Deutschland: Ein "Phantomgesetz" mit Teil-Verbot von Burka und Nikab
Österreich: Ein "Kopftuch-Sager" des Bundespräsidenten, der sich nicht auf der Höhe der "problematischen Situation" zeigt
Kurz vor Mitternacht verabschiedete der Bundestag gestern Nacht den "Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung", in der Öffentlichkeit als Burka- oder Nikab-Gesetz bekannt. Die Koalition aus Union und SPD setzte sich gegen die Linken und Grünen durch.
Der Gesetzesentwurf betrifft Beamtinnen im öffentlichen Dienst, Soldatinnen, Regelungen für Wahlfunktionäre (Mitglieder der Wahlausschüsse und Wahl- Vorstände) und die Identifizierung bei Passkontrollen. Das Gesicht muss unverhüllt sein, lautet die Kernforderung.
Für die Erledigung staatlicher Aufgaben ist die Möglichkeit, Beamtinnen und Beamten ins Gesicht schauen zu können, essentiell. Ein Verhüllen des Gesichts ist dann nicht hinnehmbar, wenn es das Vertrauen in ein öffentliches Amt und damit in die Tätigkeit und Integrität des Staates beeinträchtigt.
Dort, wo eine Identifizierung von Bürgerinnen und Bürgern rechtlich notwendig und geboten ist, muss ein Abgleich amtlicher Lichtbildausweise mit dem Gesicht der Ausweisinhaberin oder des Ausweisinhabers durchgesetzt werden können.
Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung
Es gehe auch um eine neutrale Haltung des Staates, wie die Einleitung zum Gesetzesentwurf herausstellt:
Der Staat ist darüber hinaus verpflichtet, welt- anschaulich-religiös neutral aufzutreten. Eine religiös oder weltanschaulich motivierte Verhüllung des Gesichts bei Ausübung des Dienstes oder bei Tätig- keiten mit unmittelbarem Dienstbezug steht dieser Neutralitätspflicht entgegen.
Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung
Gleichwohl: Das Gesetz werde, wie der BR ermittelt hat, kaum praktische Auswirkungen haben, da "faktisch niemand von diesem Verbot betroffen" sei.
Auf Nachfrage, wie viele Beamtinnen ihren Beruf vollverschleiert ausüben, beziehungsweise, ob das Tragen einer Burka oder eines Niqab am Arbeitsplatz in der Vergangenheit zu Problemen geführt habe, konnte keines der Innenministerien von Bund und Ländern einen Fall nennen.BR
Jeder weiß, es entstammt einer politischen Kontroverse und nach derzeitigem Stand der kleinste politische Nenner, auf den man sich einigen kann. Die Grünen, die dagegen stimmten, nennen es ein "Phantomgesetz", so der BR, das Teil einer "angstbesetzten Debatte" ist, eine Anbiederung an Rechtspopulisten. Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linken, die ebenfalls dagegen stimmten, wird damit zitiert, dass es ein kleiner Schritt in die Richtung der Rechtspopulisten ist, die Stimmung im Lande werde durch solche Symbolpolitik vergiftet.
Der österreichische Präsident geht aufs Eis
Wie hoch die Wellen schwappen können, wenn es um religiöse Symbole geht, die mit einer strengen Islamauslegung zusammenhängen, führt aktuell eine Debatte im Nachbarland über eine Äußerung des grünen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen vor Augen.
Van der Bellen fing bei einer Diskussionsveranstaltung (Video, etwa ab Minute 22) zu einer Frage über seine Einschätzung zum Tragen eines Kopftuchs recht harmlos an, indem er darauf verwies, dass früher viele Frauen Kopftücher trugen ("Das Normalste der Welt"). Dies verknüpfte er im Weiteren mit einer Bekleidungsfreiheit im Sinne einer Meinungsäußerungsfreiheit und betrat damit schon schwierigeren, symbolischen Boden, der dann glatter wurde, als er dann auch noch den Begriff des "religiösen Symbols" mit in seine Rede aufnahm ("Es gibt problematische Situationen").
So wurde aus seinen behaglichen Äußerungen zum alltäglichen Kopftuchtragen der 1950er und -60er Jahre ein Beitrag zur akut zugespitzten Diskussion, in die er dann auch noch die Antwort auf eine zweite Frage mithineinnahm. Diese, gestellt von einem muslimischen Zuhörer, wollte wissen, wie sich Van der Bellen zur Islamophobie stellt. Der Präsident reagierte darauf mit diesen Aussagen:
Es ist das Recht der Frau sich zu kleiden, wie auch immer sie möchte, das ist meine Meinung dazu. Im Übrigen nicht nur muslimische Frauen, jede Frau kann ein Kopftuch tragen. Und wenn das so weitergeht, und so bin ich schon bei der nächsten Frage, bei dieser tatsächlich um sich greifenden Islamophobie, wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen. Alle. Als Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun."
Van der Bellen
Es ist erstaunlich, wie unbedacht ein Bundespräsident formulieren kann: "Alle" betont er, alle Frauen, die man, wenn der Tag kommt, im Chef-Jargon dann "bitten muss" zur Solidarität, per Dekret? Und die dann eingeforderte Solidarität adressiert sich auch nicht an eine selbstbestimmte individuelle Freiheit, sondern an "religiöse Gründe".
Als ob er sich damit nicht schon genug verhoben hätte, packt Van der Bellen anschließend noch ein weiteres, eins der größten Gewichte überhaupt aufs dünne Eis, den Vergleich mit der Verfolgung der Juden.
Das ist nicht so weit hergeholt. Wenn ich mich richtig erinnere haben die Dänen während der deutschen Besatzung doch etwas Ähnliches gemacht: Und nicht-jüdische Dänen haben angefangen, den David-Stern zu tragen als symbolische oder tatsächliche Geste des Widerstands gegen die Deportation der Juden.
Van der Bellen
Erregte Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. "Dieser Kulturrelativismus, dieser pure Sexismus, den Ihre Aussagen bedeuten, ist für uns unerträglich", heißt es zum Beispiel in einem Offenen Brief, dessen Unterzeichnerinnen aus Saudi-Arabien, Iran, Irak, Pakistan, Afghanistan, Algerien und Mazedonien stammen.