Die Gespenster der Freiheit - Politischer Spiritismus in Medienzeiten

Warum sich Amerikas Feinde in Luft auflösen und in der Sahara nur wenig mehr als heißer Wüstensand zu finden ist

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"Es gibt aber auch andre Arten und Kunststücke, um unter Menschen, mit Menschen "umzugehn": zum Beispiel als Gespenst - was sehr ratsam ist, wenn man sie bald los sein und fürchten machen will... und dass wir nach dem Tode erst zu unserm Leben kommen und lebendig werden, ah! sehr lebendig! wir posthumen Menschen!"

Die letal-vitale Rezeptur von Nietzsches Einsiedler, sich fröhlich zu fantomisieren, ist längst zur beliebten Façon geworden, als Gespenst der Medien ruhelos umherzuziehen. Die Gespensterexistenz ist die neue Lebens- oder Todesweise von Amerikas Feinden, insbesondere den bedeutenden, eben jenen, die schon zuvor zu gespenstischen Menschheitswidersachern aufgeblasen wurden und nun als Projektionen amerikanischer Albträume überleben dürfen.

Die postmodernen Gespenster

Präsident Bush und andere Führungskräfte des Ghostbuster-Kompetenzteams haben erklärt, dass es ihnen egal sei, ob ihre dämonischen Widersacher nun leben oder tot seien. Die von ihnen entthronten Schattenwesen leben folglich im fantomischen Zwischenreich, gesellen sich zu den Marienerscheinungen, den Marsianern und allen körperlosen Ungeistwesen, die das aus der Wirklichkeit Verdrängte grotesk weiter leben lassen.

Während Ibin Ladins und Husseins Getreue teilweise noch mit einem lästigen Realkörper geschlagen sind, die nun auf der Gespensterinsel Guantanamo oder wo immer die Freiheit gerade ihren Spuk treibt, verbracht werden, wandern die wahren Bösen in das Schattenreich, in das Purgatorio ihrer medialen Halbwertszeiten ab.

Saddam Hussein war nach Bush das inkarnierte, also Fleisch gewordene Böse und also ist es nur logisch, dass er nun zur Strafe bis auf weiteres sein Leben als medialer Wiedergänger abbüßt. Husseins Realkörper wie auch die von Usama bin Ladin oder Mullah Omar werden von den konzertierten Medien des Shining, durch Videos, Tonbänder, vor allem aber durch Gerüchte über ihr Erscheinen und Verschwinden, ersetzt. Das postmodern(d)e Gespenst hält sich nicht mehr dumpf wallend und lallend in verlassenen Schlössern, der Gruft, dem Friedhof oder selbstironisch in politischen Manifesten auf, sondern bedroht uns augenzwinkernd aus dem Zwielicht der Medien.

Herstellungsprozeduren für Fantome

Wie macht man eigentlich Gespenster? Man gibt Gespenstern nach Jacques Derrida einen anderen künstlichen Leib, der zu einem "Fantom des Fantoms" wird. Oder in den Worten von Allan Kardec, des Großmeisters der experimentellen Spiritisten, der nicht anders als Swedenborg mit Gespenstern von Du zu Du umging:

"Die Geister offenbaren sich durch Vermittlung der Medien, die ihnen als Werkzeug und als Dolmetscher dienen."

So einfach ist das also. Der eigentliche Trick des "Eskamoteurs", des Herrns der Gespenster, besteht nun aber nach Derrida darin, verschwinden zu machen, indem man "Erscheinungen" produziert. Wir wissen nicht so genau, wer im Fall der gegenwärtigen Gespenster- und Hexenjagden der "Eskamoteur" ist. Doch das gehört ja gerade zum echten Spuk des Spätspiritismus dazu. CNN, Al-Dschasira, Pentagon - oder ein weiterer schrecklicher Verdacht in den medialen Paradoxien des politischen Spätspiritismus: die Gespenster selbst? Denn immerhin hat der Eskamoteur Saddam Hussein seine eigene Fantomisierung schon zu Lebzeiten durch angeblich 20 und mehr Doppelgänger vorbereitet. Und wurde nicht auch Bin Ladin nachgesagt, mit diesem medialen Taschenspielertrick die Jäger des verlorenen Schatzes (Freiheit, Demokratie, Öl) zu narren?

Die Vorteile der Datenleiber für einen Kampf gegen Chimären

Warum hat man nun nicht nach alter Väter Sitte die Oberbösen enthauptet und ihre Köpfe vor den Toren der Stadt aufgespießt, vielleicht noch einen Pflock in ihr Herz getrieben, damit sie gerade nicht als Untote wiederauferstehen - vor allem als Warnung an die Überlebenden, Terroristen und solche, die es werden wollen? Weil man sie nicht gefangen hat? Warum ausgerechnet sollen die obersten Widersacher des Diesseits, Usama bin Ladin, Mullah Omar, Saddam Hussein und dessen Söhne, nach denen mit besonderer Intensität gesucht wird, die besonders schlecht untertauchen können, die allerorten mit dem Verrat der treuen Gefährten rechnen müssen, warum sollen ausgerechnet die so unauffindbar sein, als habe sie der Erdboden aus Mitleid verschluckt? Wurde unsere Frage, wo sie denn alle sind, bereits durch Bushs fantomatische Antwort befriedigt, im Kampf gegen den Terrorismus gäbe es Siege, von denen die Öffentlichkeit nie etwas erfahren wäre?

Oder belegen die Fürsten der diesseitigen Finsternis erst als Gespenster des Jenseits die Logik des ganzen Freiheitsunternehmens, das nicht weniger Chimären nachjagt als die ausgetriebenen Bösen selbst? Wenn der Kampf gegen ein Prinzip "Terrorismus" nicht mehr als eine Chimäre sein kann, braucht es auch Gespenster, dieses manichäische Niemandsland zu bevölkern. Usama bin Ladin darf nicht leben, so wenig wie Saddam Hussein sterben

. Abgesehen vom gespensterhaften Demokratieverständnis, von der völligen Intransparenz dieses Spuks weiß auch das Pentagon, dass die menschliche Neugier durch sybillinische Verlautbarungen dauerhaft zu instrumentalisieren ist. Und der Datenleib der Widersacher ist sehr solide, solange es Medien und ihren Herren gefällt, strategische Antworten auf neue und neueste Gefahren zu geben - unabhängig davon, ob es daneben noch einen Realkörper gibt oder nicht. Prozesse gegen Usama bin Ladin oder Saddam Hussein wären dagegen viel zu brisant, könnten doch aus Zombies Menschen, aus Angeklagten Ankläger, aus dämonischen Menschheitswidersachern Zeitgenossen werden und schließlich ihre apokalyptischen Potenzen zu einem Häuflein müder Asche schrumpfen.

Sicherheitshysterien sind Formen der modernen Gespensterangst

Terroristenjagd und Präventivkriege gründen im politischem Spiritismus, der die Aufklärung und ihre späten Ausläufer als Spuk denunziert. Sicherheitshysterien sind nichts anderes als Gespensterangst - mit dünner rationalistischer Lasur für Nichtmethodisten und ewige Zweifler. Politische Spiritisten brauchen jene Geister, die so unheimlich wie beherrschbar werden, weil der, der an das Böse als Prinzip und aus Prinzip glaubt, nie weit entfernt davon ist, es für leibhaft und bedrohlich zu halten. Auch der Papst hält den Teufel bekanntlich für einen Geist mit Körper.

Der leibhaftige Saddam Hussein ist nun nach dem märchenhaften Endkampf um Bagdad - vorübergehend oder immerwährend - ein solches Gespenst mit einem medialen Ersatzkörper geworden. Saddam Hussein wollte den amerikanischen Schulkindern mitteilen, dass die wundervollen Geschichten von Aladin und Sinbad nicht von Disney und McDonalds erfunden wurden, sondern in seinem Märchenland spielen. Bush hat ihm nun diesen Wunsch erfüllt und ihn selbst in die Galerie der fabulösen Helden gestellt. Und das ist eine alte Tradition im Umgang mit dem Orient, der seit je von westlichen Projektionen bevölkert wird: von den Fantasmen des unvorstellbaren Reichtums, der sexuellen Exzesse im Harem und anderen europäischen Obsessionen, die den tausendundeins Wunderlampen entnebeln.

Militärfantomatik

In der Welt der Gespenster, der Wiedergänger und Schattenwesen haben wir es uns ohnehin längst heimisch gemacht, seitdem wir wissen, dass die Realität der Medien die Geisterbahn ist, der wir nicht entfliehen können. Amerika hat zudem ein reiches okkultistisches Training: From dusk till dawn treiben die Poltergeister, Freddy Krueger, Buffy, the Vampire slayer, Mars Invaders, Halloween-Fratzen und unzählige Dinger aus einer anderen Welt ihr unwesentliches Wesen. Und eine Nation, die mehrheitlich glaubt, Saddam Hussein stünde hinter den Anschlag von Nine/Eleven, ist sicher auch medial ausreichend präpariert, ihn schließlich für einen Wiedergänger in der Dark Zone zu halten.

In diesem medialen Spukspektakel später Spiritisten hatte auch Comical Ali Recht, dass die US-Marines an den Mauern Bagdads Selbstmord begingen, was ja mindestens so einsichtig ist wie Baudrillards These, der erste Golfkrieg habe überhaupt nicht stattgefunden. Wenigstens für einige medial-logische Sekunden der irakischen Propagandasimulakren, in der nur die ausgestrahlte Wahrheit gilt, starben die Eroberer einen Tod, den sie sich nur selbst zufügen könnten, weil die irakische Armee zu dem Zeitpunkt schon eine Fata Morgana, eine Gespensterarmee geworden war. Bush musste sich folglich an Comical Ali erfreuen, weil der irakische Desinformationsminister den komplementären Spuk spendete, ohne den Amerikas Spiel auf ein Tor schließlich noch als unheroisch-unfaires Spektakel hätte denunziert werden können.

Wer darauf hält, die Sieger wären weniger Fantome als die von ihnen bekämpften Dämonen, täuscht sich. Wer glaubt etwa ernsthaft, der oberste General Tommy Franks würde funktionellen Notwendigkeiten folgen, wenn er im schmucken Wüstenkampfkostüm permanent so erscheint, als sei er gerade einem sandigen Granattrichter vor Basra entstiegen? Das ist genauso Militärfantomatik wie Bushs Erscheinung im Kampfpiloten-Ornat - getreu dem kabbalistischen Wissen:

"Mit Gespenstern spielend, wirst du zum Gespenst."

Gespenster, wohin der medial verklärte Blick auch fällt. Die Touristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz verschwanden in der Wüste "wie vom Erdboden verschluckt". Wenn die Entführer jenseits logistischer Notwendigkeiten die Wahl dieses Ortes getroffen haben, ist ihnen semantischer Gespenstersinn bei der Ausübung ihres diesseitigen Handwerks nicht abzusprechen.

Die "Gräberpiste" passt sehr gut zur postmodernden Logik des Verschwindens in der Wüste. Wenn ganze Karawanen im Treibsand spurenlos vom Schicksal konfisziert werden und die Fata Morgana das schönste Schauspiel des Da-Seins ist, ohne da zu sein, gibt es kein besseres Szenario als die Sahara, das so beliebte Metier David Copperfields auszuüben. Und dieser Logik des Unaufklärbaren korrespondiert der algerische Innenminister Noureddine Yazid Zerhouni mit dem höchst auslegungsfähigen Orakel: "Alle, oder zumindest einige leben noch".

Erreicht die von Jean Baudrillard beschriebene "Agonie des Realen" nun neue Höhepunkte? Die ruchlosen Gespenster passen in das amerikanische Universum der großen Ideen - Freiheit, Gleichheit, Demokratie - und werden dort - somewhere over the rainbow - zu den Schattenfiguren der großen Gespenster, zu kleinen Unterteufeln, die keiner so ganz ernst nimmt und doch ein wenig oder auch mehr fürchten soll.

Außer gebetsmühlenhaften Racheschwüren haben die ausgetriebenen Bösen mit medialer Wiederkehrgarantie ohnehin nichts mehr zu sagen, weder in diesem noch in jenem Leben. "Seit den frühen Tagen des Spiritismus hat das Jenseits nichts Erheblicheres kundgetan als Grüße der verstorbenen Großmutter nebst der Prophezeiung, eine Reise stünde bevor", spottete Adorno in seinen Thesen gegen den Okkultismus über die Geister, die den Geist ersetzen.

Usama und Saddam sind jetzt die neuen Geister in der alten Flasche, die mehr oder wenig beliebig herbeigezaubert werden können - ihre reale Existenz würde dieses mediale Machtspiel des kleinen Hans oder großen George - fort/da - nur stören. Denn als Geister sind sie "wer es auch immer sei, weniger gefährlich...als ein Lebender", wie es bereits Allan Kardec im "Buch der Medien" 1861 prophezeite.