Deutsche Wirtschaft in der Krise: Alte Rezepte für neue Probleme?
Deutschlands größte Industrielobby wählt neuen Primus. Ein Anlass, ihre Stimmung und Interessenlage genauer zu betrachten. Was fordert der BDI?
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist als Dachverband von 39 Branchenverbänden mit mehr als 100.000 Unternehmen ein wichtiger Akteur in der politischen und wirtschaftlichen Diskussion in Deutschland.
Am 25. November hielt der Verband seine Mitgliederversammlung ab und wählte unter anderem Peter Leibinger, Aufsichtsratsvorsitzender des Maschinenbaukonzerns Trumpf SE + Co. KG, zum neuen Präsidenten ab 2025. Er folgt Siegfried Russwurm nach, der dem BDI seit 2021 vorgesessen hatte.
Ein Anlass, die größte deutsche Industrielobby auf ihre Positionen und Interessen abzuklopfen. Was denkt die Vertretung, in deren Unternehmen immerhin noch 8 Millionen Beschäftigte arbeiten?
Kurz gesagt: Die aktuellen politischen und ökonomischen Entwicklungen verfolgt der BDI mit Besorgnis. Das Ende der Ampel-Koalition und die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten verunsichern die deutschen Industriemanager.
Die anhaltende Wirtschaftskrise sowie ein drohender Zollkrieg mit USA und China veranlassen den BDI, mehr Forschungsinvestitionen, eine "aktive Rohstoffstrategie" und Steuererleichterungen zu fordern.
Stellungnahme zum Ende der Ampel-Koalition
Das Ende der Ampel-Koalition nimmt der BDI als Unsicherheitsfaktor für Investitionsentscheidungen wahr. Er fordert "realistische, kurzfristige Wachstumsimpulse" noch vor der Neuwahl.
Oberste Priorität der neuen Bundesregierung müsse "eine stärkere Wachstumsinitiative" sein. Eine Neujustierung der Regierungsarbeit solle dringend benötigte Reformen in Bereichen wie Infrastruktur, Bürokratieabbau und Digitalisierung vorantreiben.
Überraschend kam das Ampel-Aus für den BDI nicht. Im Oktober verkündete Rainer Kirchdöfer, Chef der Stiftung Familienunternehmen: "Das größte Standortrisiko für Deutschland ist eine handlungsunfähige Regierung." BDI-Chef Russwurm forderte einen "Pakt für die Industrie". Die alte Regierung hielt dem Druck nicht stand – nun muss man umdisponieren.
Zur Wahl von Donald Trump
Die transatlantischen Beziehungen hätten unter Trumps vorheriger Präsidentschaft durch protektionistische Maßnahmen wie Zölle und Handelsbeschränkungen gelitten. Der BDI warnt, eine zweite Amtszeit Trumps könne die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa erneut belasten, mit negativen Folgen für deutsche Exporteure.
So fordert der BDI, Europa müsse unabhängiger von externen Einflüssen werden und zugleich auf eine engere Zusammenarbeit mit den USA hinarbeiten, um globale Herausforderungen wie den Klimaschutz gemeinsam anzugehen.
Seit 2021 steigen die Exporte Deutschlands in die USA stark an. Von 121,98 Milliarden Euro im Jahre 2021 auf 157,95 Milliarden Euro im Jahre 2023. Unter US-Präsident Trump waren sie von 2017 bis 2019 von 111,81 Milliarden Euro auf 118,68 Milliarden Euro leicht gestiegen, erst die Corona-Pandemie 2020 brachte einen Einbruch auf 103,48 Milliarden Euro.
Fürchtet der BDI einen größeren Konflikt mit den USA – oder lediglich den Kater nach dem Exportboom der Biden-Jahre? Jener war auch nicht aus gutem transatlantischem Willen, sondern Folge des Inflation Reduction Acts gewesen, den Biden 2022 unterzeichnete und der europäische Investitionen anzog.
BDI-Industriebericht 2024
In seinem Industriebericht 2024 sieht der BDI die Industrie unter Druck, insbesondere durch hohe Energiepreise, globale Lieferkettenprobleme und zunehmende bürokratische Hürden. Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit sei im internationalen Vergleich gesunken.
Der BDI fordert Maßnahmen, um den Standort zu stärken: Steuersenkungen, Investitionen in Forschung und Digitalisierung.
Besonders alarmierend sei die sinkende Investitionsbereitschaft im Inland. Viele Unternehmen investierten aufgrund der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lieber im Ausland. Der BDI sieht hierin ein Signal, dass die deutsche Politik schneller handeln müsse, um das Vertrauen der Wirtschaft zurückzugewinnen.
In der Stahl- und Automobilbranche zeichnen sich präzedenzlose Werksschließungen ab. Der BDI setzt, ähnlich wie der Sachverständigenrat, auf altbekannte angebotsorientierte Rezepte: Steuersenkungen und Bürokratieabbau. Die Nachfrage- und folglich Investitionsschwäche im Inland wird damit nicht behoben.
Rohstoffstrategie
Der BDI-Rohstoffkongress im November 2024 – unter dem Motto "Mehr Rohstoffsouveränität wagen" – drängte auf eine "resilientere" Rohstoffversorgung. Der BDI fordert eine aktivere Rohstoffstrategie, die heimische Ressourcen erschließt und "strategische Partnerschaften" stärkt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass einen Monat zuvor vor dem BDI-Klimakongress Proteste gegen den geplanten Lithiumabbau im serbischen Jadartal stattfanden. Der Region drohen schwere Umweltschäden, dem Land Serbien unvorteilhafte Handelsverträge. Deutschland deckt derzeit fast 100 Prozent seines Bedarfs aus Importen aus Südamerika und Australien. Auch in Deutschland – im Erzgebirge und im Oberrheingraben – sollen Vorkommen erschlossen werden.
BDI zu EU-Ausgleichszöllen gegenüber China
Der Verband begrüßt zwar die Maßnahmen, warnt aber davor, dass diese nicht das Ende der Gespräche mit internationalen Partnern markieren dürften. Vielmehr sollten sie als Druckmittel genutzt werden, um faire Handelsbedingungen zu schaffen.
Als im September die Bundeswehr-Fregatte "Baden-Württemberg" durch die Taiwanstraße fuhr, erklärte Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung: "Die deutsche Industrie bestärkt die Bundesregierung darin, die bereits erodierende regelbasierte internationale Ordnung so weit wie möglich aufrechtzuerhalten." Geschäften mit China tun solche Äußerungen nicht gut.
Fazit: Never waste a good crisis?
Das dritte Jahr in Folge registriert der BDI eine schrumpfende Produktion im Industriesektor. Insgesamt wird für 2024 ein Minus von 3 Prozent erwartet, eine Erholung im Jahr 2025 sei "nicht in Sicht", so Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Der bevorstehende Abbau von 11.000 Stellen bei Thyssenkrupp und die Auseinandersetzungen bei VW hängen mit der Rezession zusammen.
Der BDI fordert vor diesem Hintergrund, kurz gesagt, mehr staatliche Investitionen, weniger Regulierungen, Steuersenkungen, ein Stillhalten der Gewerkschaften, freie Hand bei der Erschließung ausländischer Ressourcen sowie einen Drahtseilakt der Bundesregierung zwischen USA, China und EU.
Eine Regierung Merz könnte der Industrie mit der Agenda 2030 einige Wünsche erfüllen. Ob sie außenpolitisch besonnen genug agieren würde, ist fraglich.