"Die Herrschaften haben Wichtigeres zu tun, als sich mit Einzelschicksalen zu beschäftigen"
Seit drei Wochen befindet sich die Familie Rejall aus Gütersloh in Corona-Quarantäne. Ein Testergebnis liegt immer noch nicht vor. Bettina Rejall schildert gegenüber Telepolis ihre Situation
Bis heute liegt das Ergebnis über den Test des Vaters, der auf dem Tönnies-Grundstück gearbeitet hat, nicht vor. Bettina Rejall, ihr Mann André Rejall und ihr dreieinhalbjähriger Sohn wussten sich nicht mehr weiter zu helfen, haben den WDR kontaktiert, der über den Fall berichtet. Telepolis hat sich mit Kreis und Stadt in Verbindung gesetzt und nachgehakt. Der Kreis, der für die Quarantänemaßnahme verantwortlich ist, reagierte ziemlich gereizt (siehe Kommentar). Im Telepolis-Interview schildert Bettina Rejall ihre Situation.
Frau Rejall, Sie sind zusammen mit Ihrem Mann und Ihrem dreieinhalbjährigen Sohn seit über drei Wochen in Quarantäne. Warum so lange?
Bettina Rejall: Weil man versäumt hat, uns nach 2 Wochen erneut oder mich überhaupt zu testen.
Der Reihe nach. Ihr Mann hat sich auf dem Gelände der Firma Tönnies befunden. Warum war er dort? Und: Was geschah dann?
Bettina Rejall: Mein Mann ist auf dem Tönnies-Grundstück beschäftigt. Am 18.06. wurde bei ihm ein Abstrich genommen.
Wie wurde Ihnen gegenüber kommuniziert, dass Sie in Quarantäne müssen?
Bettina Rejall: Eine persönliche Mitteilung darüber gab es nie. Mein Mann bekam lediglich eine "Allgemeinverfügung zur Quarantäne", gerichtet an alle auf dem Tönnies-Grundstück tätigen Personen.
Und dann haben Sie auf das Testergebnis gewartet?
Bettina Rejall: Die ersten paar Tage nach dem Test ja. Da aber klar war, dass nur die positiv Getesteten eine Nachricht erhalten, war uns relativ schnell klar, dass mein Mann negativ sein muss.
Wann haben Sie zum ersten Mal beim Kreis nachgehakt?
Bettina Rejall: Innerhalb der ersten zwei Wochen der Quarantäne fand ich es schon merkwürdig, dass uns niemand vom mobilen Team besucht hat. In den Medien bzw. auch vom Kreis Gütersloh hieß es, dass die Einhaltung der Quarantäne kontrolliert wird. Wenn wir nicht so korrekt mit der Situation umgegangen wären, hätten wir theoretisch auch frei durch die Gegend spazieren können und niemand hätte es mitbekommen. Am 03.07. habe ich dann beim Kreis Gütersloh meine Bedenken geschildert.
Wie war die Reaktion?
Bettina Rejall: Man wollte uns auf die Liste setzen lassen und so schnell wie möglich ein mobiles Team schicken.
Wann hat Ihnen gedämmert, dass hier etwas aus dem Ruder läuft?
Bettina Rejall: Nachdem vom Kreis eine offizielle Pressemitteilung abrufbar war, in der stand, dass alle noch nicht besuchten Haushalte am Sonntag (05.07.) aufgesucht werden sollen.
"Was bringt es, wenn man bei der Hotline anruft und absolut keine Auskunft erhält?"
Wie ging es weiter? Und: Wie oft haben Sie bei den Behörden auf sich aufmerksam gemacht?
Bettina Rejall: Sonntagabend habe ich, wie vom Kreis gewünscht, eine Mail an test-me@kreis-guetersloh.de geschrieben und noch einmal Bescheid gegeben, dass noch niemand gekommen ist. Am Montagmorgen rief ich dann wieder die Hotline des Kreises an (insgesamt 78 x). Eigentlich wollte mich eine Dame direkt mit dem mobilen Team verbinden, was leider nicht gelang. Ich kam nach Minuten in der Warteschleife wieder vorne bei der Hotline an. Dieses Mal jedoch bei einer anderen Dame, die mich wieder (nicht ganz so freundlich, eher genervt) auf die Emailadresse verwies.
Da ich mittlerweile auch wütend und genervt war, habe ich zugegebenermaßen auch nicht mehr wirklich freundlich meine Situation erklärt und ebenfalls mitgeteilt, dass sie (die Dame am Telefon) nun meinen etwas lauteren Ton leider aushalten muss. Daraufhin wurde aufgelegt und ich war keinen Schritt weiter. Ein weiterer Anruf beim Kreis hat mich wieder keinen entscheidenden Schritt weiter gebracht. Man wollte uns zum dritten Mal auf die Liste der mobilen Teams setzen lassen.
Am Dienstag rief ich also wieder beim Kreis an (insgesamt 34 x). Dieses Mal hatte ich einen Herrn in der Leitung, der, nachdem ich mit der Presse drohte, mir mitteilte, dass es für Einzelfälle einen extra für diese Situation angestellten Arzt gebe, der Bescheinigungen ausstellt. Diese Bescheinigung solle berechtigen, selbstständig mit dem Hausarzt oder einem Testzentrum einen Abstrich durchführen zu lassen. Man notierte sich zum fünften Mal meine Handynummer, damit sich der Arzt bei mir melden kann.
30 Minuten später klingelte tatsächlich das Telefon. Es war jedoch kein Arzt (so hat er sich mir jedenfalls nicht vorgestellt), sondern ein Mitarbeiter des Kreises Gütersloh, Fachbereich Gesundheitswesen. Auch nicht ausgesprochen freundlich teilte mir dieser Mitarbeiter mit, dass wir eine Straftat begehen würden, wenn wir das Haus verlassen. Außerdem höre ich mich so an, als hätte ich Symptome, da ich nasal sprechen würde. Sicherlich sei ich positiv.
Wie haben Sie diese Aussage aufgenommen?
Bettina Rejall: Ich war erstmal sprachlos. Erst als ich auflegte, wurde mir die Frechheit dieser Aussage bewusst.
Was haben Sie dann getan?
Bettina Rejall: Am gleichen Abend entschloss ich mich dazu, dem WDR eine Mail zu schreiben. Mittwochmorgen erhielt ich direkt den Rückruf. Wenige Stunden später stand das Kamerateam vor unserem Balkon. Ab Mittwochabend hat sich der Kreis GT scheinbar gedacht, dass es vielleicht nicht ganz ungeschickt ist, den Hotline-Mitarbeitern ein Verzeichnis auszuhändigen, aus dem der Einsatzplan der mobilen Teams hervorgeht. Für Mittwoch, Donnerstag und Freitag waren wir für den Abstrich nicht vorgesehen.
Wie kam es zu der Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Bettina Rejall: Ich war einfach wütend und wusste mir nicht anders zu helfen.
Plötzlich kam Bewegung in die Sache. Am Freitag hat dann bei Ihnen die Bundeswehr vorbeigeschaut. Worum ging es?
Bettina Rejall: Es wurde endlich ein Abstrich genommen (obwohl wir nach telefonischer Auskunft am Morgen nicht für diesen Tag vorgesehen waren).
Und nun hoffen Sie darauf, endlich aus der Quarantäne rauszukommen?
Bettina Rejall: Natürlich. Unser Sohn spricht schon seit Tagen von nichts anderem mehr als zum Spielplatz zu gehen und Laufrad zu fahren.
Wissen Sie, ob es noch mehrere Fälle dieser Art in Gütersloh gibt?
Bettina Rejall: Die Wahrscheinlichkeit ist schon sehr hoch, dass wir kein Einzelfall sind. Aber ich kenne niemanden persönlich, bei dem es auch so ist.
Gab es mittlerweile einen Kontakt vonseiten des Landrats oder des Bürgermeisters? Oder anders gefragt: Gab es eine Entschuldigung?
Bettina Rejall: Natürlich nicht. Ich glaube aber auch, dass wir hier keine Entschuldigung erwarten brauchen. Es passiert ja alles mit dem Hintergrund des Infektionsschutzgesetzes und der Aussage: "Es gibt kein Gesundheitsamt in Deutschland, das diese Situation schon bewältigen musste!"
Diese Aussage lasse ich nicht als Entschuldigung für mangelnde Kommunikation gelten. Es wäre alles nicht so problematisch gewesen, wenn man eine definitive Aussage bekommen hätte, wie der zeitliche Ablauf ist.
Eine Entschuldigung können die Herrschaften sich sparen. Die Tatsache, dass sich unser Sohn nicht von seiner Kita bzw. den Betreuungspersonen und seinen Freunden verabschieden konnte, ist nicht wieder gut zu machen, da der Wechsel in eine andere Betreuungseinrichtung ansteht.
Wie denken Sie als Bürgerin über den Umgang der politischen Entscheidungsträger mit Ihrem Fall, aber auch generell mit dem "Krisenmanagement" in Gütersloh ?
Bettina Rejall: Der Umgang der politischen Entscheidungsträger mit unserem Fall fand wahrscheinlich gar nicht statt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bürgermeister und oder Landrat mit unserem Fall betraut ist. Ist auch nicht dramatisch, die Herrschaften haben wichtigere Dinge zu tun, als sich mit Einzelschicksalen zu befassen (in deren Haut möchte ich zur Zeit auch nicht stecken).
Allerdings passt das ganze System nicht. Angefangen bei den Personen, die am anderen Ende der Hotline sitzen. Was bringt es, wenn man bei der Hotline anruft und absolut keine Auskunft erhält?
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