Die Kleider, über die wir Kontakt aufnahmen
Skim.com: Die Nummer mit der Nummer
Der Anfang ist am schlimmsten. Eine falsche Bewegung, ein unpassendes Wort, und alles ist aus. In der Phantasie von Schüchterlingen jedenfalls mutiert die Urszene "Boy meets Girl" in Nullkommanichts zum Horrorszenario - dabei könnte sein genuscheltes Hallo der Anfang einer heißen Liebschaft sein.
Wer sich im entscheidenden Moment nicht traut, den Mund aufzumachen für den kann Skim.com die letzte Rettung werden: wer nämlich einen Rock oder eine Jeans von skim.com trägt, ist jederzeit im Web aufzuspüren. Auf jedem Kleidungsstück (Rock, Hemd, Jacke, Hose) und Accessoire (Taschen, Gürtel, Schlüsselanhänger) der Schweizer Firma ist eine sechsstellige Zahl auch für Kurzsichtige gut lesbar aufgedruckt bzw. eingestickt, und über diese Zahlenkombination kann man dem Träger auf der Homepage von skim.com eine Nachricht hinterlassen. Vorausgesetzt natürlich, man kann sich die Zahlenreihe merken. Um das Gedächtnis nicht allzu sehr zu strapazieren, kann man die Nummer auch ins Handy eintippen und eine SMS an die Person mit dem Code-Hemd schicken.
Natürlich kann man in der sechsstelligen Zahl auf dem Hemdsärmel einen weiteren Beweis dafür sehen, dass wir endlich im Jahr 1984 angekommen sind. Allerdings muss der Träger von Jacke oder Hose diese seine oder ihre Zahl auch aktivieren. Um das zu tun, muss er oder sie die Plastikbox öffnen, die am Kleidungsstück befestigt ist und den Anweisungen zur Einrichtung einer Mailbox folgen. Und dann ist er oder sie drin in der skim.com Community und kann sich im Forum über so aufregende Themen wie Lieferzeiten von skim.com Artikeln nach Großbritannien austauschen oder sich als Cover-Skimmer bewerben Der Witz an den Klamotten ist nicht ihr raffinierter Schnitt, die schönere Farbe oder das bessere Material, sondern die Zahlen, die dem Eingeweihten signalisieren: "da ist jemand, der kontaktiert werden will." Oder wie das Salon.com vermutet: diese Klamotten sind wie geschaffen für Leute, die auf der Suche sind nach Sex ohne das ganze Kennenlern-Theater.
Die Gründer von skim.com freilich präsentieren ihr Konzept als globale Verständigungshilfe:
The basic concept of skim.com is to integrate online communication with street communication by tagging all products, art and text with numbered codes. These numbered codes are email addresses on skim.com. We do this to link people together worldwide, to build an open network for participate both offline and online.
Für Marketing-Experten steht vor allem eines im Vordergrund: Markenbindung. So ist für Andreas Reichert, Etatdirektor bei Heye & Partner in Hamburg, das Konzept von skim.com "Virtual marketing at its best."
Das Dumme ist bloß, dass so genannte Peer Groups sich schon immer über einen gemeinsamen Kleidungsstil oder über eine Marke definiert und erkannt haben - man denke nur an Mods und Teds oder die Marken Stüssy und Lonsdale. Auch Klassenzugehörigkeit wird seit Urzeiten über mehr oder weniger feine Unterschiede im Kleidungsstil kommuniziert. Und ob jemand noch zu haben ist oder nicht, können die Amish People in den USA auf den ersten Blick erkennen: Männer mit Bart sind verheiratet, glatt rasiert sind sie noch zu haben; Frauen mit schwarzer Haube sind noch ledig, nach der Heirat tragen sie weiße Hauben.
Wem es schwer fällt, sich anhand winziger Thumbnail-Bildchen und Detailvergrößerungen für eine neue Hose zu entscheiden, kann auf der skim.com Seite auch eine nach Ländern geordnete Liste aller Geschäfte finden, die mit skim.com Ware handeln. Allerdings sind diese Listen nicht ganz auf dem neuesten Stand, wie ein Besuch vor Ort zeigt: In München beispielsweise soll es zwei Läden geben, die skim.com führen, tatsächlich sind es null. Genauer gesagt hängt in Laden Nummer eins (,Rag Republic' an der Münchner Freiheit) noch exakt ein grauer Rock aus der Winterkollektion vom vorvergangenen Jahr. Die Ware von skim.com sei nicht gerade der Renner gewesen, außerdem habe die Logistik des Start-Up Unternehmens sehr zu wünschen übrig gelassen: Da beispielsweise die Sommerkollektion erst im Herbst ausgeliefert worden war, ließ man alles postwendend zurück gehen.
In Laden Nummer zwei (,Pool' beim Sendlinger Tor) arbeitet man ebenfalls seit geraumer Zeit nicht mehr mit den Schweizern: "fast zu sportlich" und vor allem nicht erlesen genug - man konzentriert sich lieber auf Dolce & Gabbana und Co. Außerdem sei die Nummer mit der Nummer nicht so gut gelaufen: "Das ist nichts für die Münchner, die stehen da nicht drauf," sagt einer der Verkäufer und vermutet, dass Berlin vielleicht die passendere Stadt dafür ist.
Am Ende ist es ziemlich egal, mit welchen Worten man bei der ersten Begegnung das Gespräch eröffnet, weil es zu allererst die Nase ist, welche die Entscheidung über Gefallen oder Nichtgefallen trifft. Es gibt kein Zauberwort, nur eine geheime Botschaft in Form von Pheromonen, die über den nervus olfaktorius ins Gehirn geschleust wird. Ausschlaggebend sind also ausgerechnet jene Duftstoffe, die wir nicht bewusst wahrnehmen, sondern nur in ihrer Wirkung erleben können.
Unwiderstehlich riechen - das war denn auch das Versprechen des Pheromon-Duftsprays ,Realm'. Nur leider wirkte das Wässerchen nicht zuverlässig und endete wie der graue Rock als Ladenhüter. Macht nichts, Sexual- pheromone sendet jeder aus, und zwar frei Haus. Und so lange diese Botenstoffe nicht online kommuniziert werden können, bleibt für Wortkarge immer noch der non-verbale Ausweg: sich dezent in den Dunstkreis des Objekts der Begierde ein- schleichen. Alles andere ergibt sich von selbst.