Die Niederlage von Falludscha
Die Kämpfe gehen weiter, die Wahl im Januar ist unsicherer denn je und das Land rückt dem Bürgerkrieg immer näher
Nach der Operation "Morgendämmerung" das Grauen. Der Erfolg in Falludscha hat ein hässliches Gesicht: Die Stadt ist weitgehend zerstört, ein Trümmerfeld voll mit Leichen, über die sich streunende Hunde hermachen. Nach wie vor toben erbitterte Kämpfe zwischen Marines und Aufständischen im Schuhada-Viertel von Falludscha. Derweil präsentiert der gesuchte Anführer des Widerstands, Sarqawi, andernorts in Mosul zum Beweis seines Triumphes der anwesenden Menschenmenge die abgeschlagenen Köpfe zweier Nationalgardisten. Die entscheidende Schlacht ist geschlagen, aber eben nur fast; der Krieg geht weiter. Neue Fronten sind dazu gekommen. Die politischen Ziele, die mit der militärischen Operation verfolgt wurden, sind in weiter Ferne.
Die Stadt sei "befreit", 1.000 bis 1.200 feindliche Kämpfer seien bei der Großoffensive getötet worden, ungefähr 1000 gefangen genommen, sagte der Kommandeur der ersten Marine Expeditionary Force, John Sattler, diesen Donnerstag. Das "Rückgrat des Widerstandes ist gebrochen", so die Vollzugsmeldung des Marines-Kommandeurs.
Am gestrigen Freitag relativierte der Vize des US Central Command im Irak, Lance Smith, die mission accomplished-Meldung Sattlers. Zwar sei die Operation sehr erfolgreich verlaufen, dennoch sei es aber "zu früh" für die Behauptung, dass sie den Widerstand der Rebellen gebrochen habe. Um die Aufständischen vor der Wahl im Januar unter Kontrolle zu haben, so der General bei der Pressekonferenz des Pentagon, denke man daran, die US-Truppen im Irak um eine Brigade, also etwa 3.000 bis 5.000 Mann, zu verstärken.
Mit "brutaler Ehrlichkeit" hatte ein geheimer Bericht von Geheimdienstoffizieren der ersten Marine Expeditionary Force, vor wenigen Tagen veröffentlicht, davor gewarnt, die Truppen in Falludscha nach dem militärischen Sieg nicht zu reduzieren; man brauche genügend Truppen als Sicherheitsgaranten für die "kritische Phase des Wiederaufbaus".
Nach gegenwärtigen Planungen der Truppenstärke wird es dem Feind möglich sein, ein ausreichendes Maß an Einschüchterung der Bevölkerung in der Anbar- und in der Babil-Provinz aufrechtzuerhalten.
Außergewöhnliche Unverwüstlichkeit des Aufstandes
Der Aufstand habe eine "außergewöhnliche Unverwüstlichkeit" gezeigt, der Kampfwille der Militanten werde durch vier Hauptfaktoren gestärkt. Die Stammesführer wie die Führer der Aufständischen würden erstens die Begrenzungen der Vereinten Nationen und solche, die sich aus den amerikanischen Wahlen ergaben, sowie diejenigen der irakischen Regierung gut begreifen und versuchen, aus ihnen Kapital zu schlagen. Zum zweiten hätten sie die Fähigkeit, Niederlagen auf dem Schlachtfeld in symbolische Siege umzuwandeln und zum Beispiel aus der Schlacht in Falludscha ein exzellentes "Rekrutierungs-Tool" zu machen.
Zum Dritten seien die Aufständischen begabte Propagandisten, welche das Internet und arabische Medien geschickt für ihre Zwecke nutzen könnten. Als letzten Faktor führt der Bericht den im Vergleich zur amerikanischen Öffentlichkeit größeren Willen der Aufständischen an, Verluste in Kauf zu nehmen, sowie die Möglichkeit, jederzeit bei sympathisierenden Stämmen Zuflucht zu finden.
So verhasst die Aufständischen auch bei großen Teilen der irakischen Bevölkerung sein mögen – immerhin hatten sie in Falludscha ein Taliban-ähnliches Regime mit grausamen Bestrafungsaktionen geschaffen -, der Hass der Bevölkerung auf die "Befreier" ist nicht geringer geworden:
Wir sind ohne Freunde in der irakischen Bevölkerung, eingeschlossen diejenigen, die von der Absetzung Saddam Husseins profitiert haben. Von Bagdad, Latifija, Mahmudija, Salman Pak, Bakuba, Balad, Tadschi, Baidschi bis Ramadi und allen anderen Städten, die man sonst noch aufzählen könnte, hassen uns die Menschen absolut...Die Iraker haben sich nicht in das eingekauft, was die Amerikaner verkauft haben und keine noch so große militärische Anstrengung wird an diesem Fakt etwas ändern.
ungenannterSpecial Force Kämpfer
Die Operation "Morgendämmerung" in Falludscha dürfte daran nichts geändert haben. Das Leiden der geflüchteten Einwohner, die jetzt mit einer Entschädigung von 100 Dollar pro Familie, angeboten von der irakischen Regierung, in die verwüstete Stadt zurückgelockt werden, in den Flüchtlingslagern, die Not der Einwohner, die in der Stadt geblieben sind, denen Hilfe durch das Rote Kreuz untersagt wurde, die zivilen Opfer, die es sicher gab – im Gegensatz zu den offiziellen Beteuerungen der Amerikaner: Der viel beschworene Kampf um die Hearts and Minds der Iraker dürfte verloren sein. Ob sich das Blatt durch einen gelungenen Wiederaufbau der Stadt, die man zerstört hat, wenden kann, ist sehr fraglich, da selbst in der Hauptstadt der Wiederaufbau nach mehr als einem Jahr nicht gelungen ist.
Die "Armee der Zornigen"
Und politisch? Man hat davor gewarnt, dass die Großoffensive in Falludscha zu einem Wahlboykott der Sunniten führen könnte und somit das Ziel der Militäraktion ad absurdum. Jetzt sieht es ganz danach aus, als ob genau das eintreten wird: 46 (meist sunnitische) politische Organisationen haben zum Boykott aufgerufen, die Irakische Islamische Partei, die wegen der Falludscha-Offensive aus der Regierung ausgetreten ist, erwägt ebenfalls einen Boykott. Darüber hinaus gibt es Anzeichen dafür, dass sich der Graben zwischen den Sunniten und den Schiiten so sehr vertieft hat, dass die Wahlen, die aller Wahrscheinlichkeit nach - und bei einem sunnitischen Boykott auf jeden Fall - von den Schiiten dominiert werden, Anlass zu einem Bürgerkrieg geben könnten.
In Basra haben dreihundert Schiiten eine "Armee der Zornigen" gegründet, die sunnitische Araber bekämpfen will, falls die "Vereinigung der sunnitischen Gelehrten" im Irak und namhafte sunnitische Würdenträger in Saudi-Arabien keine Fatwa erlassen, die den Sunniten untersagt, weiterhin Schiiten im Irak zu töten. Auslöser waren mehrere Anschläge von terroristischen Gruppierungen auf schiitische Polizei-und Sicherheitskräfte. Das Kerngebiet in den amerikanischen Plänen zur Neugestaltung des Mittleren Ostens wird nicht sicherer.