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Deutsche Klimaschutzpolitik ist tatsächlich auf Crashkurs mit Planeten

RWE Kohlebagger am Tagebau-Standort Hambach, August 2018. Bild: Arthur Konze / CC BY-SA 4.0

Energie und Klima – kompakt: Deutschland ist Lichtjahre von angemessenen Klimaschutzmaßnahmen entfernt. Viel mehr wäre nötig, um das Schlimmste zu verhindern. Was die Bundesregierung tun müsste.

Zurzeit wird mal wieder eifrig über internationalen Klimaschutz verhandelt. Aber wie viel geht eigentlich noch? Wie viel Treibhausgase können wir als Menschheit noch in die Luft blasen, wenn das Schlimmste verhindert werden soll? Und um welche Gase geht es? Wichtige Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser Fragen bietet der jüngste Bericht [1] des Global Carbon Projects, den wir bereits gestern erwähnt haben [2].

Was die Frage nach den Gasen angeht, so ist Kohlendioxid (CO2), das mit Abstand wichtigste und wirksamste, weil rund die Hälfte von ihm sehr lange in der Atmosphäre verbleibt. Daneben spielt noch das Methan [3] eine nicht unwichtige Rolle, aber darüber ein anderes Mal mehr.

In Nebenrollen treten außerdem das Distickstoffoxid, das bei unsachgemäßer Düngung und in der Nylonproduktion freigesetzt wird, und die früher als Treibgase und Kühlmittel verwendeten Fluorchlorkohlenwasserstoffe auf, außerdem die sehr langlebigen perfluorierten Kohlenwasserstoffe [4] und das ebenfalls langlebige und als Isoliermittel eingesetzte Schwefelhexafluorid. All diese Gase werden von den internationalen Klimaschutzverträgen erfasst.

Das mit Abstand wichtigste natürliche Treibhausgas ist übrigens Wasserdampf, dessen atmosphärische Konzentration durch die globale Erwärmung ebenfalls zunimmt und diese dadurch verstärkt.

Aber das ist eine andere Geschichte. Hier soll es zunächst nur um das aus menschlichen Aktivitäten stammende CO2 gehen. Wie erwähnt, verbleibt nicht alles emittierte CO2 in der Atmosphäre. Zwischen 2012 und 2021 haben die Ozeane jährlich im Durchschnitt zehn Milliarden Tonnen davon aufgenommen.

Die Biosphäre nahm elf Milliarden Tonnen auf, wobei es in beiden Fällen um Mengen geht, die zusätzlich zu den viel größeren natürlichen CO2-Kreisläufen sind. 19 Milliarden Tonnen CO2 wurden hingegen nicht wieder aus der Atmosphäre entfernt, sondern trugen zur Anreicherung in der Atmosphäre bei.

Dieser Teil des Treibhausgases, das durch Entwaldung, das Trockenlegen von Mooren und das Umbrechen von Weiden und altem Prärieland, aber vor allem durch die Verbrennung fossiler Energieträger freigesetzt wird, bleibt nun für mehrere Jahrtausende in der Luft, bevor es nach und nach durch sehr langsame geologische Prozesse in Sedimenten gebunden wird.

Zu Beginn der Industrialisierung betrug die CO2-Konzentration in der Atmosphäre einige Jahrtausende lang [5] rund 280 Moleküle pro einer Million Luftmoleküle (ppm, parts per million). Inzwischen ist der Jahresdurchschnitt der Konzentration schon fast bei 420 ppm angekommen [6], so viel wie seit mehreren Millionen Jahren nicht mehr.

Bundesregierung beabsichtigt nicht, sich an Pariser Vertrag zu halten

Nun ist die Frage, wie weit die Menschheit die Treibhausgase noch weiter steigen lassen will. Das hängt natürlich davon ab, welche Erwärmung als gerade noch vertretbar angesehen wird. Immerhin verzeichnen wir bereits bei einem Plus von rund 1,15 Grad Celsius gegenüber der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Zunahme gefährlicher und sehr zerstörerischer Extremereignisse.

Die globale Erwärmung soll deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau gehalten und möglichst nicht 1,5 Grad Celsius übersteigen, so lautet die Formel, auf die man sich 2015 in Paris einigte und der fast alle Staaten zugestimmt haben.

Kurz darauf hat der sogenannte Weltklimarat, der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), die Bedeutung des 1,5-Grad-Ziels unterstrichen, in dem er in einem Sonderbericht [7] darauf hinwies, dass schon jenseits dieser Grenze zum Beispiel keine Warmwasserkoralle mehr überleben würden, was katastrophale Folgen für die Fischerei und damit für die Welternährung hätte.

Vor allem würden aber Hitzewellen und Unwetter rasch weiter zunehmen und, noch schlimmer, bestimmte Kipppunkte in verschiedenen Komponenten des Klimasystems erreicht werden. Größere Eismassen auf Grönland [8] und in der Antarktis [9] würden destabilisiert werden und ihr Abtauen nicht mehr aufzuhalten sein.

Mittels der diversen Klimamodelle, die Wissenschaftlerinnen in aller Welt in den letzten 40 oder mehr Jahren entwickelt haben – so lange wissen wir tatsächlich schon, was auf uns zukommt, wie hier [10] zum Beispiel vor 44 Jahren Hoimar von Ditfurth erklärte – lässt sich nun berechnen, wie weit die CO2-Konzentration in der Atmosphäre noch steigen darf, wenn die Erwärmung auf ein bestimmtes Niveau begrenzt werden soll.

Das Global Carbon Project zitiert in seinem oben verlinkten Bericht einige der Ergebnisse. Demnach verbleiben noch 380 Milliarden Tonnen CO2, um die 1,5-Grad-Celsius-Grenze nicht zu überschreiten. Oder genauer: Wenn die Emissionen auf diese Menge beschränkt werden können, gibt es eine 50-prozentige Chance, dass die Erwärmung nicht größer wird.

Angesichts der Risiken, die jenseits von 1,5 Grad Celsius Erwärmung lauern, ist das eigentlich eine ziemlich unsichere Angelegenheit. Verantwortliche Politik würde eher auf eine höhere Wahrscheinlichkeit zielen, aber dafür müssten die Emissionen noch drastischer reduziert werden. Beim jetzigen Stand wäre dieses Budget nämlich in nicht einmal zehn Jahren aufgebraucht.

Interessant wird es, wenn man diese 380 Milliarden Tonnen CO2 gleichmäßig auf alle acht Milliarden Erdenbewohner verteilt. Dann entfielen auf Deutschland noch knapp vier Milliarden Tonnen, also so viel, wie in den letzten fünfeinhalb Jahren in die Luft geblasen wurden.

Die im Klimaschutzgesetz fixierten Emissionsziele [11] sehen hingegen einen Treibhausgasausstoß von rund fünf Milliarden Tonnen zwischen 2023 und 2030 vor, wobei die Emissionen des Militärs noch nicht mitgerechnet sind, für die es keinerlei Begrenzungen gibt. Außerdem ist keinesfalls geplant, die Treibhausgasemissionen ab 2031 einzustellen.

Mal davon abgesehen, dass das Verkehrsministerium sich weiter weigert einen Plan für das Erreichen der Reduktionsziele im Verkehrssektor einzustellen und das grüne Wirtschaftsministerium mit seinem Deal mit RWE klargemacht hat, dass es auch die unzureichenden Ziele für den Energiesektor nicht ernst nimmt. Die sind nämlich kaum einzuhalten, wenn der Braunkohletagebau Garzweiler 2 im Rheinland weiter ausgedehnt und auch das Dorf Lützerath abgebaggert wird.

Man könnte also auch sagen, das Parlament hat zwar die Pariser Klimaübereinkunft ratifiziert, aber mit dem Klimagesetz klargemacht, dass es nicht gedenkt, sich an den Vertrag zu halten. Derweil nimmt es die Regierung auch mit dem Gesetz nicht so genau, und alle sind sich einig, dass man weiter auf Kosten anderer leben will. Ganz regelbasiert und menschenrechtsorientiert.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7341567

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.globalcarbonproject.org/carbonbudget/22/files/GCP_CarbonBudget_2022.pdf
[2] https://www.heise.de/tp/features/Globale-Energiewende-Viel-Wind-und-Sonne-7340061.html
[3] https://atmosphere.copernicus.eu/methane-omnipresent-and-elusive-second-greenhouse-gas
[4] https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/chemikalien-reach/stoffgruppen/per-polyfluorierte-chemikalien-pfc
[5] https://www.noaa.gov/news-release/carbon-dioxide-now-more-than-50-higher-than-pre-industrial-levels
[6] https://gml.noaa.gov/ccgg/trends/graph.html
[7] https://www.ipcc.ch/sr15/
[8] https://www.heise.de/tp/features/Sechsmal-mehr-Eisverlust-Dieser-Meeresspiegelanstieg-ist-realistisch-7339070.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/Wissenschaftsfeinde-und-Wildschweine-6006977.html
[10] https://twitter.com/TerliWetter/status/1588595884971130880?s=20&t=hUdTSJ2_bJFypZrhgP8thw
[11] https://www.gesetze-im-internet.de/ksg/anlage_2.html