"Die Solidarität macht mir Hoffnung"
Gespräch mit dem Kölner Journalisten und Sozialarbeiter Adil Demirci über seinen Prozess und die Haft in der Türkei
Aktuell befinden sich in der Türkei mehr als 150 Journalisten in Haft, viele weitere sind angeklagt. Der Kölner Journalist und Sozialarbeiter Adil Demirci wurde im April 2018 verhaftet, als er zu einem Familienbesuch in der Türkei weilte. Wie so vielen anderen warf man auch ihm "Terrorpropaganda" vor.
Er berichtete für die Nachrichtenagentur ETHA. Deren Website ist in der Türkei gesperrt. Immer wieder wurden ihre Mitarbeiter vor Gericht gestellt, darunter auch die deutsche Journalistin Meşale Tolu, die mehrere Monate inhaftiert war und inzwischen nach Deutschland zurückkehren konnte.
Im Februar 2019 wurde Adil Demirci aus der U-Haft im Hochsicherheitsgefängnis Silivri entlassen, darf aber für die Dauer des Prozesses weder die Türkei noch die Stadt Istanbul verlassen und muss sich regelmäßig auf einer Polizeiwache melden. Bei einem Gerichtstermin am 30. April lehnte der Richter den Antrag auf Aufhebung der Ausreisesperre ab. Telepolis sprach Anfang Mai mit Demirci.
Wie hat das Gericht die Ablehnung, das Ausreiseverbot aufzuheben, begründet?
Adil Demirci: Es gab keine richtige Begründung. Selbst der Staatsanwalt war dafür, mindestens das Verbot, Istanbul nicht verlassen zu dürfen, aufzuheben, aber darauf ist der Richter gar nicht eingegangen. Insgesamt sind 23 Personen angeklagt, vier weitere wurden aus der Haft entlassen. Das musste wohl reichen. Die ganze Prozessführung ist katastrophal.
Der nächste Gerichtstermin ist erst am 15. Oktober. Weshalb so eine enorm lange Pause?
Adil Demirci: Da aktuell keiner der Angeklagten mehr in Untersuchungshaft ist, war schon klar, dass der Prozess erst nach der Sommerpause, also ab September fortgesetzt wird. Aber dass wir nun fast ein halbes Jahr warten müssen, obwohl es keine neuen Beweise gibt, fühlt sich schon so an, als wollte man den Prozess hinauszögern.
Gibt es aktuell eine Hoffnung, dass Sie schon früher ausreisen können?
Adil Demirci: Meine Anwälte stellen weiterhin Anträge für eine Aufhebung der Ausreisesperre und wir hoffen, dass vielleicht schon im Sommer eine Entscheidung fällt. Aber aktuell sieht es nicht danach aus. Nicht bei diesem Richter. Er hat zum Beispiel auch die Delegation angegriffen, die mich begleitet, darunter der deutsche Generalkonsul Michael Reiffenstuel, Anke Brunn von meinem Arbeitgeber Internationaler Bund und der Kölner Politiker Rolf Mützenich.
Er war regelrecht genervt von ihrer Anwesenheit und fragte, wie sie denn reagieren würden, wenn bei ihnen Bomben hochgehen würden. Das ist absurd, es hat nichts mit der Anklageschrift zu tun. Sollte mir die Ausreise doch noch erlaubt werden, hat das nichts mit Justiz und Rechtsstaat zu tun.
Vorwürfe ohne Belege
Was wird Ihnen denn aktuell vorgeworfen und welche Beweise hat die Staatsanwaltschaft vorgelegt?
Adil Demirci: Mir und auch den anderen Angeklagten wird die Teilnahme an Beerdigungen von türkischen Linken vorgeworfen, die zusammen mit den Kurden gegen den IS gekämpft haben. Das war 2015 und teils noch früher. Hinzu kam nun ein Geheimdienstbericht, in dem in einem Nebensatz steht, ich sei ein Kurier in Nordsyrien gewesen.
Alles ohne Belege, Daten, Orte. Eine reine Behauptung. Juristisch ist das gar nicht anwendbar. Meine Anwälte haben beantragt, es aus der Akte zu entfernen. Bei anderen Angeklagten geht es noch härter zu. Mit solchen Vorwürfen werden Menschenleben kaputtgemacht.
Es gibt bei Gericht eine deutsche Delegation, die Sie begleitet und den Prozess beobachtet, Ihr Bruder und eine Gruppe aus Freunden halten in Ihrer Heimatstadt Köln Mahnwachen ab...
Adil Demirci: Diese Solidarität ist sehr wichtig, vor allem als ich im Gefängnis war hat mir das geholfen. Zu sehen, dass ich unterstützt werde, gab mir Mut und Hoffnung. Dass deutsche Politiker und auch mein Arbeitgeber anwesend sind, das bedeutet mir viel. Es ist auch wichtig, dass man in Deutschland konkret sieht, wie die Verfahren hier ablaufen und wie absurd das alles ist.
Wer Glück hat, kommt in eine Dreierzelle
Sie waren in Silivri inhaftiert, dem Gefängnis, in dem auch zahlreiche Journalisten sitzen und saßen, darunter auch Can Dündar und Deniz Yücel. Wie sind die Verhältnisse dort?
Adil Demirci: Ich war noch während des Ausnahmezustands in Haft. Meine Rechte wurden stark eingeschränkt. Zum Beispiel durfte ich erst nach zwei Monaten telefonieren. Ich durfte keine Briefe auf Deutsch schreiben, alles musste auf Türkisch verfasst sein, damit es von den Beamten gelesen werden kann. Und auch Briefe, die mir geschickt wurden, kamen erst sehr spät an. Viele waren in Einzelhaft, wer Glück hat, kommt in eine Dreierzelle.
Hatten Sie Kontakt zu anderen Inhaftierten?
Adil Demirci: Die ersten beiden Wochen war ich allein, dann kam ich zu einem jungen Studenten aus Izmir in die Zelle. Zwischendurch waren wir auch zu dritt. Im Hof konnte man sich nur schreiend mit den Nachbarn verständigen. Man fühlt sich sehr allein dort und sehnt sich immer danach, wenigstens mit jemandem sprechen zu können.
Hat sich die Stimmung in der Stadt nach den Kommunalwahlen geändert, also seit die Oppositionspartei CHP den Bürgermeister stellt?
Adil Demirci: Die Stimmung ist weiterhin sehr angespannt. Es herrscht nach wie vor große Ungewissheit, auch weil die AKP Neuwahlen beantragt hat (Anm. d. Red.: Das Interview wurde noch vor der Neuwahl-Entscheidung geführt). Die Türkei ist außenpolitisch und wirtschaftlich unter Druck, den Menschen hier geht es nicht gut. Und die politischen Prozesse gehen weiter. Erst letzte Woche gab es neue Haftstrafen für Mitarbeiter der Tageszeitung Cumhuriyet, auch Mitglieder der Oppositionspartei HDP stehen vor Gericht.
Aber es gibt auch eine gewisse Hoffnung, seit die CHP mit den Stimmen der HDP die Wahl in Istanbul gewonnen hat. Insgesamt hat die AKP nicht viele Stimmen verloren, aber sie hat viele Großstädte verloren. Zum ersten Mal kam der Eindruck auf, dass sie verlieren könnte, wenn die Opposition zusammenhält. Aber ob es wirklich so weit kommt und ob die AKP es zulässt ist eine andere Frage.
Aktuell dürfen Sie selbst Istanbul nicht verlassen. Wie arrangieren Sie sich damit?
Adil Demirci: Ich wurde Mitte Februar aus der Haft entlassen. Die erste Zeit verging sehr schnell, ich habe sie mit der Familie und mit Freunden verbracht, und es gab die Betreuung durch das deutsche Konsulat. Nun muss ich schauen, wie ich mich die nächsten sechs Monate sinnvoll beschäftige. Es ist eine wirklich lange Zeit...
Ob Can Dündar, Deniz Yücel, Dogan Akhanli, Meşale Tolu - viele, die in der Türkei inhaftiert waren, haben ihre Erfahrungen in Büchern verarbeitet. Ist das für Sie auch eine Option?
Adil Demirci: Im Gefängnis habe ich ein Tagebuch geführt. Es gab schon den Vorschlag, ein Buch zu schreiben, aber aktuell ist das alles noch zu frisch, und ich möchte nicht dauernd an die Zeit in Haft denken. Vielleicht mache ich das, wenn ich zurück in Köln bin.