Die Linke und der Krieg: Kollateralschäden in Berlin
Andauernder Schlagabtausch in Bundestagsfraktion. Linken-Regierung in Thüringen sorgt mit Vorstoß zu Städtepartnerschaften mit Russland und Wehrpflicht für Furore
Der Angriff der russischen Armee auf die Ukraine sorgt bei der Linken in Deutschland zunehmend für Streit. Seit sich einige Abgeordnete um die ehemalige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht nach der Bundestag-Sondersitzung am vergangenen Sonntag kritisch zur deutschen Regierungslinie geäußert hatten, setzt sich ein verbaler Schlagabtausch mit dem Außenpolitiker Gregor Gysi fort.
Wie Telepolis berichtete, entzündete sich Gysi daran, dass Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen und fünf weitere Mitglieder der Bundestagsfraktion in einer Erklärung nicht nur den russischen Angriff auf die Ukraine, sondern auch den Antrag der Bundesregierung zur Aufrüstung und die Nato-Politik scharf verurteilten.
Gysi sah dadurch eine Erklärung der Fraktion desavouiert, in der die Nato nicht erwähnt und das Aufrüstungspaket nur moderat kritisiert wurde. Noch in der Vorwoche hatte Gysi gemeinsam mit Dagdelen eine Erklärung verfasst, in der beide die Anerkennung der abtrünnigen Provinzen durch die Ukraine ebenso verurteilt hatten, wie "wir auch immer Völkerrechtsverletzungen durch die Nato oder Mitglieder der Nato wie zum Beispiel bei der Abtrennung und Anerkennung des Kosovo verurteilt haben".
Bei Telepolis hieß es dazu:
Nun wirft Gysi den sieben Abgeordneten eine "völlige Emotionslosigkeit hinsichtlich des Angriffskrieges, der Toten, der Verletzten und dem Leid" in der Ukraine vor. Wagenknecht entgegnete in einer öffentlichen Stellungnahme, sie sei entsetzt über Gysis Brief, in dem er den Eindruck erwecke, sie und andere Fraktionsmitglieder hätten "Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht unmissverständlich verurteilt".
Replik auf Replik: Russland-Streit bei Linken geht weiter
Nun kursiert eine Replik auf die Replik, die von der Basisgruppe "Frieden-links" verfasst wurde. Darin heißt es an die Adresse Gysis, man sei bestürzt, dass Gysi Fraktionskoleginnen und -kollegen "derart in der Öffentlichkeit diffamierst und unlautere Motive wie mangelnde Empathie unterstellst, nur weil sie weiterhin friedenspolitische Positionen der Linken hochhalten". Alle seien von diesem Krieg schockiert und niemand rechtfertige diesen Krieg: "Er muss sofort gestoppt werden."
In der Erklärung, die Telepolis vorlag, heißt es weiter:
Die Linke hat bisher aus guten historischen Gründen Waffenlieferungen abgelehnt und spricht sich gegen die Aufrüstung Deutschlands aus. Wir unterstützen diese Position, weil wir fest davon überzeugt sind, dass dieser Krieg mit Waffenlieferungen nicht zu stoppen ist, sondern nur durch schnellstmögliche Verhandlungen unter internationaler Vermittlung, die viel stärker eingefordert werden muss. Und wir halten auch die Nato-Osterweiterung in den vergangenen Jahrzehnten für einen schwerwiegenden Fehler. Sie war kein Beitrag für eine Sicherheitsordnung in Europa unter Einschluss Russlands. Trotzdem rechtfertigt das keinen Krieg – das stellen alle unentwegt und unmissverständlich klar, auch die von Dir kritisierten FraktionskollegInnen.
Für massive Kritik in den eigenen Reihen und in Kommunen sorgte zugleich ausgerechnet die Linken-Regierung in Thüringen, ein Prestigeprojekt der parteiinternen Befürworter weiterer Regierungsbeteiligungen. Dort empfahl der Chef der Staatskanzlei, Benjamin Immanuel Hoff, angesichts des Krieges, russisch-deutsche Städtepartnerschaften in Thüringen zumindest auf Eis zu legen.
Städtepartnerschaften und Wehrpflicht: Linke lässt kein Fettnäpfchen aus
In den entsprechenden Städten und Gemeinden kam das nicht gut an: Im thüringischen Suhl lehnte man eine Beendigung oder auch nur zeitweise Aussetzung der Kontakte zur russischen Partnerstadt Kaluga entschieden ab. "Wir halten es für wichtig, auf unserer niedrigen, kommunalen Ebene den Dialog aufrechtzuerhalten", zitierte die Seite insuedthueringen.de Suhls Oberbürgermeister André Knapp.
"Wenn wir einen neuen, ehrlichen Dialog der Verständigung und des Vertrauens mit einer friedlichen Zukunft für uns, unsere Kinder und Enkel in Kaluga und in Suhl wollen, ist es wichtig, die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft nachhaltig zu fördern", so es Knapp, der den russischen Krieg klar verurteilte.
Auch die Forderung des Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, die Wehrpflicht wieder einzusetzen, provozierte in den eigenen Reihen Kritik. "Als Vater zweier Kinder sage ich ganz klar: wer immer meint den Wahnsinn der Wehrpflicht wieder einzuführen und später meine Kinder einzuziehen, darf mit meinem heftigsten (!) Widerstand rechnen", schrieb der ehemalige Linken-Abgeordnete Niema Movassat auf Twitter.
Ramelow selbst ergänzte in seinem entsprechenden Text, er wolle "aufgrund der vielfältigen Nachfragen zur Wehrpflicht (…) nachträglich ergänzend hinzufügen: Mir geht es zuallererst um ein verpflichtendes soziales oder gesellschaftliches Jahr, in dem Jede und Jeder zwischen 18 und 25 Jahren einen solidarischen Dienst an der Gesellschaft tun soll. Dieser Dienst kann beim THW, beim DRK, bei der Feuerwehr, in der Pflege oder eben in der Bundeswehr absolviert werden."