Die Reformation zum Anfassen: GNU/Linux und Open Source
Seite 5: Das Konzept der Distribution
Microsoft Windows und GNU/Linux unterscheiden sich auch fundamental in der Art und Weise, wie Software freigegeben wird. Mit dem Wachstum von GNU und Linux wurde es für Linux-Einsteiger immer schwerer, sich ihr System aus den vorhandenen Quellen selbst zusammen zu bauen. Zwar gibt es viele Bastler, die das nach wie vor tun, aber die große Mehrzahl der Nutzer bevorzugt es, eine Sammlung von Standardprogrammen mit Hilfe einer einfachen Installationsroutine auf den Rechner zu spielen. Mittlerweile gibt es so viele solcher so genannten Distributionen, dass das Satiremagazin BBSpot ironisch titelte: "Zahl der Linux-Distribution übertrifft Zahl der Nutzer".
Viele von diesen Hobby-Distributionen bestehen aus mittlerweile veralteten Programmen und krude zusammengebauten Installationsroutinen. Einige kommerzielle und ein paar nichtkommerzielle Distributionen dominieren derzeit das Feld, sie haben Namen wie Debian, Redhat, Mandrake und SuSE. Die in Deutschland mit Abstand beliebteste Distribution ist das in Nürnberg produzierte SuSE-Linux, das von 74% der ca. 10.000 Leser, die an der Heise-Online-Umfrage zu Linux teilnahmen, bevorzugt eingesetzt wird. In den USA dominiert die kommerzielle Redhat-Distribution das Feld, während eher technisch orientierte Nutzer die nichtkommerzielle Debian-Distribution einsetzen, die mit sehr vielen Raffinessen aufwartet, aber als etwas schwerer zu installieren und zu erlernen gilt. China hat sich dazu entschieden, eine eigene Distribution mit dem Namen Red Flag Linux zu entwickeln - doch die Hacker unter der roten Fahne werden von ihren Kollegen kritisiert, ihre Veränderungen am Quellcode nicht der restlichen Linux-Gemeinde zugänglich zu machen.
Viele Distributionen kann man von Linuxiso.org als CD-Images herunterladen. Mit einem CD-Brenner kann man sie dann völlig legal selbst herstellen. Was fehlt, sind die Handbücher und der Support. SuSE hat sich allerdings dazu entschieden, kein CD-Image seiner Distribution freizugeben, was sicherlich strategische Gründe hat, aber auch damit zusammenhängt, dass in der Distribution einige kommerzielle Demos enthalten sind, die nicht unbeschränkt weitergegeben werden dürfen.
Immerhin kann man sich von SuSEs FTP-Server die um die kommerzielle Software erleichterte Distribution aus dem Netz holen - Profis mit schneller Leitung können das Betriebssystem so komplett aus dem Internet installieren. SuSE weist andernorts auch explizit darauf hin, dass die Distribution frei kopiert und beliebig oft installiert werden darf. Auch die SuSE-eigenen Programme stehen im Quellcode bereit. So zeigt sich, dass viele Linux-Unternehmen eben auch eine andere Firmenphilosophie haben als im Software-Bereich üblich. Dass es auch anders geht, demonstriert Caldera mit seinem "OpenLinux": Für den kommerziellen Einsatz muss man hier eine Lizenzgebühr für jeden Nutzer im Unternehmen bezahlen
Das Konzept der Linux-Distribution unterscheidet sich fundamental von dem Distributionskonzept von Microsoft Windows. Während Microsoft selbst als Hersteller oder Lizenznehmer aller Programme auf einer Windows-Installations-CD fungiert, basteln Firmen wie SuSE und Redhat die Programme anderer zu einem runden Paket zusammen. Gleichzeitig unterstützen die Distributionshersteller Open-Source-Projekte, die nicht nur ihre eigene Distribution, sondern auch die der Konkurrenten wertvoller machen. Schließlich geht es allen darum, den Marktanteil von Linux zu erhöhen - außerdem ist der internationale Markt bereits recht gut aufgeteilt.
Während aktuelle Versionen des Microsoft-Betriebssystems nicht einmal einen brauchbaren Dekomprimierer für ZIP-Dateien enthalten, findet sich in einer Linux-Distribution fast alles, was die Linux-Welt an Software zu bieten hat. Wer z.B. SuSE-Linux kauft, findet auf den CDs Office-Software neben Programmiertools, Internet-Server neben Browsern, einen Napster-Client und Emulatoren für Spielekonsolen, etliche Texteditoren, ein Textsatzsystem, mehrere grafische Oberflächen, Instant-Messaging-Software usw. Da die Distributionshersteller meist nicht mit den Entwicklern direkt zusammenarbeiten oder gar identisch sind, werden oft Konkurrenzprodukte gemeinsam in der gleichen Distribution angeboten.