Die Koalition der "Südstaaten" im EU-Energiestreit
In der Energie- und Klimapolitik trennen sie Welten. Gemeinsam wollen Italien, Spanien, Portugal und Griechenland aber die Preisbestimmung für Gas durch die Börse aushebeln.
Im aktuellen EU-Streit um eine Deckelung der Einkaufspreise für Gas stehen sich die südeuropäischen Länder und Deutschland samt seiner Partner gegenüber. Italien, Griechenland, Spanien und Portugal versuchen seit Monaten in der aktuellen Energiekrise als "Südstaaten" gemeinsam die Preisbestimmung für Gas durch die Börse auszuhebeln und einen gemeinsamen Gaseinkauf aller EU-Staaten durchzusetzen.
Hinsichtlich der Klima- und Energiepolitik könnten die Südstaaten unterschiedlicher nicht sein. Zudem muss sich zeigen, wie sich der Regierungswechsel in Rom auf die bisherige Zusammenarbeit auswirkt.
Gemeinsam für den Gaspreisdeckel – entzweit in der Energiepolitik
Im Sommer rebellierten die Südstaaten gegen den Vorschlag der EU-Kommission, einen pauschalen Zwang zu Einsparungen von fünfzehn Prozent in allen EU Staaten verbindlich festzulegen. Spanien und Portugal wurde im Juni von der EU-Kommission ein Strompreisdeckel genehmigt.
Griechenlands ähnlicher Antrag fand keine Befürworter, was seitens der Opposition in Griechenland für Häme und Spott sorgte. Das "iberische Modell" durch Minderung der Energiesteuern die Preise für Verbraucher niedrig zu halten, wird zum Ärger der in Griechenland regierenden Nea Dimokratia auch dort als nachahmenswertes Modell präsentiert.
Die Regierung in Athen lehnt derartige Steuersenkungen sowie generell jede Verbrauchssteuersenkung für Grundbedarfsmittel rigoros ab.
Aktuell präsentieren griechische Regierungspolitiker gern im Fernsehen die Strompreise der Spanier im Vergleich zu den Preisen, die bei griechischen Verbrauchern auf der Rechnung sehen. Sie verschweigen dabei, dass die auf den Rechnungen ausgewiesenen Preise mit erheblichen Steuermitteln, also doch durch die Bürger gesponsert werden.
Tatsächlich hat Griechenland im europäischen Vergleich stabil die höchsten Strompreise. Die italienischen Verbraucher erleben im Oktober ein Preisschock. Sie müssen durchschnittlich 59 Prozent mehr für elektrischen Strom zahlen, als im Vergleichsmonat des Vorjahres.
Die neue, am 22. Oktober vereidigte, Regierungschefin in Italien, Giorgia Meloni, hat laut eigenem Wahlprogramm nicht den Ausbau der Nutzung Erneuerbarer Energiequellen im Fokus. Sie möchte vielmehr auf Kernenergie und Gas setzen.
Meloni und Koalitionspartner wollen EU-Klimaziele kippen
Melonis Regierung stützt sich auf eine Koalition ihrer postfaschistischen Fratelli d’Italia, der rechtspopulistischen EVP-Schwesterpartei Forza Italia unter dem Putin-Freund Silvio Berlusconi sowie der rechtspopulistischen Lega von Matteo Salvini.
Meloni und Salvini wollen das vom EU-Parlament beschlossene Verbot von neuen Verbrenner-Autos ab 2035 in Frage stellen.
Die Fratelli d’Italia bezeichnen den Umstieg auf die E-Mobilität als "sensationelles Eigentor". Die E-Mobilität führe Italien "in die völlige Abhängigkeit von Ländern wie China, die fast das Monopol auf Materialien und Komponenten haben, um elektrische Maschinen herzustellen und zu betreiben, von Batterien bis zu Mikrochips".
Stattdessen sollen alternative Kraftstoffe propagiert werden, heißt es. Meloni will das Referendum, das ihr Juniorpartner Matteo Salvini zur Frage der Verbrenner-Motoren initiieren will, unterstützen. Salvini sitzt dafür auf dem richtigen Posten. Er wurde im neuen Kabinett Vizepremier und Minister für nachhaltige Infrastruktur und Verkehr.
Bereits im vergangenen Winter waren die bereits Klimaziele von Melonis Amtsvorgänger Mario Draghi im europäischen Vergleich weniger ambitioniert.
Ganz anders verhält es sich in Griechenland. Dort puschte Premierminister Kyriakos Mitsotakis im vergangenen November ein neues Umweltgesetz durchs Parlament. Damit wird der Verbrenner-Ausstieg auf 2030 vorgezogen. Bereits ab 2025 dürfen neu zugelassene Taxis in Athen und Thessaloniki keinen Verbrennungsmotor mehr haben.
Gleiches gilt für ein Drittel der im Land neu zugelassenen Mietwagen, sowie für die Hälfte der Fahrzeuge von Selbstständigen und Firmen. Mitsotakis propagiert den schnellen Umstieg auf Erneuerbare Energien.
Ähnlich rigoros geht Spanien gegen Verbrennungsmotoren vor. Bereits 2023 soll es in spanischen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern Verbotszonen für Verbrenner-Autos geben. Ab 2040 dürfen Verbrenner-Autos in Spanien nicht mehr verkauft werden und ab 2050 dürfen sie nicht mehr dort fahren.
Anders als Griechenland und Zypern, die auf die Nutzung fossiler Energievorkommen in der Ägäis setzen und auch deshalb Streit mit dem ebenfalls an der Nutzung interessierten Nachbarstaat Türkei haben, hat Spanien die Weichen für ein Verbot der Suche nach Öl und Gas in den eigenen Territorialgewässern gestellt. Sämtliche bestehenden Lizenzen sollen 2042 auslaufen.
Linke und Sozialdemokraten gegen Mitsotakis' Energiepolitik
In Griechenland wurden per Beschluss von Mitsotakis sechs Berge vom Ausbau der Windenergie ausgenommen. "In diesen Gebieten wird kein Land mehr parzelliert, es werden keine neuen Straßen eröffnet, keine Windkraftanlagen installiert.
Historische Wege können erhalten bleiben, ihre Markierungen werden verbessert, sie werden noch besser für Ausflüge, Wanderungen, Sport- und Ökotourismusaktivitäten geeignet sein", verkündete der Premier im Januar über die Zukunft der Lefta Oroi, des Taygetos, des Saos auf Samothrake, von Tymfi und Smolikas in Pindos und vom Berg Hatzi in Thessalien.
Bereits erteilte Genehmigungen für Windparks und Wasserkraftanlagen wurden annulliert. Im Umkehrschluss heißt dies, dass auf sämtlichen übrigen Gebirgen im Land Anlagen errichtet werden können. Sogar in Natura-Schutzgebieten lässt dies das von Mitsotakis reformierte Gesetz zu. Im Sommer wurde der gesetzliche Rahmen geschaffen, um auch im Meer Windparks zu lizenzieren.
Am 7. Oktober konnte das Land zum ersten Mal für mindestens fünf Stunden den kompletten Bedarf an Elektrizität allein durch die Nutzung Erneuerbarer Energien decken. Mitsotakis jubelte im Parlament: "Am 7. Oktober deckten die Erneuerbaren zum ersten Mal den gesamten Strombedarf Griechenlands für fünf Stunden. Unser Land rangierte 2021 weltweit auf Platz 7 beim Anteil der Solar- und Windenergie an der gesamten Stromerzeugung."
Yanis Varoufakis, Generalsekretär der Partei MeRA25 sah es kritischer, "Gute Nachrichten: Grüne 100 Prozent Stromerzeugung zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen. Das Schlimme ist, dass sie Windräder und Photovoltaik nicht auf das Meer und die Dächer stellen. Und die schlechte Nachricht ist, dass die Bürger pro Kilowattstunde bezahlen, als wäre es Gas!", twitterte er.
Griechenland will zudem Windkraftelektrizität nach Nordeuropa exportieren und bietet sie unter anderem Deutschland und Österreich an.
Widerstand gegen den von Mitsotakis propagierten zügellosen Ausbau der Windenergie kommt auch von den griechischen Grünen. "Mit großer Besorgnis beobachten wir die gleichzeitige und übereilte Förderung der Windparklizenzierung und -installation (ASPIE) in vielen Regionen unseres Landes" schrieben sie bereits in einem Statement im Oktober vergangenen Jahres.
Die sozialdemokratische Pasok kritisiert Mitsotakis Windkraftpolitik ebenso konsequent wie die größte Oppositionspartei Syriza. Varoufakis befürwortet Erneuerbare Energien ebenso wie die kommunistische Partei. Allen Oppositionsparteien gemeinsam ist, dass sie Mitsotakis vorwerfen, die energiepolitische Klimawende als Mittel zur Bereicherung der ihm genehmen Investoren und zu Lasten der Bürger durchzusetzen.
Nikos Androulakis, Parteichef der sozialdemokratischen Pasok, meint dazu: "Der Zugang zu Stromnetzen muss gleichberechtigt und transparent sein. Er ist nicht das Privateigentum der Regierung, das diese den Investoren überlassen kann, denen sie dienen will. Denn das entzieht den Energiegemeinschaften von Landwirten, Viehzüchtern und Verarbeitern den minimalen verbleibenden Platz für erneuerbare Energien im Netz, mithin ihre einzige ‚Waffe‘, um in der Energiekrise zu bestehen. Es löscht auch effektiv die Gelegenheit für Photovoltaik auf den Dächern von Wohngebäuden aus - eine notwendige Maßnahme zum Schutz der Schwächsten."
Konkret wirft Syriza der Regierung vor, europäisches Wettbewerbsrecht zu verletzten: "Ist dies der investitionsfreundliche Kontext, den ND vor den Wahlen gepredigt hat? Hunderte von Kleininvestoren und sogar große ausländische Unternehmen die nun ans Abwandern aus Griechenland denken, vom Stromnetz auszuschließen? Und für welche Gegenleistungen wird danach das Stromnetz an die an die Sponsoren von Herrn Mitsotakis verteilt?", fragt die Partei.
Die Regierung kontert, dass Syriza während der eigenen Regierungszeit durch Blockade von Windparks "Verbrechen begangen" habe.