Der gefürchtete Außenseiter

Aus den Präsidentschaftswahlen am Sonntag in Peru könnte der Neucomer Ollanta Humala als Sieger hervorgehen

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Politisch ist man in Peru vieles gewohnt. Von 1968 bis 1980 wurde das Land von einer Militärjunta regiert. Danach bestimmte über ein Jahrzehnt der zunehmend gewalttätige Kampf der maoistischen Guerillaorganisation „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad) den Alltag. In der folgenden Dekade terrorisierte der Autokrat Alberto Fujimori das Land. Doch auch mit seinem Sturz im November 2000 ist der Andenstaat nicht zur Ruhe gekommen. Nach Jahrzehnten neoliberaler Politik haben die sozialen Widersprüche ein schier unerträgliches Maß erreicht. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, vor allem die Landbewohner, Nachfahren der Inka. Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am Sonntag könnten sich die langjährigen Verfehlungen in der Sozialpolitik rächen. Mit dem Exmilitär Ollanta Humala tritt ein Kandidat für das oberste Staatsamt an, der mit der bisherigen politischen und institutionellen Ordnung radikal zu brechen droht. Sein Sieg hätte Auswirkungen über die Landesgrenzen hinaus.

Ollanta Humala. Foto: PNP

Zu lange hatte man Ollanta Humala und seine Bewegung des Etnocacerismus nicht ernst genommen. Im politischen Establishment Perus galt der zweite Sohn einer neunköpfigen Familie als Abenteurer. Diese Haltung steht in krassem Widerspruch zu dem Rückhalt in der verarmten Landbevölkerung. Spätestens mit einem bewaffneten Aufstand gegen Alberto Fujimori Ende Oktober 2000 erlangte der 42-jährige ehemalige Oberstleutnant große Bekanntheit.

Im ländlichen Süden des Landes finden sich heute auch seine Anhänger. Neuesten Umfragen zufolge könnte Humala, der als Vorsitzender der Nationalistischen Peruanischen Partei im Bündnis mit der Unión por el Perú antritt, bis zu 33 Prozent der Wählerstimmen erreichen. Die konservative Kandidatin Lourdes Flores kommt gerade noch auf 26 Prozent, der ehemalige Präsident Alán García von der sozialdemokratischen APRA auf nur 23 Prozent. Ein relativ hoher Anteil der Befragten, 26 Prozent, zeigte sich letzten Umfragen zufolge noch unentschlossen. Sollte keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit erlangen, wird es in einem Monat zur Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten kommen.

Undurchsichtige Ideologie

Auch wenn Humala mit der Nationalistischen Peruanischen Partei erst spät in den Wahlkampf einstieg, verfügt er über ein erstzunehmendes politisches Fundament. Sein Vater Isaac Humala gilt als Begründer der Bewegung des Etnocacerismus. Diese Strömung betont eine ethische Teilung der andinen Gesellschaft in eine weiße Oberschicht und die dunkelhäutigen Nachkommen der Ureinwohner. Zudem bezieht sich der Etnocacerismus auf den peruanischen Militär Mariscal Andrés Avelino Cáceres, der während des so genannten Salpeterkrieges (1879- 1884) gegen Chile kämpfte. Eben dieser Bezug auf Cáceres und seine unnachgiebige Position gegenüber Chile, das in dem Krieg damals ein Teil des peruanischen Territoriums eroberte, bringt Humala in den Ruf, einen militärischen Konflikt mit dem Nachbarland heraufbeschwören zu wollen.

Geschürt werden diese Befürchtungen von den ideologischen Grundgedanken der Bewegung Humalas. Der Etnocacerismus strebt die Etablierung des Tahuantinsuyo an, des Inkareiches, wie es vor der Ankunft der spanischen Eroberer bestanden hat. Diese wenig realistischen Pläne gehen einher mit abstrusen Thesen über die Überlegenheit der „bronzenen Rasse“ gegenüber den Weißen.

In einem Artikel für die linke argentinische Zeitung Página 12 bezichtigte deren Autor Sergio Kiernan Humala daher eines „umgekehrten Rassismus“. Anders als der bolivianische Präsident Evo Morales wolle Humala die Nachkommen der Ureinwohner nicht stärker an dem Staat beteiligen, er propagiere vielmehr die rassische Überlegenheit der Ureinwohner. Es handele sich bei Humalas Ideen, so folgert Kiernan, um nichts anderes als eine „andine Version von `Mein Kampf’“.

Kiernans These knüpft unmittelbar an die jüngsten Vorwürfen an, Humala wolle in Peru ein antisemitisches Regime etablieren. Dabei hatte der Kandidat darauf umgehend reagiert und den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Isaac Mekler, zum Kandidaten seines Parteienbündnisses für den Kongress nominiert. Peruanische Neonazigruppen hetzten daraufhin gegen die schleichende Machtübernahme der „jüdischen Lobby“. Der Vorwurf, dass Humala Rechtsextremist sei, scheint damit wohl entkräftet zu sein.

Schulterschluss mit Linksregierungen

Im Hin und Her aus Angriffen und Dementis hilft der Blick auf die Aussagen des Kandidaten selbst. Ollanta Humala bezieht sich nicht nur positiv auf die Erfolge der Entwicklungsdiktatur, die in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Schlüsselindustrien verstaatlicht hatte. In Anlehnung an die Linksregierungen unter Hugo Chávez in Venezuela und Evo Morales in Bolivien plant er zudem, die Verträge transnationaler Minengesellschaften zu überprüfen und Privatisierungen rückgängig zu machen. Damit knüpft Humala an eine der Hauptforderungen sozialer Bewegungen und Gewerkschaften an. So schrieb unlängst auch die Financial Times, dass der Wahlkampf von wachsendem Unmut über die Aktionen ausländischer Konzerne bestimmt ist.

Humala folgt mit dieser Politik dem Vorbild von Venezuela und Bolivien, deren Regierungen die Verträge mit Erdöl- und Bergbauunternehmen ebenfalls neu aushandeln. Zur Begründung seiner Pläne führt er die wachsenden sozialen Spannungen in Peru an:

Peru hält diese Diktatur der Mächtigen nicht länger aus. Das soziale Klima ist angeheizt, die Bevölkerung ist außer sich. Der Wechsel ist unvermeidbar, denn wenn es keinen Wechsel gibt, wird die Situation eskalieren.

Ollanta Humala im Interview mit Página 12

Sein Nationalismus bedeute „die Verteidigung der nationalen Souveränität und unserer Ressourcen. Er ist unsere Antwort auf das neoliberale Wirtschaftsmodell, das die peruanische Gesellschaft zerstört.“ In dem Gespräch bezieht sich Humala zudem positiv auf die Links- und Mitte-Links-Regierungen in Bolivien, Brasilien, Chile, Uruguay und Venezuela. In Lateinamerika entstehe eine neue Generation politischer Führungspersönlichkeiten, sagt er. In einigen Ländern hießen sie Indigenisten, in anderen Sozialisten oder Linke: „Aber alle suchen gemeinsam eine Alternative zum neoliberalen Wirtschaftsmodell. Auch wir folgen dieser Linie.“

Unsichere Perspektive

Auch wenn der Ausgang der wahrscheinlichen Stichwahl mit der konservativen Kandidatin Lourdes Flores letztlich unsicher ist, hat Humala sich bereits jetzt einen festen Platz in der peruanischen Politik erobert. Sein Aufstieg ist zugleich Indiz für den Zerfall der etablierten Parteienlandschaft - ein Trend, der ebenso wie zunehmende soziale Auseinandersetzungen in ganz Lateinamerika zu beobachten ist.

Und während die Nähe Humalas zu Chávez und Morales in peruanischen und internationalen Medien beinahe schon als antidemokratische Verschwörung missdeutet wird, könnte eine Integration in das lockere Bündnis linker Regierungen tatsächlich die einzige Möglichkeit sein, um korrigierend auf die ideologisch noch diffuse Bewegung des Exmilitärs einzuwirken. Eine Isolation Humalas, wie sie schon vor der Wahl gefordert wird, würde das Gegenteil bewirken.