Die Preise steigen …

Seite 2: Erdöl-Anbieter sind nicht gleich Erdöl-Anbieter

Wenn dann doch einmal von denjenigen die Rede ist, die die Preise erhöhen, werden sie vor allem im Ausland dingfest gemacht. Dann sind es entweder die Ölscheichs oder der Putin. Da macht es übrigens gar nichts, dass sich die meiste Ölförderung in den Händen westlicher Unternehmer befindet, die sowohl als Ölproduzenten wie auch als Hersteller von Diesel und Benzin in Erscheinung treten.

Die auswärtigen Gauner sind mal wieder das Problem! Dabei folgen die betreffenden Subjekte hier und anderswo denselben (Preis-)Kalkulationen. Die Öffentlichkeit sieht das anders:

"Warum produziert das Ölkartell Opec nicht einfach mehr? Das Produzentenkartell betreibt gerade ein knallhartes Machtspiel am Ölmarkt. Nachdem man im Corona-Crash-Jahr 2020 das Ölangebot radikal gekürzt hatte, produzieren die Petrostaaten um Länder wie Saudi-Arabien und Russland nun schrittweise wieder mehr.

Jeden Monat bis nächstes Frühjahr wollen sie die Förderquoten um 400 000 Fass pro Tag aufstocken. Das reicht aber bei Weitem nicht, um die Lage am Ölmarkt zu entspannen. ‚Die Opec lässt den Rest der Welt zappeln‘, sagt Rohstoffexpertin Gabriele Widmann von der Sparkassen-Fondgesellschaft Deka." (SZ, 19.10.21)

Die Ölförderländer vergeben so viel an Lizenzen zur Produktion von Erdöl, wie sie für sich als lohnend befinden. Gazprom liefert die Menge Gas zu dem Preis, der vereinbart ist, weil er sich irgendwie für die Firma rechnet. Ganz normale Geschäftspraxis, könnte man meinen!

Nein, bei "denen" gehört sich das nicht. Wenn sie in der Öffentlichkeit als Erpresser gehandelt werden, gehen deutsche Politiker wie Journalisten selbstverständlich davon aus, dass diese Länder immer die Menge Rohstoff zu liefern haben, die Deutschland oder Europa gerade braucht - und das natürlich zu einem billigen Preis.

Den Auswärtigen steht die Kalkulation mit ihrem Eigentum nicht zu, wie die Vertreterin der Spekulationsabteilung der Sparkassen unterstreicht. Sie haben sich vielmehr als Diener an der hiesigen Reichtumsproduktion zu bewähren. Alles andere gilt als Gegnerschaft zu Deutschland und Europa.

Der Kunde zahlt mehr als früher

Zur Erklärung der Preissteigerungen wird auch die gestiegene Nachfrage bemüht: "Warum geht der Ölpreis so deutlich nach oben? Hier kommt momentan vieles zusammen: Nach dem Corona-Crash läuft die Wirtschaft wieder rund und braucht mehr Öl als gedacht.

China zum Beispiel ordert momentan ganze Supertanker mit US-Öl, um so viel wie möglich zu bekommen… Dazu kommt: Weil Menschen wieder mehr reisen, brauchen die Fluggesellschaften auch mehr Kerosin." (SZ, 19.10.21)

Als Dementi, dass der Markt immer für die beste Versorgung mit Gütern sorgt, soll die Auskunft in dem Zitat nicht verstanden werden. Worauf der Autor zielt, ist die Banalität, dass zum Handel immer zwei Seiten gehören. Wenn also die Kunden die gestiegenen Preise zahlen, dann ist damit ein neuer Grund gefunden.

Weil es eine Konkurrenz zwischen den Anbietern gibt, wird der Kunde als Entscheider dieser Konkurrenz bemüht. "‚Aber wer gut vergleicht, kann richtig sparen‘, sagt ADAC-Frau Katharina Luca. Wer zur richtigen Zeit tankt: Im bundesweiten Schnitt sind die Preise gegen 18.30 Uhr oder 21.30 Uhr relativ verlässlich am niedrigsten." (SZ, 19.10.21)

Vor welchen miesen Alternativen Otto Normalverbraucher bei allgemein steigenden Preisen steht, ist dabei abgehakt. Er braucht bloß später zu tanken, auch wenn er sich früh morgens mit einem gefüllten Tank in den Pendlerverkehr einfädeln muss. Vielleicht fährt man auch mal einen Umweg (nur Achtung: höherer Spritverbrauch!) zu einem weiter entfernten Billiganbieter?

Die wohlfeilen Ratschläge für die Kunden gehören natürlich zur marktwirtschaftlichen Cleverness, die seit eh und je gepredigt wird. Aber: Während einerseits der König Kunde gefeiert wird, ist es mit der freien Auswahl seiner Lieferanten so eine Sache:

"Vattenfall hatte zuletzt etwa 500.000 Kunden darauf gescannt, ob sie Vielwechsler sind." (SZ, 16./17.10.21) Wer immer diesen guten Ratschlägen folgt, findet sich dann möglicherweise auf der schwarzen Liste von Stromlieferanten wieder, die einen dann als Kunden ablehnen.

So sieht es eben mit der Erpressungsmacht auf dem Energiemarkt aus: Die Konzerne haben den Verkauf an jeden Hinz und Kunz offenbar nicht nötig, während der Privathaushalt kaum auf Strom und Heizung verzichten kann.

Hinzu kommt: Kunden sind nicht gleich Kunden. Da gibt es die eine Sorte, die Waren kauft oder herstellt und dann die Produkte weiterverkauft. Sie geben damit die steigenden Preise an ihre Kundschaft weiter. Dass sie dies machen, gilt in der Öffentlichkeit als die größte Selbstverständlichkeit, schließlich müssen, d.h. wollen sie ihr Geschäft weiterhin lohnend betreiben, also ihren Reichtum vergrößern. Sonst wird der Laden zugemacht und das Geld anderswo angelegt.

Dann gibt es die andere Sorte Kunden, die nur kaufen, um dann zu konsumieren. Sie können - theoretisch - ihre Lebenshaltungskosten natürlich auch zum Argument machen, um ihre Arbeitskraft teurer zu verkaufen.

Nur ist ihre Marktsituation eine andere. Sie können im Gegensatz zu Eigentümern produzierter Waren ihre besondere Ware - die Arbeitskraft, die an ihrer Person hängt - nicht einfach dem Käufer vorenthalten, wenn dieser nicht den geforderten Preisaufschlag bezahlt.

Schließlich verfügen sie meist nicht über die Mittel, auch ohne Verkauf ihrer Arbeitskraft über die Runden zu kommen. Sie sind auf den Verkauf um jeden Preis angewiesen, es sei denn, sie haben für diesen Fall vorgesorgt und sich mit anderen zusammengeschlossen.

Genau in dem Zusammenschluss von Arbeitnehmern und der Drohung der Leistungsverweigerung sehen denn auch die berufenen Fachleute in den Redaktionen oder Forschungseinrichtungen die große Gefahr:

"Schließlich spielen auch die Gewerkschaften eine Rolle. In den Siebzigerjahren versuchten sie, die Preissteigerungen, die ursprünglich durch das teure Öl ausgelöst worden waren, durch höhere Löhne auszugleichen, was notwendigerweise zu weiteren Preissteigerungen führen musste.

Das nannte man damals ‚Lohn-Preis-Spirale‘ oder, besonders schön, auf Italienisch: ‚Scala Mobile‘ (Rolltreppe). In Deutschland erstreikte die Gewerkschaft ÖTV im Februar 1974 mitten in der Ölkrise eine Lohnerhöhung von elf Prozent für den öffentlichen Dienst. Das trug nicht nur zum späteren Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt bei, sondern beschleunigte auch die Inflation." (SZ, 19.10.21)

Auch so kann man ausdrücken, dass die Arbeitnehmer immer die Dummen sind. Kaum fordern sie einen Ausgleich für gestiegene Preise, erhöhen Unternehmen die Preise weiter, sodass die Verarmung nicht aufgehalten wird. Als Argument gegen die wunderbare marktwirtschaftliche Ordnung will der Autor das aber nicht verstanden wissen, sondern eher als Aufforderung, dass die Geschädigten sich gefälligst zu fügen haben. Und da ist er auch optimistisch:

"Bemerkenswert vor diesem Hintergrund ist, dass Frank Wernke, Chef der OTV-Nachfolgerin ver.di, in der vergangenen Woche, ‚spürbare Reallohnsteigerungen‘ für seine Mitglieder forderte, um die Inflation auszugleichen. Die Versuchung ist also noch da." (SZ, 19.10.21)

Schließlich kennt man die heutigen DGB-Gewerkschaften, auf einem wirklichen Ausgleich bestehen sie nicht, auch wenn sie mal hier und da eine Forderung erheben. Heutige Gewerkschaften handeln vielmehr im Sinne der "wirtschaftlichen Vernunft" und des "sozialen Friedens", sprich der Notwendigkeit, dass Gewinne sein müssen. Wenn dies sozialpartnerschaftlich geregelt wird, sind sie jederzeit zu Abstrichen bereit.

Entwarnung und Hoffnung

Zwar steigt momentan die Inflation weiter, aber das ist für staatlich berufene Wissenschaftler kein Grund zur Sorge: "Den Präsidenten des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, besorgt auch die höhere Inflation, zumindest in Europa nicht.

Bei ihr handele es sich primär um einen ‚Nachholeffekt‘ nach der Krise. ‚Es spricht viel dafür, dass die Inflationsrate im Jahr 2022 Richtung zwei Prozent zurückgehen wird‘."(SZ, 19.10.21)

Es ist doch ein Trost zu hören, dass das Loch im Portemonnaie eigentlich längst überfällig war! Nach Ansicht des Wirtschaftsweisen hatten es die Unternehmen in der Krise einfach versäumt, die Preise entsprechend zu erhöhen.

Und wenn in Zukunft die Preise weniger steigen, dann soll dies beruhigend sein! Dabei wird ja nichts billiger, sondern die Teuerung schreitet weiter voran, nur nicht um x, sondern bloß um x minus n Prozent, wobei sich die genauen Werte für x und n dann schon am Markt herausstellen werden. Denn, wie gesagt, nichts Genaues weiß man nicht, jedenfalls nicht vorher.

In dieser Situation richten viele ihre Hoffnung auf die Politik und die Parteien, die gewählt worden sind. Eine seltsame Hoffnung: "Eigentlich ist es ja das Ziel der Politik, besonders in Deutschland, fossile Energieträger teurer zu machen, um den Verbrauch und den Ausstoß von Co2 zu senken. Jetzt, da die Verteuerung gewissermaßen von selbst kommt, zeigt sich, dass Wirtschaft und Gesellschaft darauf gar nicht vorbereitet sind." (SZ, 19.10.21)

Die Verteuerung der Energiepreise ist das Ziel der neu gewählten Parteien - wirklich, nicht "eigentlich". Und die Verteuerung kommt auch als Ergebnis staatlicher Maßnahmen zustande, nicht allein durch die Einführung des Co2-Preises, den sowohl die alte wie die neue Regierung im Programm haben, sondern durch allerlei Besteuerungen.

Dass die Politik von der Wirkung ihrer eigenen Maßnahmen überrascht sein soll, gehört zu den Märchen, pardon: Narrativen, die in den Medien beliebt sind. Die teuren Energiepreise sollen die Bürger ja gerade zu Einschränkungen bewegen. Sie sind somit gewollt. Insofern ist es auch eigenartig zu behaupten, Wirtschaft und Gesellschaft seien nicht darauf vorbereitet.

Die Situation ist doch ganz übersichtlich: Bei den einen beeinflussen die gestiegenen Preise ihre Gewinnkalkulation, für die anderen geht es um die Qualität ihres Lebensunterhalts. Da sind natürlich noch einige gedankliche Kunststücke zur Beruhigung des Publikums verlangt, und so will denn auch kaum ein Kommentator dieser Lage die negativen Wirkungen einfach so stehen lassen:

"SPD, Grüne und FDP sind gut beraten, die explodierenden Spritpreise gleich auf die Tagesordnung ihrer Koalitionsverhandlungen zu setzen. Der Staat verdient bei jedem Volltanken kräftig mit… Solange es nur wenig bezahlbare Elektroautos und nicht genügend Strom-Zapfsäulen gibt, darf der Staat nicht tatenlos zusehen, wie Autofahren zum Luxus wird." (Frank Meßing, WAZ, 19.10.21)

Es bedarf schon eines gehörigen Maßes an Ignoranz, die Hoffnung gerade auf die zu setzen, die in ihrem Programm weitere Preissteigerungen für Energie vorsehen. Die Wirkung der erhöhten Preise ist ja gewollt und soll nicht aufgehoben werden.

Sicherlich wird es das eine oder andere Trostpflästerchen für besonders Betroffene geben. Da kann man sich dann auf unglaublich ausgetüftelte soziale Maßnahmen wie etwa die Drei-Euro-Erhöhung für Hartz IV-Empfänger freuen – als Ausgleich für vier Jahre gelaufene Inflation. Natürlich alles in Maßen, soweit es refinanzierbar ist. Aber in einem Punkt wird sicher kein Mangel auftreten: bei dummen Erklärungen für diesen Irrsinn der kapitalistischen Ökonomie!

Dieser Artikel erschien zuerst bei "krass und konkret"