Weshalb die Linke dem Corona-Spektakel nicht entkommt
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Was die Pandemie-Aufregung mit der Fußball-WM gemein hat. Und warum die Linke die Gefahr suchen sollte, statt sie zu meiden. (Teil 2 und Schluss)
Objektive Nachrichten laufen schnell Gefahr, als Propaganda abgetan zu werden – Beispiele dazu sind am Ende des ersten Teils dieses Textes angeführt. Oft bleiben faktische Hintergründe aus Gründen des hiesigen Staatswohls ausgeblendet, stattdessen üben sie sich in Gefühlsmystik oder verbreiten direkt jene "Verschwörungsideologie", vor der sie, sollte sie von Unbefugten ausgehen, beständig warnen.
Einerseits also werden Einschätzungen über das Seelenleben derer, über die man berichtet, als objektive Berichterstattung geframed. Andererseits verbringen auch Millionen andere Menschen ihre Tage in Sorge, über die wiederum nicht berichtet wird.
Teil 1: Die Gefahr ist die Message
Sollten die Sorgen Einzelner Anlass für Berichterstattung sein, könnte man den ganzen Tag lang nichts anderes mehr senden. Es scheint nicht überzogen zu behaupten, dass immer nur ganz bestimmte Sorgen, Ängste und Gefahren für bestimmte Zwecke instrumentalisiert werden.
Von der Besorgniserzeugung kann schließlich Gebrauch machen, wer mit genügend Einfluss ausgestattet unbequemere Wege scheut: Solange ein gewisses Level der medialen Gefahrenverkündigung eingehalten wird, werden nur wenige sich die Frage zu stellen erlauben, ob denn die Gefahr auch wirklich so groß sei, wie ständig behauptet.
Denn wer das machte, wäre unmoralisch, er stellte die Grundwerte der Gemeinde, die in Wahrheit die der Autoritäten sind, infrage und würde deren Zorn auf sich ziehen.
Die Linken lassen sich besonders in Deutschland derzeit von der Gefahr treiben: Die Antiautoritären unter ihnen sehen überall die gefährliche Macht des Staates am Werk, also ihre Freiheit und Autonomie in Gefahr. Die Vernünftigeren wiederum tendieren dagegen oft dazu, nicht nur den sozialistischen, sondern auch den bürgerlichen Staat und dessen Regierungen als Garant für die Abwehr von Gefahren oder bereits bestehenden Übels zu überschätzen.
Während der Coronapandemie dürfte der deutsche Staat aber bisher wohl mindestens genauso viel Unheil angerichtet wie verhindert haben. Sie wären daran zu erinnern, dass derselbe Staat, von dem sie nun partiell Schutz ersehnen, diesen – oder auch bloß das Trugbild eines Pandemieschutzes – nur gewähren kann, weil er es ansonsten mit dem Schutz des Lebens von Millionen nicht so eng sieht.
Die Wünsche, ja Aufforderungen nach härterem Durchgreifen des bürgerlichen Staates auch und besonders durch die zunehmend mit den Linksliberalen zu einer staatstragenden Schicht verschmelzenden radikalen Linken aber beschränken sich nicht auf das Internet (gegen den "Hass im Netz" usw.).
Illusionen in den bürgerlichen Staat
Gerade während der Coronazeit hat eine bedenkliche Sozialdemokratisierung einstmals radikalerer Linke eingesetzt, die sich zuvor als "antiautoritär" oder zumindest doch staats- und ideologiekritisch bezeichnet hätten oder es immer noch tun. So bettelten sie bei der Groko um möglichst lückenlose Durchsetzung des Netz-DG und sonstiger Zensurvorhaben im Internet.
Wenn aber jetzt von links ein härteres Vorgehen gegen sogenannte Querdenker – ob auf Telegram oder bei deren Demonstrationen – gefordert wird, oder auch nur die bürgerlichen Narrative dazu übernommen und verbreitet werden, sollten sie nicht glauben, dass ein mit solchem exekutivem wie ideologischem Instrumentarium ausgerüsteter und von links auch noch ermutigter Staat nicht ebenso hart gegen Linke vorgehen würde.
Hat der bürgerliche Staat einmal ein erweitertes Repertoire an Repressionsmitteln in der Hand, wird er sie – das müsste jeder geschichtlich halbwegs Informierte wissen – auch nutzen.
Für die Annahme, dass dieser Staat ausgerechnet Linke, die einer solchen Aufrüstung – und sei es noch so verklausuliert und implizit oder mit den besten Absichten – aufgeschlossen gegenüberstehen, später einmal verschont ließe, muss man schon ziemlich naiv sein: Ein Staatsapparat, der von "rechter Gefahr" (nämlich für seine Existenz) redet, der wird ziemlich bald und vor allem verstärkt auch auf eine "linke Gefahr" zu sprechen kommen.
Andererseits könnte im schlechtesten Falle die Tatsache, dass sich antiautoritäre und linksradikale Regierungsfans so sicher zu sein scheinen, nicht die nächsten als "Querschwurbler" Gebrandmarkten und vom bürgerlichen Staat Verfolgten zu sein, nicht nur etwas über ihre Naivität, sondern vielleicht auch einiges über ihre Harmlosigkeit für die Klassengesellschaft aussagen.
Was beide Fraktionen dieser nichtmarxistischen Linken (Maßnahmenverschärfungsforderer wie Maßnahmenkritiker, d.h. sozialdemokratisch gewordene Antiautoritäre und antiautoritäre Sozialdemokraten) letztlich eint, ist der Glaube an die emotionale Überzeugbarkeit einer signifikanten Menge an Leuten, die sich mittels – etwa auf Facebook und Twitter – ausgestellter Empörung gegen den als schuldig ausgemachten Gegner (Staat) aufbringen ließen. Und die einer bürgerlichen Staatsführung durch Vorschläge zu Verordnungen (z.B. gegen Impfgegner) zur Seite stehen wollen.