"Der organisierten Kriminalität alle Ermittlungsansätze und Methoden offenlegen"
Die EU will die Kontrolle von Dumpinglöhnen auf Baustellen erschweren
Am 16. April stimmte das Europaparlament mit den Stimmen der meisten Konservativen, Sozialdemokraten und Grünen einer Richtlinie zu, die die Bekämpfung von Dumpinglöhnen auf deutschen Baustellen, Schlachthöfen und Werften erheblich erschweren könnte. Telepolis befragte dazu Frank Schmidt-Hullmann, den Leiter der Abteilung Internationale und Europäische Politik bei der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).
Herr Schmidt-Hullmann, wo findet man denn die aktuelle Fassung der Durchführungsrichtlinie zur Entsendungsrichtlinie, die das Europaparlament am 16. April beschlossen hat?
Frank Schmidt-Hullmann: Auf der Protokollseite des Europaparlaments finden Sie Beschluss und Text. Diese Fassung enthält noch Nebentexte und über Fußnoten Links zu den jeweiligen Texten der weiteren Beteiligten. Um zum endgültigen Text der Richtlinie zu kommen, kann man am Kopf dieser Seite auf "konsolidierter Text" klicken.
Die Grünen im Europaparlament loben die Richtlinie über den grünen Klee, zitieren aber nicht daraus. Finden Sie und ihre Gewerkschaft die Richtlinie auch so super?
Frank Schmidt-Hullmann: Nein. Gemessen an dem ursprünglichen Anspruch der Europäischen Kommission und des Parlaments - den hundertausendfachen Betrug an Entsendearbeitern und zugleich das daraus resultierende Sozialdumping bei der Entsendung endlich energisch bekämpfen zu wollen - ist der jetzt beschlossene Text eine Mogelpackung. Bestenfalls ändert sich durch diesen Text nicht auch noch allzu viel zum Schlechteren. Den Jubel der Grünen verstehe ich nicht, auch wenn es dem Parlament natürlich gelungen ist, einige besonders üble Passagen des ursprünglichen Entwurfes zu verbessern.
Was zum Beispiel?
Frank Schmidt-Hullmann: Der Kommissionsentwurf sah in Artikel 9 im Gegensatz zur bisherigen europäischen und nationalen Rechtslage vor, dass das Gastland nicht mehr verlangen konnte, dass das entsendende Unternehmen einen Zustellbevollmächtigten im Arbeitsland benennt. Damit wäre die Zustellung von Arbeitsschutzauflagen, Bußgeldbescheiden, Vorlageforderungen von Dokumenten usw. künstlich erschwert worden.
Auch Übersetzungen von fremdsprachigen Verträgen usw. hätte das Gastland nur noch verlangen können, wenn die Dokumente standardisiert und nicht ungewöhnlich lang sind. Unternehmer mit Betrugsabsichten hätten dann den Arbeitsvertrag einfach künstlich aufgebläht und der Kontrollbeamte hätte rätseln müssen, was das vierzehnseitige lettische Dokument bedeuten soll.
Beides steht jetzt nicht mehr in der Richtlinie. Die heute üblichen Maßnahmen und Anforderungen werden nun aufgeführt und sind damit weiterhin zulässig, vorausgesetzt, die Gerichte halten sie für zwingend erforderlich, verhältnismäßig und den Unternehmer nicht übermäßig belastend. Wenn sie nicht ausreichen, dürfen eventuell unter bestimmten Einschränkungen sogar neue eingeführt werden.
Der Haken ist aber: Alles muss vorab veröffentlicht und den Unternehmen bekannt gemacht werden. Es geht hier aber oft um organisierte Kriminalität. Der muss ich nun alle meine Ermittlungsansätze und Methoden vorher offenlegen und sie unterliegen auch noch Einschränkungen. Das kennt man so auf keinem anderen Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung.
Fordert die Richtlinie, dass Behörden Kontrollen vorher anmelden müssen?
Frank Schmidt-Hullmann: Nein, das fordert die Richtlinie nicht.
Wann wird der EU-Ministerrat über die Richtlinie entscheiden?
Frank Schmidt-Hullmann: Das genaue Datum liegt mir nicht vor, aber das ist nun nur noch eine reine Formalie, da ja das Parlament den im Ratsausschuss bereits vorher beschlossenen Kompromisstext unverändert angenommen hat.
Haben sich keine Vertreter der EU-Mitgliedsländerregierungen dagegen ausgesprochen?
Frank Schmidt-Hullmann: Einige Regierungen waren - wie wir - nicht zufrieden mit dem Ergebnis, andere wollten noch wesentlich schlechtere Regelungen. Am Ende haben sie sich im Rat auf diesen Kompromiss geeinigt, den eine stabile große Mehrheit im Rat befürwortet. Vermutlich erfolgt die Annahme deshalb einstimmig. Weil es sich nach der gewählten Rechtsgrundlage um eine Binnenmarktrichtlinie handelt, reicht aber auch ggf. eine Mehrheitsentscheidung.
Kommen wir zu einer anderen Richtlinie, die das Europaparlament am 16. April angenommen hat: Die zur konzerninternen Entsendung, die den Transfer von Arbeitnehmern aus Drittstaaten nach Europa vereinfachen soll. Ihre Gewerkschaft kritisiert, dass der Vorschlag zu "erheblichen, nicht hinnehmbaren Konsequenzen für den europäischen und nationalen Arbeitsmarkt" führen - wird. Was wären das konkret für Konsequenzen - zum Beispiel im den IT-Bereich?
Frank Schmidt-Hullmann: Unsere Kritik bezog sich hauptsächlich auf den Ursprungsentwurf der Kommission. Der sah eine strukturelle Diskriminierung von Fach- und Führungskräften vor, die für bis zu 3 Jahre aus Unternehmensteilen in Nicht-EU-Staaten in hiesige Unternehmensteile versetzt werden. Sie sollten nämlich nur einen Anspruch auf die Mindestlöhne des Gastlandes haben, die ja das unterste Niveau darstellen. Ein Ingenieur oder Programmierer aus Indien, der hierher versetzt wird, hätte dann im Gegensatz zu seinen deutschen Kollegen mit 8,50 €/Stunde abgespeist werden können.
Dies hat das europäische Parlament teilweise behoben. Im ersten Einsatzland in der EU muss vom Unternehmen nun die volle Gehaltgleichheit eingehalten werden. Bei weiteren Einsätzen von dort aus in anderen EU-Staaten muss bei einer gewissen Dauer auch das dort übliche Gehalt gezahlt werden. Differenzen bleiben allerdings bei anderen Arbeitsbedingungen, zum Beispiel beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung, da wirken dann die Regelungen des Nicht-EU-Staates fort.
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