Der lange Arm der ukrainischen Rechtsradikalen
Der ukrainische Journalist Anatoli Schariist ein scharfer Kritiker der Regierung in Kiew. Die will ihn aus dem Exil holen und vor Gericht stellen. Rechtsradikale helfen dabei
Anatoli Schari ist einer der populärsten ukrainischen Video-Blogger. Sein Youtube-Kanal hat 2,4 Millionen Abonnenten. Für den heutigen 5. März wurde der Blogger jetzt vor ein Kiewer Gericht zum Verhör geladen. Da der 42 Jahre alte Journalist, der im spanischen Exil lebt, bis dato noch nicht vor Gericht erschienen ist, setzte Kiew ihn auf die Fahndungsliste.
Was wird dem Blogger, der seit 2012 in der EU den Status des politischen Flüchtlings hat, vorgeworfen?
Der ukrainische Geheimdienst SBU gab bekannt, es gebe "Beweise für die Untergrundtätigkeit von Schari gegen die Ukraine". Der Blogger habe "staatlichen und nichtstaatlichen Strukturen der Russischen Föderation bei der Durchführung von speziellen Informations-Operationen" geholfen.
Der Blogger: "Idiotische Beschuldigungen"
Gegenüber dem Autor dieser Zeilen gab sich Schari zuversichtlich. Mit seinem scharfen Humor erklärte er, "der ukrainische Präsident Selenski hat sich entschieden, auf dem Territorium der EU tätig zu werden. Er meint, dass "in der EU Idioten leben, die dieses absurde Zeug, mit dem man mich beschuldigt, nicht prüfen werden".
In die Ukraine werde er nicht fahren, weil ihm dort der Tod drohe. In einem Schreiben an den Autor erklärt der Blogger, "wie kann ich in die Ukraine fahren, wo ich nicht länger als einen Tag leben werde? Man wird mich in ein Gefängnis einliefern und mich innerhalb eines Tages umbringen. Meinen Tod wird man als Selbstmord ausgeben".
Anatoli Schari ist keiner, der sich bei Vorwürfen wegduckt. Im Gegenteil, aus seinem Exil in Spanien berichtete der Video-Blogger ausführlich über die vom ukrainischen Geheimdienst vorgebrachten Gründe für das Strafverfahren (Video mit deutschen Untertiteln). Was sind nun die Gründe?
Vorwurf: "Propaganda für Mehrsprachlichkeit"
Der ukrainische Geheimdienst erklärte, die Forderung des Bloggers nach Mehrsprachigkeit in der Ukraine sei eine "subversive Aktivität".
In seinen Videos kritisiert Schari das am 16. Januar 2021 in der Ukraine in Kraft getretene Sprachengesetz, das vorschreibt, dass man in Geschäften und Restaurants kein Russisch, sondern nur noch Ukrainisch sprechen darf. Anatoli Schari erklärt gegenüber dem Autor, er könne sich kaum vorstellen, dass die europäischen Justizorgane ihn "wegen 'Propaganda für Mehrsprachlichkeit' verfolgen werden".
Vorwurf: "Demoralisierung der ukrainischen Armee"
Der SBU wirft dem Blogger zudem vor, dass er versucht habe, die ukrainische Armee zu demoralisieren. Als Beleg wird ein Interview angeführt, welches im Video-Kanal des Bloggers im September 2014 erschien. Interviewt wurde ein Moskauer, der im Gebiet Donezk auf Seiten der Aufständischen kämpfte.
In dem Video "Ein Moskauer, der auf dem Territorium der Ukraine kämpft" erklärt der Mann aus Moskau, "die Soldaten der ukrainischen Armee können nicht erklären, warum sie hier kämpfen." Der ukrainische Geheimdienst beanstandete "eine verzerrte Darstellung" und "ungenaue Information", die "darauf abzielt das Volk und die Armee zu demoralisieren, die Moral der Bevölkerung und der Armee der Ukraine zu untergraben".
Ukrainische Rechtsradikale vor dem Haus des Bloggers in Spanien
Was den Blogger im spanischen Exil jetzt besonders sorgt, ist, dass vor seinem Haus an der katalanischen Küste jetzt immer wieder rechtsradikalen Ukrainer auftauchen. "Mehrmals kamen Leute zu meinem Haus in Spanien und versuchten, es anzugreifen", schreibt Schari. "Die Adresse meines Hauses hat die Präsidialverwaltung der Ukraine öffentlich zugänglich gemacht."
Er habe bei der örtlichen Polizei in Spanien eine Anzeige erstattet und sei vor Gericht gegangen. Nun müsse er sich und seine Familie von einem privaten Wachdienst rund um die Uhr beschützen lassen. Die spanischen Medien berichteten ausführlich über die Vorfälle vor dem Haus des ukrainischen Bloggers. Berichte brachten die spanischen Radiosender Onda Cero und RAC1 sowie die spanischen Fernsehsender TV3 und LaSexta.
Das spanische Internetportal Diario 16 brachte einen langen Artikel mit Fotos von Überwachungskameras, auf denen vor dem Haus des Bloggers ukrainische Rechtsextremisten zu sehen sind. Das Auftauchen der Rechtsradikalen aus der Ukraine vor dem Haus des Bloggers ist tatsächlich ein Alarmzeichen, denn diese Leute fordern öffentlich den Tod von Schari. In einem vom "Nationalen Korpus" veröffentlichten Video heißt es unverblümt "Tod dem Feind Anatoli".
Als Bestätigung dieser Aussage werden in dem Video gewaltsame Überfälle des "Nationalen Korpus" auf Mitglieder der von dem Blogger gegründeten "Partei Schari" in der Ukraine gezeigt. Keiner dieser Überfälle wurde von ukrainischen Sicherheitsbehörden verfolgt.
Noch vor dem Maidan aus der Ukraine geflüchtet
Schari arbeitet schon lange als Investigativ-Journalist zu schwierigen Themen. Nach einem 2010 von ihm veröffentlichten Artikel über ein Heim in Odessa, wo Kinder von reichen Klienten mutmaßlich sexuell missbraucht wurden, bekam er Morddrohungen. 2011, nach einer Recherche zu Drogengeschäften in Odessa, wurde auf sein Auto geschossen. Weil der Journalist sich seines Lebens nicht mehr sicher war, flüchtete er nach Litauen. 2012 bekam er politisches Asyl in der Europäischen Union.
Nach der Maidan-Revolution 2014 wurde Schari zum Kritiker der neuen ukrainischen Regierung. Seit zwei Jahren lebt der Blogger in Spanien, wo er ein Haus gekauft hat und wo er Steuern zahlt.
Der Blogger enttarnte Konsul der Ukraine in Hamburg als Hitler-Verehrer
Ein besonderes Augenmerk legt der Blogger aus der Ukraine auf das Treiben der ukrainischen Ultranationalisten und offenen Nazis. 2018 enttarnte Schari den Konsul der Ukraine in Hamburg, Wasil Maruschinets, als glühenden Hitler-Verehrer (Video mit deutschen Untertiteln). Die Facebook-Seite des Konsuls war voll von Huldigungen an die deutschen Nationalsozialisten. Das ukrainische Außenministerium war gezwungen, Maruschinets von seinem Posten abzuberufen.
Doch der Blogger im Exil beließ es nicht bei kritischen Video-Beiträgen. 2019 initiierte er in der Ukraine die Gründung der "Partei Schari". Die meist jungen Anhänger der neuen Partei machten einen aktiven Wahlkampf mit roten Luftballons und roten T-Shirts. Bei den ukrainischen Kommunalwahlen im Herbst 2020 bekam die Partei 1,4 Prozent der Stimmen und zog mit 52 Abgeordneten in elf Stadträte ein.
Im Juni 2020 demonstrierten mehrere Hundert Partei-Mitglieder vor dem Amtssitz des ukrainischen Präsidenten. Die Polizei schützte damals noch die Kundgebung. Doch unmittelbar nach der Kundgebung gab es in zahlreichen Städten der Ukraine Rache-Aktionen der Ultranationalisten, die Mitglieder der "Partei Schari" überfielen und zusammenschlugen. Die Rechtsradikalen nannten das "Safari gegen Watniki". Als "Watniki" bezeichnen die ukrainischen Nationalisten Menschen, die für einen Dialog mit Russland eintreten
Selenski zieht die Schrauben an
Anatoli Schari ist nicht das einzige Opfer einer zunehmend repressiven Politik in der Ukraine. Am 3. Februar ließ Präsident Wolodymir Selenski die oppositionelle Fernsehkanäle, 112, NewsOne und ZIK abschalten.
Grund für die zunehmend repressive Politik gegen Andersdenkende ist offenbar der rasante Popularitätsverlust von Präsident Selenski. Wie die "Ukrainische soziologische Gruppe" Anfang Februar bekanntgab, würde die Russland-freundliche "Oppositionspartei - für das Leben", wenn in den nächsten Tagen Wahlen wären, mit 25,7 Prozent stärkste Partei.
Auf Platz zwei käme die Partei des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit 20,1 Prozent. Erst auf Platz drei käme die Partei von Selenski, "Diener des Volkes", mit 16,6 Prozent.
Vernetzung deutscher und ukrainischer Rechtsradikaler
Nicht nur nach Spanien, sondern auch nach Deutschland sickern zunehmend Rechtsradikale aus der Ukraine ein. Im sächsischen Pirna, im dortigen "Haus Montag", hat seit 2017 das ukrainisch-deutsch-norwegische Projekt "Kraftquell" seinen Sitz.
Das Projekt organisiert Kämpfern des rechtsradikalen ukrainischen Asow-Bataillons Unterkünfte für Erholungsurlaub in Deutschland und Norwegen.
Aufmerksamkeit erregte die Linken-Abgeordnete Martina Renner Anfang Februar mit einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung zu den Kontakten zwischen Rechtsextremen in der Ukraine und Deutschland. Es kam heraus, dass es eine rege Reisetätigkeit, gemeinsame Schießübungen und Rock-Konzerte in der Ukraine gibt. Viele Fragen der Abgeordneten wollte die Bundesregierung jedoch wegen des "Staatswohls" und "laufender Ermittlungen" nicht beantworten.
Sogar Zeit Online berichtete über die Recherchen der Linken-Abgeordneten. Es war das erste Mal seit der Maidan-Revolution 2014, dass sich ein großes deutsches Medium ausführlich mit dem Rechtsextremismus in der Ukraine beschäftigte.
Wo ist das wachsame Auge der deutschen Journalisten?
Bisher schwiegen die deutschen Medien zu den gefährlichen Entwicklungen in der Ukraine. Offenbar befürchtete man, Kritik an den Zuständen in der Ukraine könne Putin Vorschub leisten. Über die Zurückhaltung der deutschen Medien konnten sich die ukrainischen Rechtsextremen nur freuen.
So konnten sie ohne das wachsame Auge deutscher Journalisten in Kiew ihre Fackelmärsche zu Ehren des Hitler-Kollaborateurs Stepan Bandera durchführen, während ukrainische Stadträte Straßen und Plätze in der Ukraine die Namen von Hitler-Kollaborateuren gaben, die nun ganz offiziell als "Freiheitskämpfer" gefeiert werden.
Dass Zeit online nun einen kritischen Artikel über ukrainische Nazis veröffentlichte, ist immerhin ein Lichtstreifen am Horizont.