Die Antwort der USA

Seite 2: 2. Amerika übernimmt die Definitionshoheit über die Lage

Amerika geht in seiner Offensive einen Schritt weiter, indem es die weltpolitische Lage definiert: Die russische Drohung, den Ausbau der Ukraine zum Bestandteil der Nato-Front nicht hinzunehmen, wird als das einzige Thema auf die weltpolitische Tagesordnung gesetzt, das Amerika in seinem Verhältnis zu Russland zu behandeln gedenkt, und zwar so, dass es hier nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Russland und der Nato geht, sondern ausschließlich um einen bevorstehenden Überfall Russlands auf die Ukraine.

Vor dem warnt die US-Administration täglich, detailliert und anschaulich ausgestaltet, bis schließlich Blinken der UNO den vollständigen russischen Schlachtplan vorlegt:

Erstens plant Russland, einen Vorwand für seinen Angriff zu schaffen. Dabei könnte es sich um ein gewalttätiges Ereignis handeln, das Russland der Ukraine in die Schuhe schieben wird, oder um eine ungeheuerliche Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird. Wir wissen nicht genau, in welcher Form dies geschehen wird. Es könnte ein erfundener sogenannter "terroristischer" Bombenanschlag innerhalb Russlands sein, die erfundene Entdeckung eines Massengrabs, ein inszenierter Drohnenangriff auf Zivilisten oder ein vorgetäuschter – oder sogar echter – Angriff mit chemischen Waffen. Danach werden russische Panzer und Soldaten auf wichtige Ziele vorrücken, die bereits in detaillierten Plänen festgelegt wurden. Wir glauben, dass zu diesen Zielen auch die ukrainische Hauptstadt Kiew gehört, eine Stadt mit 2,8 Millionen Einwohnern.

Außenminister Antony Blinken, 17.2.22

Man gibt also erstens bekannt, dass man über die russischen Pläne genauestens Bescheid weiß. Eine Gewissheit, die sich bestimmt nicht den deklassifizierten Informationen der eigenen großartigen Geheimdienste verdankt, vielmehr weiß man deshalb so gut Bescheid, weil man selber Russland mit der Zurückweisung seiner Forderung vor die Alternative stellt, in einer Materie, die es als eine Existenzfrage deklariert, aufzugeben oder seine Drohung wahr zu machen:

Bedenken Sie, dass Russland zwar wiederholt unsere Warnungen und unseren Alarm als Melodrama und Unsinn abgetan hat, aber dennoch ständig mehr als 150 000 Soldaten an den Grenzen der Ukraine zusammengezogen hat und über die Fähigkeiten verfügt, einen massiven militärischen Angriff durchzuführen.

Außenminister Antony Blinken, 17.2.22

Zweitens teilt Blinken also mit, dass man Russland bis ins Letzte durchschaut, also in keinem Punkt von der russischen Invasion überrascht werden wird, dass man sie schon in allen Einzelheiten vorwegnehmen kann, inklusive des Datums und der vorhersehbaren russischen Kriegsverbrechen. 2 Und drittens gibt man zu verstehen, dass Amerika davon gänzlich unbeeindruckt ist, also die Lage beherrscht, weil man sich schon lange und gründlich darauf vorbereitet hat. Biden:

Wir haben uns umfassend und sorgfältig vorbereitet. Wir haben Monate damit verbracht, eine Koalition aus anderen freiheitsliebenden Nationen von Europa und Amerika bis Asien und Afrika aufzubauen, um Putin die Stirn zu bieten. Ich habe unzählige Stunden damit verbracht, unsere europäischen Verbündeten zu vereinen. Wir teilten der Welt im Voraus mit, was wir von Putins Plänen wussten und wie genau er versuchen würde, seine Aggression fälschlicherweise zu rechtfertigen. Wir haben Russlands Lügen mit der Wahrheit gekontert.

Joe Biden, 1.3.22

Der Triumphalismus, mit dem Blinken und Biden verkünden, dass sie die Wahrheit auf ihrer Seite haben, und zwar so sehr, dass der Außenminister geradezu damit kokettiert, wie erfreut er sein werde, wenn sich seine Vorhersage als falsch erweisen würde – "Wenn Russland nicht in die Ukraine einmarschiert, dann werden wir erleichtert sein, dass Russland seinen Kurs geändert und bewiesen hat, dass unsere Vorhersagen falsch waren" (Antony Blinken, 17.2.22) –, dokumentiert den Standpunkt einer grenzenlosen Überlegenheit, mit dem die Führer der amerikanischen Weltmacht die von Russland geschaffene, von den USA aber nicht bloß beobachtete, sondern mit strategischer Weitsicht herbeigeführte Lage angehen.

Sie sind es ja, die Russland nur die Wahl offenlassen, entweder nachzugeben und die Verwandlung der Ukraine in ein kriegsentscheidendes Potential der Nato hinzunehmen oder diesen Übergang militärisch zu unterbinden, entweder zu kapitulieren oder in die Konfrontation hineinzugehen, für die die Ukraine präpariert worden ist.

Und sie bekunden ihren festen Willen, sich von russischen Gegendrohungen in keiner Weise beeindrucken zu lassen: Man rechnet damit, dass Russland die Ukraine angreifen wird, ist darauf vorbereitet, selber zu jeder Eskalation bereit, und man ist sich sicher, dass man alle Mittel in der Hand hat, um beim Eskalieren die eigene Dominanz zu behaupten.