Die Angst vor "den Roten"
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Wie verhindert wird, dass die wichtigen Systemfragen gestellt werden
Bei ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag hat Angela Merkel für einen Kanzler Armin Laschet geworben und ausdrücklich vor einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei gewarnt ("Ich sag ja nur die Wahrheit"). Damit stimmt sie in die Kampagne der Union ein, deren Attacken auf die SPD und die Grünen im Hinblick auf mögliche Koalitionen zunehmen.
Das Kalkül ist klar. Es soll das dunkelrote Angstbild einer linksradikalen, unverlässlichen Partei beschworen werden, die mit ihrer Politik die Stabilität unserer Gesellschaft gefährdet. Olaf Scholz erscheint dabei als Agent eines Linksrucks, der lediglich als Marionette der Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans agiert. Der linke Flügel um Kevin Kühnert hat in dieser Theatervorstellung das Sagen in der Partei - darauf spielt Laschet an, wenn er in derselben Bundestagssitzung sagt, man könne nicht mit der Raute durch die Gegend laufen und reden wie Saskia Esken.
Es wird suggeriert, dass unter dem bürgerlichen Mantel von Scholz die wahren, die radikalen Kräfte der Sozialdemokraten lauern, die bereits einen Pakt mit der Linkspartei geschlossen hätten. Dieses Schauspiel ist keine wirkliche politische Debatte, die es entlang von Sachthemen zu führen gelte. Auch wenn immer wieder betont wird, dass es doch um die Systemfrage gehe.
Die Ironie an diesem Argument: Die Aggressionen der Union führen gerade dazu, dass die Systemfrage nicht wirklich gestellt werden kann. So bleibt es bei einer strategischen Kampagne. Da unter dem derzeitig aufgesplitterten Parteiensystem ohnehin keine Partei mehr die Chance hat, mit deutlicher Mehrheit eine Regierung anzuführen, geschweige denn die alleinige Mehrheit zu erreichen, sollen nun unliebsame Optionen auf diesem Wege verunmöglicht werden.
Dieses Schüren von Ängsten vor den "Roten" zielt auf politisch ausgiebig gepflegte Affekte bei den Wählerinnen und Wählern, die Mobilisierung antikommunistischer Haltungen. Und die Medien führen dieses Stück bereitwillig mit auf.
In allen Talkshows des Landes wurde diese Frage nach den Koalitionen aufs Parkett geholt. Auch bei Markus Lanz wurde das Marionettentheater neu aufgeführt. Lanz ging dabei sehr weit. Er löcherte den Hamburger SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher, dem Nachfolger von Olaf Scholz auf diesem Posten, derart penetrant, dass von einer objektiv kritischen Gesprächsführung kaum mehr die Rede sein konnte.
Da wird an vielen Stellen gehörig am Schreckensbild mitgezeichnet.
Vom ideologischen Unbehagen
Das große Unbehagen gegenüber der Linken ist ein ideologisches. Die FAZ-Korrespondentin Helene Bubrowski hat den Kern dieser ideologischen Angst in einem ihrer Redebeiträge bei Anne Will freigelegt. Sie appellierte mit großer Vehemenz an die Einhaltung der ökonomischen Vernunft und erinnerte daran, dass Deutschland ja immer noch eine Marktwirtschaft sei.
Die Pläne der Linken sind laut Bubrowski in ihrer planwirtschaftlichen Ausrichtung dazu gar nicht kompatibel. Folglich sei das Staatsverständnis der Linkspartei doch mindestens bedenklich, wenn sie dem Staat ein derartiges Durchgriffsrecht zugestehe. Die Frage mit der Enteignung, wie sie sich derzeit in Berlin gestellt wird, wollte Bubrowski nur am Rande erwähnen.
Über all diese Punkte könnte man auf einer sachlichen Ebene diskutieren. Frau Bubrowski aber malte in grellen Farben den Teufel einer planwirtschaftlichen Umstrukturierung der gesamten Wirtschaft an die Wand. All das klingt in den Ohren vieler Bürgerinnen und Bürger sofort nach DDR und Revolution.
Alternative finanz- und wirtschaftspolitische Lösungen, die als Antwort auf Kinderarmut, Klimakrise und Wohnungsmarkt gesehen werden können, werden mit einer abschätzigen Geste vom Tisch gewischt. Selbstverständlich wird ein System aufgerufen, das als freie Marktwirtschaft benannt, immer schon positiv konnotiert ist.
Diese umstandslose Rationalisierung des Marktes ist indessen vor allem in Zeiten eines entfesselten Finanzkapitalismus ein großes Problem. Wenn Dirk Kurbjuweit im Spiegel konstatiert, dass sich Merkel im Zuge der Finanzkrise einem Diskurs über die tieferen Ursachen verweigert hat, dann weist diese Feststellung bis in die Gegenwart der hier diskutierten Debatte.
Bloß nicht unter die Oberfläche schauen
Denn auch Union und FDP verweigern den Blick in die Tiefe vehement. Die Finanzkrise von 2008? Vergessen. Die Eurokrise mit ihren Spardiktaten ebenso. Es soll doch bitte schön mit den vertrauten Werkzeugen weiter gearbeitet werden. Das war vorher doch auch möglich. Dass uns damit die Krise überhaupt erst eingebrockt wurde? Geschenkt! Der Markt wird die Lösungen schon liefern. Man müsse ihn, so Laschet, nur entfesseln. Das klingt schon verdächtig nach weiteren Deregulierungen.
Der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl hat in seinem scharfsinnigen Buch Kapital und Ressentiment diese selbstabdichtenden Mechanismen des Marktes herausgearbeitet und zu einem düsteren Tableau zusammengefügt. Diese Lektüre macht deutlich, vor welchen Dimensionen der Tiefe hier die Augen verschlossen werden sollen:
Moderne Markt- und Wirtschaftsgesellschaften sind nicht irgendwann "postdemokratisch" geworden, ihr Grundriss und ihre Architektur waren seit jeher durch die Beschränkung volkssouveräner und demokratischer Spielräume definiert. Die Wirklichkeit ‹marktkonformer› oder ‹liberaler› Demokratien besteht in der marktförmigen Beschlagnahme oder Einbettung ihrer Einrichtungen und Subjekte. (…) Die sogenannte Marktdisziplin ist zu einem grundlegenden Kriterium der Politik geworden und hat das Interventionsvermögen des Finanzregimes verschärft.
Joseph Vogl, Kapital und Ressentiment
Es ist also beileibe nicht ausgemacht, dass der Markt ein unschuldiger Ort des Warenaustausches ist. Vielmehr greifen Lobbygruppen, Finanzdienstleister und Ratingagenturen tief in politische Geschäfte mit ein. Das starre Festhalten an der schwarzen Null ist dafür symptomatisch. Vogls Analyse lässt kaum einen anderen Schluss zu.
Die bisherigen Regulierungen sollten nur bedingt zu einer Eindämmung der negativen Auswüchse des Marktes beitragen, weil der Markt mittlerweile alles durchdringt. An einer Verbindung von Marktwirtschaft und planwirtschaftlichen Elementen, um alternative Weisen des Wirtschaftens auszutesten, besteht wenig Interesse. Genau dieses Experiment will die Linkspartei wagen.
Das fatale Ausbleiben einer Diskussion solcher Ideen, die fragwürdige Verengung des politischen Denkraums, hat der Philosoph Axel Honneth bereits vor einigen Wochen in einem umfangreichen Text in der Wochenzeitung Die Zeit kritisiert und damit den Finger in die Wunde gelegt. Nur scheint diese Wunde kaum jemanden in der Politik zu schmerzen.
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