Die Nagelbombe in der Kölner Keupstraße
Seite 2: Waren Böhnhardt und Mundlos die Täter?
- Die Nagelbombe in der Kölner Keupstraße
- Waren Böhnhardt und Mundlos die Täter?
- Ein türkischer Offizier am Anschlagsort
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Heute macht die Bundesanwaltschaft Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auch für diesen Anschlag verantwortlich. Als Beleg gilt, dass für die sogenannte Propaganda-DVD Videoaufnahmen aus der Fahndung nach den Tätern verwendet wurden. Auf der Scheibe werden die insgesamt zehn Morde an den neun Männern sowie der deutschen Polizistin thematisiert. Den breitesten Raum in dem 15-minütigen Video nimmt der Anschlag in der Keupstraße ein. Auf einer Computerfestplatte im ausgebrannten Haus in Zwickau fanden sich Dateien mit diesen Videosequenzen.
Überwachungsvideos des Fernsehsenders Viva aus einer Nebenstraße, der Schanzenstraße, zeigen zwei junge Männer, die Fahrräder in Richtung Tatort Keupstraße schieben, unter anderem das Fahrrad mit der Bombe. Die Männer sollen Böhnhardt und Mundlos gewesen sein. Mit Sicherheit lässt sich das aber nicht sagen, ihre Gesichter kann man nicht erkennen.
Das Phantombild, das die Polizei von dem Mann fertigte, der das Fahrrad mit der Kofferbombe vor Haus Nr. 29 abstellte, ähnelt keinem der beiden. Und im Gegensatz zu anderen Tatorten wurden in der Wohnung des Trios keine Ausspähnotizen und kein Stadtplan von Köln gefunden. Woher kam die Bombe, die höchst professionell und äußerst wirkungsvoll konstruiert war? Dass niemand getötet wurde, grenzt an ein Wunder. Wo wurde sie zusammengebaut? In Zwickau - in Köln? Gab es Helfer oder Mittäter vor Ort?
Vier Beamte am und nahe des Tatortes?
Zu den Rätseln der Keupstraße zählen vier Männer. Zwei von ihnen waren Polizeibeamte aus Köln, die mit Jahren Verspätung bekannt wurden. Zwei weitere, mutmaßlich ebenfalls Beamte, sind bis heute nicht identifiziert.
Die beiden Kölner Polizisten Stefan V., heute Mitglied des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) und Polizeihauptkommissar Peter B. hatten damals den Auftrag, Sonderstreifen gegen Drogenkriminalität zu fahren. Am 9. Juni 2004 hielten sie sich etwa ab 15 Uhr in Köln-Mülheim auf. Als die Bombe zündete, waren sie in der Schanzenstraße in unmittelbarer Nähe der Keupstraße.
Wenige Minuten nach der Tat kamen sie dort an. Sie verschafften sich einen Überblick, machten Meldung und begannen mit Rettungsmaßnahmen. Doch obwohl sie laut Einsatzprotokoll die ersten Polizisten vor Ort gewesen sein sollen, wurden Peter B. und Stefan V. von der Ermittlungskommission nie zu ihren Wahrnehmungen befragt. Die Videoaufnahmen aus der Schanzenstraße mit den beiden radschiebenden Männern wurden ihnen nie vorgespielt.
Von Peter B. und Stefan V. erfährt die Öffentlichkeit erst 2013 durch den Untersuchungsausschuss des Bundestages. Allerdings aus einem anderen Grund: Sie wurden mit zwei weiteren mutmaßlichen Beamten verwechselt, die ein Zeuge gesehen hatte.
Zwei bewaffnete Zivilbeamte?
Dieser Zeuge, Ali D., erlebte den Anschlag in seinem Büro in der Keupstraße 37, wenige Meter neben dem Explosionszentrum, mit. Er ist Steuerberater und war damals Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Keupstraße von Anwohnern und Geschäftsleuten. Kurz nach der Explosion bemerkte er direkt vor seiner Tür zwei Männer, zivil gekleidet und mit Pistole bewaffnet. Sie waren mit Hilfs- und Sicherungsmaßnahmen beschäftigt, weshalb er sie für Polizeibeamte hielt. D. sprach einen der Männer an. Es schien, dass der bereits im Bilde war. Ein Anschlag unter den Augen von Sicherheitskräften?
Der zweite Mann stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor einer Durchfahrt mit der Hausnummer 60. Durch sie kann die Keupstraße verlassen werden, ein geeigneter Fluchtweg. Nach Überzeugung der Ermittler muss der Attentäter, der die Bombe zündete, genau an dieser Stelle, der Durchfahrt, gestanden haben. Für die Bundesanwaltschaft war es Uwe Böhnhardt.
Ali D. wurde trotz seiner Beobachtung jahrelang nie als Zeuge vernommen. Erst nachdem der WDR im Jahre 2012 über ihn berichtete, wurde der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages aufmerksam. Er forderte vom Land Nordrhein-Westfalen die Namen der zwei Beamten an, um sie befragen zu können. Genannt wurden nun Peter B. und Stefan V., die im April 2013 auch in Berlin erschienen.
Trotz der Merkwürdigkeit, dass B. und V. neun Jahre lang nicht befragt worden waren, obwohl sie die ersten Beamten am Tatort waren, schien nun das Rätsel um die zwei bewaffneten Zivilisten am Tatort gelöst. Es schien - denn auf Fotos von B. und V. erkannte Ali D. nicht die Männer, die er nach der Bombe vor seinem Büro gesehen hat. Die beschreibt er völlig anders, kleiner, und vor allem trugen sie Zivil, B. und V. hatten Einsatzoveralls an.
Falsche Zeugen zum Untersuchungsausschuss geschickt
Die Frage also bleibt: Wer waren die beiden waffentragenden Männer? Warum waren sie in der Keupstraße? Was haben sie möglicherweise gesehen? Warum werden sie nicht ermittelt? Und warum hat das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen mit Peter B. und Stefan V. zwei falsche Beamte benannt und nach Berlin geschickt? Sollte der Untersuchungsausschuss getäuscht werden?
Ganz offensichtlich waren aber mindestens vier Beamte beim Anschlag am 9. Juni 2004 vor Ort.
Im Zusammenhang mit der Vernehmung von Peter B. und Stefan V. stieß der Ausschuss auf eine Merkwürdigkeit in deren Einsatzauftrag für jenen Tag. Sie sollten sich ab 16 Uhr für eine "praxisnahe Übung bereithalten", stand da. Was damit konkret gemeint war, konnte bisher niemand beantworten.
Ali D. wurde inzwischen vom NSU-Untersuchungsausschuss von NRW in Düsseldorf angehört und hat dort seine Beobachtungen wiederholt. Aufgeklärt ist der Sachverhalt aber nicht.