Die Gefahr ist die Message

Seite 2: Grundrechte hatten schon immer Grenzen

Davon, dass diese Grundrechte in Wahrheit nie für alle gegolten haben, sondern sehr wohl von z.B. den weltanschaulichen Positionen abhängig sind, können viele BRD-Kommunisten ein Arbeiterlied singen. Daher ist es besonders rührend, dass einige der nun als Impf-Skeptiker auftretenden Anarcho-Liberalen und zu Virologen umgeschulten Ideologiekritiker sich von diesem Land erst jetzt in ihren Grundrechten eingeschränkt sehen.

(Dass schon das bloße Fernbleiben vom Impfarzt von einigen Bürgern hierzulande zu einem Widerstand gegen das System hochgeredet werden kann, sagt mehr über die Vorstellungen, die in Deutschland so über Widerstand, Streiks und Revolutionen kursieren, als über den realen Grad an staatlicher Repression.)

Schon in der Zeit vor Corona offenbarte sich in den Medien eine Tendenz, eventuell zu erwartende Schäden bereits gedanklich vorwegzunehmen, als wären sie schon real: Nicht das aktuelle Geschehen ist hier noch von Interesse, sondern das vielleicht kommende. Solches Warnen und Mahnen vor Gefahren haben sich zu einem ganz einträglichen Geschwätz-Geschäftszweig gemausert für Leute, die mangels sonstiger Kompetenzen darauf verwiesen sind, auf die Tränendrüsen anderer zu drücken.

Ob der als Gefahr gefürchtete, aber nur vermutete Schaden eintritt, interessiert jene nicht, deren Job die Gefahrenverkündigung ist. Die Warnungsindustrie hat sich insoweit als Selbstverständlichkeit etabliert, dass sie Teil des Wirtschaftsstandorts geworden ist und ihre Emotionswaren nun als Grundbedürfnis gelten. Ein Leben ohne tägliche Hiobsbotschaften scheint insbesondere dem deutschen Bürger schon unvorstellbar und wenig wünschenswert.

Bemerkenswert ist daran, wie sich in dieser Haltung zurzeit beide Stämme der ihre individuelle Panik öffentlichkeitskonform Verwertenden treffen: Die Impfgegner ebenso wie jene, die das gesamte Land möglichst schnell zu einer einzigen Intensivstation ummodeln wollen, obwohl es bisher doch als geschlossene Anstalt bereits nahezu reibungslos funktionierte.

Aus der fiktiven Gefahr wird Realität

"Gefahr" kann so – erst recht, wenn man sie subjektiviert (wie in: "Ich habe Angst vor Migranten/ Krankheiten/ Impfen/ Krieg/ Kommunisten" - also oft auch noch Phänomene, die die Gefahr beseitigen könnten) – in Öffentlichkeiten, die von der Tendenz zur Vorwegnahme möglicher Probleme geprägt sind, als schon realer Schaden dargestellt werden: Wovor sich wer fürchtet, also eine bloße Möglichkeit, soll da maßgeblich fürs individuelle und politische Handeln sein, nicht, was wirklich stattfindet.

Wenn etwa eine Wissenschaftlerin wie Melanie Brinkmann im letzten November von einer "furchterregenden Dynamik" der Omikron-Variante sprach, kann das als persönliche Einschätzung gelten - wobei auch hierbei schon zu fragen ist, ob sich Wissenschaft nicht lieber in konkreten, quantitativen und faktengenährten Prognosen äußern sollte, statt über die psychischen Zustände einzelner ihrer Vertreter. Bei als seriös und objektiv geltenden öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen wären allerdings strenger Maßstäbe anzulegen.

Wenn nämlich, wie kürzlich im heute journal des ZDF, eine Meldung mit "Werftarbeiter bangen um ihren Arbeitsplatz" betitelt wird, dann hält solcher Journalismus das Bangen für eine Nachricht, während jede objektive Berichterstattung diese in der Ankündigung von Großunternehmen, Leute zu entlassen, erfassen würde. Nicht die erpresserische kapitalistische Ökonomie ist hier das Thema, sondern das Bangen der Proleten.

Auch die Tagesschau (vom 15.01.22) verkündet: "Im Ukraine-Konflikt wächst die Sorge um einen Krieg". Gerechtfertigt wird diese Sorge mit aus der Ukraine und den USA stammenden Verschwörungstheorien wie der, das Land erwarte russische "False-flag-Aktionen" und sei unterwandert von "russischen Agenten".

Auf die zutreffende Nachricht, dass vor über 30 Jahren auch durch deutsche Bemühungen eine Union von Republiken zerstört und dutzende auf den Nationen-Konkurrenzmarkt geworfene Kleinstaaten erzeugt wurden, die jetzt von der bisher primär durch eine Vielzahl an Angriffskriegen aufgefallene Nato gegen Russland ausgespielt werden, wartet man vergebens.