Deutschland anscheinend unfähig, auf Coronavirus zu testen
In München dauert das Testen eines potenziellen Super-Spreaders mehr als drei Tage. Die bisherigen Fallzahlen sind daher wohl massiv unterschätzt. Ärzte ohne Schutzkleidung, Labore unvorbereitet, Organisation überfordert, aber laut Politik ist die Hauptsache: keine Panik
Von der Überforderung der Gesundheitsbehörden in Berlin wurde schon berichtet. Aber auch in München trug sich folgender Fall zu: Eine Erzieherin (!), die Oberitalien besucht hatte, entwickelte am vergangenen Freitag Symptome und wollte sich daher testen lassen. Nach langem Warten in Telefonschleifen am Samstag und mehrmaligen Rückfragen und Rückrufen von mehreren Ärzten kommt schließlich ein Arzt am Sonntagmorgen, der die Probe abnimmt.
Der Arzt - selbst sehr verärgert darüber - findet allerdings am Sonntag kein Labor, das die Probe annimmt, so dass die Auswertung sich bis Dienstagabend hinzieht - mehr als drei Tage. Alle Proben in diesem Labor seien negativ gewesen, jedoch könne der Name nicht verifiziert werden, die Erzieherin möge weiterhin zu Hause bleiben - weitere Instruktionen gibt es nicht. Der Arzt war übrigens ohne Schutzbrille erschienen, inzwischen sind nach seiner Aussage auch Masken und Schutzkleidung ausgegangen, die bis dahin nach Einmalgebrauch vorschriftsmäßig entsorgt worden waren.
Da es sich wohl kaum um einen Einzelfall handelt, kann man dies nur als ein Organisationsversagen bezeichnen. Mit dem momentanen Anstieg der Fallzahlen muss man davon ausgehen, dass allein durch die langsamen Tests die Fallzahlen um den Faktor 5 unterschätzt sind. Dazu kommt, dass auch bei schwerer Symptomatik bisher noch kaum getestet wurde, wie es der hochangesehene Experte Alexander Kekulé seit langem fordert. Kritische Stimmen wie er waren auf der jüngsten Pressekonferenz nicht zu hören. Man kann vermuten, dass es daran lag, dass Kekulé es gewagt hatte, dem Gesundheitsminister bei der Masern-Pflichtimpfung zu widersprechen. Stattdessen gab es beruhigende Worte vom Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler.
Selbiges Robert-Koch-Institut teilte heute dem Autor auf Anfrage mit, dass die Anzahl der durchgeführten Tests "nicht zentral in Deutschland erfasst" wird. Man gehe "von einigen Tausend seit Anfang Januar aus", nicht viel im Vergleich zu anderen betroffenen Ländern, die in der Lage sind, darüber Auskunft zu geben. Für Fragen zur Dauer des Tests möge man sich an die Berliner Charité wenden. Weitere Auskünfte könnten die einzelnen Bundesländer geben; eine entsprechende Anfrage an das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege blieb bis dato unbeantwortet.
Diese Schlaglichter beschreiben die Situation natürlich nicht vollständig, erwecken aber den Eindruck eines Versagens der Verantwortlichen. Drei Dinge sind doch offensichtlich:
- Die überlange Testdauer führ zu einer drastischen Unterschätzung der Fallzahlen.
- Die Infektionsketten werden durch die Zeitverzögerung vollkommen unübersichtlich und nicht mehr nachvollziehbar.
- Die Praxis, nur bei Aufenthalt in "Risikogebieten" und Symptomen zu testen, übersieht sowohl die symptomlosen Infektionen als auch die Übertragungen auf noch unbekannten Wegen.
Es gibt daher nur zwei Strategien: entweder man findet sich mit der mehr oder weniger unkontrollierten Ausbreitung des Virus ab, was angesichts der völlig unbekannten Eigenschaften des Virus unverantwortlich ist und Alte und Kranke gefährden könnte. Offensichtlicher kann man seinen Amtseid "Schaden von Deutschland wenden" nicht brechen.
Abgesehen von diesem Blindflug gibt es nur eine einzige Chance der Eindämmung: Die Testkapazitäten müssen sofort und massiv erweitert werden, so dass jeder, der einen Test für sich für sinnvoll hält, ihn in wenigen Stunden durchführen lassen kann. Dies könnte in zentralen Einrichtungen geschehen, in denen nach Anleitung selbst abgenommene Abstriche ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen analysiert werden. Und selbstverständlich muss man auch die Bettenkapazität für sauerstoffpflichtige Intensivpatienten erweitern - wahrscheinlich improvisiert.
Es wäre wohl empfehlenswert, sich von China oder Südkorea beraten zu lassen - dort ist die Todesrate pro Infektion im Moment übrigens siebenmal geringer als in Italien, was bedeutet, dass entweder Südkorea bessere Therapien hat oder Italien ebenfalls einen massiven Testrückstand - nicht beruhigend. Jedenfalls ist das Risiko einer Neuinfektion, jedenfalls wenn man den dortigen Zahlen Glauben schenkt, derzeit in Peking und Schanghai wahrscheinlich geringer als in München, Berlin oder gar Mailand.
Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor.