Die Gefahr ist die Message

Welche Funktion mediale Emotionalisierungen haben und wie der Rückgriff auf tatsächliche oder fiktive Ängste einen realistischen Blick auf die Welt vernebelt (Teil 1)

Wer in der großen Öffentlichkeit – und nicht etwa am Rande einer Klippe im Hochgebirge – bekräftigt, etwas sei gefährlich, will meistens betrügen. Ob Impfungen, Krankheiten, Migranten, "der Islam", der Extremismus, die Spaltung der Gesellschaft, "Hass im Netz" und jetzt sogar der Messenger-Dienst Telegram – das alles soll gefährlich sein, geht es nach jenen, die sonst keine Bedenken haben, etwa völkerrechtswidrige deutsche Angriffskriege als notwendig zu erachten.

Und es ist ja auch immer irgendwie alles für irgendwen oder irgendwas gefährlich. Die Frage ist nur, in welchem Maße, und vor allem: für wen. An Antworten darauf mangelt es im Vergleich zur Anzahl der Warnungen erheblich.

Sicher lauert überall die Gefahr für die, die sie sehen wollen, und wer als ständig Alarmierter seine Befürchtungen gerne mit anderen teilt und dazu eine entsprechend große Reichweite hat, wird mit der Zeit genügend Leute finden, die sich einer Gefahr ausgesetzt sehen, von der sie vorher nicht mal etwas geahnt haben.

Gefahrenverkündigung, die garantiert schnell eine Menge an ausführlichen Rezepten zu ihrer Abwehr nach sich zieht, deutet immer auf Interessenlagen hin: In antagonistischen Gesellschaften ist des einen Gefahr des anderen Chance: Wo etwa der Arbeiter das Problem hat, seinen Job zu verlieren, bietet sich für den Unternehmer die Chance, Kosten einzusparen.

Wo wiederum für den Kapitalisten eine "Gefahr" – z.B. die der Existenz seines Unternehmens oder gar seiner gesamten Klasse – besteht, gibt das für den Lohnabhängigen die, zugegebenermaßen geringe, historisch aber schon umgesetzte Möglichkeit zur revolutionären Übernahme des Betriebs, des Streiks und anderer Formen von Klassenkampf.

Wiederum sind Bombenabwürfe über Syrien einerseits sicher höchst gefährlich für die dort lebenden Menschen – für die deutschen Waffenkonzerne hingegen eine Gelegenheit des Profits – und damit der Verzicht auf sie wiederum eine "Gefahr für die deutschen Arbeitsplätze" in eben jener Industrie.

Die einfache, undialektische Rede von der Gefahr beruht also auf der Vorstellung, es gebe eine Gesellschaft, in der keine grundlegenden Klassenunterschiede bestünden und daher alle ein und dasselbe Interesse teilten, dass also eine Sache für jeden und im gleichen Maße ein Problem oder eben eine Gefahr sein können. (Man muss wirklich mal darauf achten, wie oft auch Menschen von Gefahr reden, die gemeinhin als intelligent gelten.)

Gefahr als Message an die Untergebenen

Es wird also gar nicht erst gefragt, für wen da eine Gefahr (oder ein Problem) besteht und ob eine solche nicht eventuell auch etwas Sinnvolles sein könnte, etwa für Leute, die an einer Überwindung der bürgerlichen, antagonistischen Verhältnisse interessiert sind.

Es wäre daher nicht zu viel erwartet, wenn Menschen, die Gefahren wittern, einmal eröffnen würden, für wen und worin diese denn bestehen sollen – und wer eventuell am stetigen Verkündigen von Gefahren profitierte (als SPD-Hypnopolitiker und Epidemiologe etwa kann man es auf diese Weise bis an die Spitze des Bundesgesundheitsministeriums schaffen). Das Bekunden von Gefahren durch die Regierung ist als solche schon die Message an die Untergebenen – und nicht etwa Anlass zum Finden einer Lösung.

Die Pauschal-Rechtfertigung für alle Versuche, Grundrechte einzuschränken, lautet heute "Gefahr für die Demokratie": Mit Demokratie dürfen sich immer alle mitgemeint fühlen, die auf dem Boden der staatlichen Grundordnung stehen, also an der bürgerlichen Gesellschaft nichts auszusetzen haben.

Das sind bedrückend viele, und so kann das Gerede von einer "Gefahr für die Demokratie" (wie sie nun etwa wieder in der Debatte ums Telegram-Verbot und das Einlenken von Ministerin Faeser bemüht wurde) ganz viele Menschen auf einmal erschrecken.

(Wie sinnvoll und vernünftig eingerichtet, human oder gesittet eigentlich die Gesellschaft einer Staatsform ist, welche bereits bei ein paar pöbelnden Spinnern um ihre Existenz fürchten muss, wäre nebenbei eine Frage, die von ihren offiziellen Repräsentanten so schnell wohl nicht ernsthaft beantwortet werden wird.)

Die Gefahr für die Demokratie kommt gleich nach der wohl beliebtesten Schimäre: der Angst vor der Enteignung von Omas Häuschen, sobald mal wieder ein linker Politiker eine geringfügig höhere Erbschaftssteuer zur Diskussion gestellt hat.

Wer also von Gefahren redet, meint damit doch meist sehr subjektive Vorstellungen, mithin seine persönlichen Interessen oder die der besitzenden Klasse.

Das Paradoxe daran ist, dass die hiesige Demokratie sich ständig ausgerechnet damit rechtfertigt, sogar ihre grundsätzliche Legitimierung aller Politik darin sieht, ein sogenannter "Rechtsstaat" zu sein, der – im Gegensatz zu diktatorischen oder sonst wie undemokratischen Gemeinwesen – seine Grundrechte jedem gleichermaßen garantiere.