auch fragilen Ländern etwa 4,1 Milliarden US-Dollar zum Aufbau staatlicher Strukturen geliehen, aber allzu oft engagiere sich die Entwicklungshilfeorganisation, wie andere internationale Geldgeber auch, nicht langfristig genug. Direkt nach Katastrophen oder Kriegen seien die internationale Aufmerksamkeit und Spendenbereitschaft zwar hoch, doch können diese Staaten in der ersten Phase Spenden oft nicht aufnehmen, da etwa zerstörte Straßen und Zufahrtswege den Transport von Hilfsgütern nahezu unmöglich machen. In der zweiten Phase, beim Aufbau staatlicher Strukturen, bräuchten die Staaten dagegen mehr Unterstützung und eine klare Reformagenda.

Als Negativbeispiele nennt die Studie neben Haiti auch die Entwicklungen in Osttimor, dessen Unabhängigkeit 2002 noch durch internationale Hilfe unterstützt wurde, jetzt aber in einer Spirale von Gewalt und Rechtlosigkeit unter zu gehen droht. Ebenfalls problematisch sehen die Verfasser des Berichts zu „ambitionierte Reformvorhaben“ wie in Afghanistan, wo sich nach drei Jahren Wiederaufbau für die Bevölkerung die Situation nur minimal verbessert hat und schlechte Straßen, mangelnde Stromversorgung, miserable Arbeitsmarktsituation sowie Gewalt in manchen Teilen des Landes zur Tagesordnung gehören (Afghanistan mehr denn je ein "failed state").

Damit sich fragile Staaten nicht zu einem zukünftigen Sicherheitsrisiko entwickeln oder gar vollständig zusammenbrechen, empfiehlt der Bericht neben einer besseren Koordination verschiedenster Hilfsorganisationen in den ersten Monaten auch eine realistische Agenda für die kommenden Jahre.