Der eigene gute Ruf ist wichtiger, als andere zu bestrafen

Der Wunsch zu strafen schwindet, wenn die erwünschte Kooperation auch durch die Wahrung des guten Rufs kontrolliert werden kann

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Viele Probleme der menschlichen Gesellschaft beruhen auf mangelnder Kooperation. Die Wissenschaft bemüht sich daher, herauszufinden, unter welchen Umständen Menschen kooperieren und welche Faktoren dabei einer Rolle spielen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Limnologie und der Universität Erfurt haben nun zwei strategische Optionen kombiniert und herausgefunden, dass Strafen auf Härtefälle beschränkt wird, wenn der gute Ruf einen wichtigen gesellschaftlichen Faktor bildet.

Soziale Dilemmas beschreiben gesellschaftliche Konfliktsituationen, bei der zwei Interessengruppen einander im Weg stehen und zumindest eine Gruppe der anderen auf Dauer schadet. Um solche Dilemmas zu untersuchen, führen Wissenschaftler sogenannte Öffentliches-Gut-Spiele (public goods game) durch: Dabei werden Teilnehmer gebeten, einen bestimmten Betrag in einen Gemeinschaftstopf zu investieren. Dann verdoppelt der Versuchsleiter die Summe im Topf und verteilt sie gleichmäßig auf alle Spieler – unabhängig davon, ob sie etwas eingezahlt haben oder nicht. Der Konflikt ist also vorgezeichnet: Wer gibt, erhält weniger, als jemand, der nicht beigetragen hat.

Strafe lohnt nicht wirklich

Zwar beginnen solche Experimente sehr kooperativ, nach wenigen Runden allerdings bricht die Kooperation zusammen und niemand investiert mehr in das Gemeinschaftsgut. Die Möglichkeit auf eigene Kosten zu strafen hat sich als wirksames Instrument gezeigt (Vom Saulus zum Paulus), die Kooperation zu kontrollieren. Doch die Sache hat einen Haken: Sanktionieren kommt teuer, weil man das, was man durch Kooperation gewinnt, für Strafe und bestraft werden längst investiert hat.

„Man weiß inzwischen, dass sich das Strafen eigentlich kaum auszahlt – es kostet den Strafenden und den Bestraften zusammen etwa so viel, dass es den Zugewinn aus mehr Kooperativität zu einem großen Teil vernichtet", so Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön im Gespräch mit Telepolis. Milinski und Bettina Rockenbach vom Lehrstuhl für Mikroökonomie der Universität Erfurt haben daher für ihre Versuchsreihe das Public-Goods-Game mit einem Reputationsspiel kombiniert. Bei letzterem bekommt ein Spieler nur dann etwas von anderen, wenn er eine hohe Reputation als Geber hat. Gleichzeitig können die Spieler einander durch Entzug der Unterstützung disziplinieren.

Milinski und Rockenbach wollten nun herausfinden, was passiert, wenn sowohl die Möglichkeit zur Sanktion als auch zur Reputationsbildung besteht. Würde das kostspielige Strafen durch den sozialen Zwang, eine hohe Geberreputation aufzubauen, ersetzt?

Reputation hält den Egoismus im Zaum

Wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe von Nature (Nature, Vol 444 vom 7. Dezember 2006, doi:10.1038/nature05229) schreiben, luden sie Gruppen von je acht Studenten der Universität Erfurt in ihr Versuchslabor ein und ließen sie 20 Runden eines Public-Goods-Spiels absolvieren. Dabei konnten die Probanden zwischen zwei Spieloptionen wählen: Sie konnten sich vor jeder Spielrunde entscheiden, ob sie sich einer Gruppe anschließen, in der das Spiel sowohl mit Bestrafung als auch mit Reputationsbildung verknüpft war, oder einer Gruppe, in der es nur möglich war, einen guten Ruf aufzubauen.

In einem zweiten Experiment mussten sich die Teilnehmer entweder einer Gruppe anschließen, in der ausschließlich Bestrafung möglich war, oder einer, in der das Spiel ohne jede Option gespielt wurde. „Wir erwarteten, dass die Studenten, wenn sie beide Möglichkeiten haben, auf das Bestrafen ganz verzichten und sich nur auf die Reputationlösung stürzen“, erklärt Milinski. „Doch die Ergebnisse der Untersuchungen haben uns eines Besseren belehrt.“

Zu Beginn wählten 70 Prozent der Teilnehmer in beiden Experimenten die Spieloption ohne Bestrafung. Obwohl sie im ersten Experiment die Option besaßen, nur die Reputationsbildung zur Aufrechterhaltung von Kooperation einzusetzen – eine Lösung, die nichts kostet und dem Strafenden Geld spart –, wechselten im Verlauf der Spielrunden immer mehr Teilnehmer in die Gruppe, die Bestrafung in Kombination mit Reputationsbildung zuließ. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, in der nur Bestrafung möglich war, wurde die Möglichkeit zur Bestrafung jedoch deutlich seltener gewählt.

Auch wenn damit das Risiko sank, bestraft zu werden, blieb Strafe als abschreckendes Mittel bestehen. Sie wurde laut Milinski zu einer Art Ultima Ratio, die jedoch, wenn sie denn angewendet wurde, überraschend massiv ausfiel. Dabei sanktionierten die Probanden interessanterweise diejenigen Mitspieler, die sich äußerst unsozial verhielten. Und zwar stärker als in der Kontrollgruppe, in der nur Bestrafung möglich war!

„Wir haben mit unserer Experimentkonzeption deutlich gesehen“, so Milinski, „dass Kooperation fast ohne Strafe aufrechterhalten wird, wenn andere zusehen und die eigene Reputation auf dem Spiel steht. Weil auch gleichzeitig die teuren Strafen zum größten Teil wegfielen, wurde das Spiel sehr effizient: Im Vergleich zu den anderen Spieloptionen war nicht nur der Beitrag zum Gemeinschaftstopf, sondern auch der Gesamtgewinn im weiteren Verlauf der Spielrunden am größten.“

Das gilt jedoch nur, solange die Teilnehmer davon ausgehen, dass noch weitere Runden für das Reputationsspiel folgten. Steht der gute Ruf nicht mehr auf dem Spiel, brach die Kooperation sofort zusammen (vgl. Milinski, Semmann, Krambeck: Reputation helps solve the "tragedy of the commons", Nature vom 24.1.2002). Von sich aus ist der Mensch offenbar nicht kooperativ.

„Im Menschen steckt beides, das Sensorium dafür, beobachtet zu werden und die Sorge um den eigenen guten Ruf“, kommentiert Milinski, „Auch andere Experimente haben gezeigt, wie stark diese Faktoren das Verhalten steuern: Handelt ein Mensch im Glauben, er sei anonym, überwiegt der Egoismus, doch schon kleinste Anzeichen, beobachtet zu werden, genügen, damit er sich sozial verhält.“

Der Frage, wie sich soziale Dilemmasituationen überwinden lassen, etwa durch bestimmte Institutionen und die Durchsetzung bestimmter Normen, nähert sich die Forschung nur allmählich an. Aus Sicht von Milinski und Rockenbach bietet der Reputationsmechanismus zumindest einen Ansatzpunkt, auch große soziale Dilemmas wie z. B. den Klimawandel oder die Überfischung der Meere anzugehen. Hier sind wichtige Gemeinschaftsressourcen bedroht, wenn die Menschheit sich nicht entschließt, zu ihrer Erhaltung zu kooperieren. Die Wissenschaftler empfehlen, Mechanismen zu installieren, die privates Verhalten ein bisschen öffentlicher und beobachtbarer machen, um den einzelnen zu einem Verhalten zu motivieren, das allen nutzt.