Die Spielregeln des Kapitalismus: Die Welt als T-Shirt

Wenn es keinen Kunst-Diskurs mehr gibt, was geschieht dann mit dem Kunstmarkt?

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Wenn Männer beim Pinkeln in öffentlichen Bedürfnisanstalten angesichts des Pissoirs an Marcel Duchamp denken, dann ist das eine Meisterleistung. Findet der Kunsthistoriker Beat Wyss - und meint damit nicht die Pinkelnden, sondern Marcel Duchamp selig, dem es gelungen ist, sich mit seinem Readymade Fountain (1917) festzusetzen im Bewusstsein eines jeden Kunstbeflissenen.

Das berühmte Urinal ist freilich kein Einzelfall, sondern vielmehr symptomatisch für eine erfolgreiche Künstlerkarriere. Duchamp schlug sozusagen Kapital aus seinem Trademark, dem Urinal. Was das Ganze mit Kapitalismus zu tun hat, zeigte Beat Wyss im Rahmen der Münchner Vortragsreihe ‚Monopoly - Die Spielregeln des Kapitalismus'. In seinem äußerst kurzweiligen Rundumschlag: ‚Die Welt als T-Shirt. Die Ästhetik des Kapitalismus' skizzierte Wyss in groben Zügen, nach welchen Regeln der Kunstmarkt funktioniert (hat). ‚Hat' deshalb, weil auch der Kunstmarkt nicht unberührt geblieben ist von den Machenschaften der New Economy. Analog zu ‚old' und ‚new economy' beschrieb Wyss also die Unterschiede zwischen ‚old art economy' und ‚new art economy'. Dabei bezog sich die Formulierung ‚Die Welt als T-Shirt' auf eine Publikation aus dem Jahre 1997, die den Untertitel ‚Zur Ästhetik und Geschichte der Medien' trug. Und was ‚Die Ästhetik des Kapitalismus' angeht, so sei es wohl weniger vermessen, von einer ‚Ästhetik im Kapitalismus' zu sprechen. Denn was sei schon ästhetisch am Kapitalismus?

Betrachtet man den Kunstmarkt zu Beginn des 21. Jahrhunderts, so fällt laut Wyss vor allem auf, dass seit dem Ende der Postmoderne kein allgemein verbindlicher Diskurs mehr existiert. Das heißt, niemand mehr legt fest, was überhaupt Kunst ist und was nicht. Ein Vakuum, das nicht ohne Folgen bleibt, denn: Wenn es keinen Kunst-Diskurs mehr gibt, was geschieht dann mit dem Kunstmarkt?

Frischfleisch

Laut Wyss gelten für angehende Künstler folgende Regeln: Man muss jung sein. Erstens weil man realistisch gesehen mit spätestens dreißig aus dem Schneider sein muss. Zweitens weil, mit Karl Popper gesprochen, Erfahrung immun mache gegen neue Erfahrungen, was sich dann in zivilisationsmüden Äußerungen á là ‚Alles schon da gewesen' niederschlägt. Und wer das denkt, kann niemals Regel Nummer zwei erfüllen. Man muss irgendetwas Neues, am besten einen völlig neuen Blick auf die Welt zu bieten haben. Das war schon bei den Pariser Salons des 19. Jahrhunderts so und gilt bis heute. Das eigene Werk muss wiedererkennbar sein. Hat man sich erst mal etabliert mit einem bestimmten Stil, ist dieser unbedingt beizubehalten. Da inzwischen jeder dahergelaufene Gitarrist ein Künstler sein und man jeden Grashalm zum Kunstwerk erklären kann, geht ohne persönliche, gut erkennbare Trade-Mark gar nichts. Danach bleibt dem Künstler-Nachwuchs nichts, als mit dem einmal gefundenen Verfahren zu altern, wobei eine gelungene Mischung aus Innovation und Redundanz den größten Erfolg verspricht. Im Notfall kann die Wiedererkennbarkeit auch die mangelnde Innovation wettmachen (man denke nur an die auf dem Kopf stehenden Bilder von Baselitz).

Art is Art. Everything else is everything else. (Ad Reinhardt, 1958)

Wie eingangs angedeutet, ist seit dem Ende der Postmoderne, seit gut zehn Jahren also, kein neuer Diskurs mehr aufgetaucht, an dem sich Kunstschaffende und -verwertende aus aller Welt abarbeiten könnten. Das solchermaßen entstandene Vakuum wird nun mit allem Möglichen (Frauen, Krieg, Minderheiten) gestopft, nur nicht mit Kunst. Die Ästhetik verblasst, was zählt, ist bald nur noch die Herkunft des Künstlers beziehungsweise der Künstlerin. Überspitzt formulierte Wyss: Wer aus einem obskuren Land stammt und bizarr aussieht, hat im Moment die besten Chancen, als Künstler zu reüssieren - da unterscheidet sich Kunst also kaum noch von MTV und VIVA .

Die Documenta XI beispielsweise verspricht in erster Linie ein politisch korrektes Event zu werden, Kunst als solche spiele nur noch eine untergeordnete Rolle. Bestenfalls bekäme man es mit Kunstmeinungen zum Balkankrieg oder aktuelleren Ereignissen zu tun. Das Dumme sei nur: Der Kunstmarkt interessiert sich gar nicht für diese Kunstmeinungen, was zählt, ist vielmehr das ästhetisch Neue. Im Zuge der allumfassenden Globalisierung der Märkte und damit auch des Kunstmarktes sei es nur konsequent, wenn die nächste Documenta (8. Juni - 15. September 2002), ihren provinziellen Standort Kassel - ähnlich wie die EXPO 2000 in Hannover - erweitere durch Veranstaltungen in aller Welt (Berlin, Wien, Neu-Delhi, Lagos sowie St. Lucia auf den West Indies).

old art economy (1890-1990) & danach (new art economy)

Auch wenn die großen Auktionshäuser Sotheby's und Christie's ihren Sitz in London haben, so ist Deutschland doch der einträglichste Kunstmarkt der Welt. Und das, obwohl er seit Jahrzehnten dominiert wird von der so genannten ‚mittleren Generation'. Von Künstlern wie Polke, Baselitz, Richter und Co. also, die mehrheitlich auf die siebzig zustreben. Diese ‚mittlere Generation' hält den Kunstmarkt besetzt, während die Jüngeren außen vorbleiben. Und die Akademien produzieren unablässig Nachschub. Nachwuchs, der, mit Andy Warhol gesprochen, auf höchstens 15 Minuten Ruhm rechnen kann.

Der Unterschied zwischen altem und neuem Kunstmarkt lässt sich am besten vergleichen mit der Wende vom Tauschhandel zum Kapitalismus. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Geld als Tauschmittel eingesetzt, um Sammlungen von Kunstwerken anzulegen. Den Besitzern wäre es nicht in den Sinn gekommen, sich vor Zeiten von einzelnen Werken zu trennen - erst wenn die mühsam und liebevoll zusammengetragene Sammlung vererbt wurde, ging es ans Eingemachte. Inzwischen sieht die Sache anders aus: weil alles nach Gewinnmaximierung strebt, dienen auch Sammlungen nur mehr als Mittel zum Zweck.

Die Werbeagentur Saatchi & Saatchi beispielsweise kaufte Werke junger Künstler wie Damien Hirst oder Tracey Emin (Marke ‚Young British Artists'), schickten die gesammelten Werke unter dem Titel Sensations auf Tournee (‚Sensations' machte u.a. Halt in Berlin), und verkauften das Konglomerat, kurz bevor der Hype wieder abflaute. Zwischen Anfang und Ende der so genannten Sammlung lagen gerade einmal sieben Jahre. Und worin investierten die Werber den Erlös von 1,6 Millionen Pfund Sterling? In was wohl: in den künstlerischen Nachwuchs. Schließlich darf das Frischfleisch nie ausgehen. Tatsächlich ist es nach Beat Wyss durchaus möglich, dass es Künstlern in Zukunft ähnlich ergeht wie Boygroups: Sie werden medienwirksam aufgebaut, zielsicher ausgeschlachtet und im Handumdrehen gegen die nächste Generation ausgetauscht, während ihre Werke auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Und weil Museen mit ihren mickrigen Etats schon lange nicht mehr mithalten können auf Auktionen, bestimmen mehr und mehr potente Stiftungen wie die Fondation Beyeler, was angesagt ist.

Freilich unterbrechen Museen den Warenkreislauf, indem sie dem Kunstmarkt einzelne Werke entziehen, andererseits besteht gerade darin ihr Wert. Museen fungieren wie Notenbanken: sie stabilisieren die Währung. Ihre Behäbigkeit garantiert Kontinuität. Was im Museum hängt oder lagert, gehört zum Kanon, und das allein überzeugt die Anleger. Kunst ist nicht zuletzt Glaubenssache: wenn man den Glauben an Beuys verliert oder gar nicht erst hat, dann ist eine Fettecke eben nur eine Fettecke und damit nichts anderes als ein Haufen Dreck.

Mit Marx lässt sich der Unterschied zwischen old und new art economy auf folgende Formel bringen: WGW vs. GWG. Wo also früher Ware gegen Geld gegen Ware (WGW oder Ware gegen Geld gegen Kunst) getauscht wurde, um eine Sammlung aufzubauen, tauscht man heute nur noch Geld gegen Ware gegen Geld (GWG oder Geld gegen Kunst gegen Geld), um den Kontostand zu vermehren. Das Nachsehen bei dem Spielchen hatten nicht zuletzt die Japaner, die nun auf ihrem überteuert gekauften Anselm Kiefer sitzen, nach dem kein Hahn mehr kräht.

Freilich war der Kunstmarkt schon zu Zeiten der Impressionisten auf Profit ausgelegt. So kauften Galeristen die Werke junger unbekannter Künstler in der Hoffnung auf einen hübschen Skandal im Salon, der unweigerlich eine Wertsteigerung nach sich zog. Ein probates Mittel war auch die künstliche Verknappung der Ware. Nach diesem Verfahren trieb die Galerie Kahnweiler die Preise für die Vorzeige-Kubisten Braque und Picasso in schwindelerregende Höhen. Noch besser konnte man die Preise kontrollieren, wenn man ein Monopolstellung innehatte, wie etwa das Ehepaar Leo Castelli und Ileana Sonnabend, das selbst nach der Scheidung den transatlantischen Markt für Pop-Art unter sich gewinnbringend aufzuteilen wusste.

Der Wert des alten Kunstmarktes bestand darin, dass er immerwährenden Wertezuwachs garantierte. Kunst war eine der besten Geldanlagen, die man sich denken konnte. Und als die Japaner die Expressionisten für sich entdeckten, schien es keine Grenze nach oben mehr zu geben für Van Gogh und seinesgleichen. Doch dann, zu Beginn der 90er Jahre, platzte die Seifenblase. Der gesamte Kunstmarkt brach ein und brauchte Jahre, um sich wieder zu erholen. Nachlesen kann man das Ganze in ‚Kunstmärkte im Wandel' (Verlag Wirtschaft und Finanzen, 2000) von Christian Herchenröder, einem hervorragenden Werk zum Thema Kunstmarkt und Auktionen.

Inzwischen, nach dem Einbruch der so genannten New Economy, lohnt es sich wieder, in Kunst zu investieren, weil die Kunst-Werte im Vergleich besser abschneiden und seit einigen Jahren auch wieder kontinuierlich steigen. Das Problem für Quereinsteiger ist freilich der hohe Paketpreis, denn unter einer Million Dollar kann man kaum Substantielles erwerben. Hat man allerdings das nötige Kapital, so hilft der alljährlich erscheinende ‚Kunstkompass' des Wirtschaftsmagazins Capital durchaus bei der Entscheidungsfindung.

Und was bedeutet all das für den Nachwuchs? Einerseits würde Beat Wyss niemandem raten, Künstler zu werden. Andererseits: auch wenn die Aussichten für Nachwuchskünstler nicht mehr ganz so euphorisch sind wie noch in den 80er Jahren, so ist doch die Kunst - neben Popmusik und Literatur - nach wie vor einer der Bereiche, die einen sagenhaften Aufstieg aus dem Nichts ermöglichen, eben weil in der Kunst dieselben Pop-Gesetze herrschen.

Eröffnet wurde die Vortragsreihe ‚Monopoly - Die Spielregeln des Kapitalismus' chronologisch korrekt mit dem Vortrag ‚Die große Vision des Adam Smith. Der Erfinder des Kapitalismus' am 11. Januar, Wyss sprach am 18. Januar, fünf weitere Veranstaltungen folgen. Zeit: jeweils freitags, 20.00 bis 21.30 Uhr Ort: Gasteig München, Black Box Eintritt: DM 10,00/ € 5,00 Weitere Infos unter Tel. 089/721006-30 25.01.02: Mythen und Symbole in den neuen Medien. Die Bildgrammatik des Kapitalismus Prof. Dr. Franz Josef Röll (Medienpädagogik, FH Darmstadt) 01.02.02: Aktien für alle? Die Börse zwischen Phantasie, Performance und Wirklichkeit Dr. Martin Hüfner, Chefvolkswirt, HypoVereinsbank 08.02.02: Karl Marx - Kritiker des Kapitalismus Prof. Dr. Wolfgang Fritz Haug, (Philosophie, FU Berlin) Hrsg. des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus 15.02.02: Boris Becker, Bill Gates und Lara Croft: Ikonen, Macher und Legenden des Kapitalismus Prof. Dr. Armin Nassehi (Soziologie, München) 22.02.02: Geld ist gedruckte Freiheit. Alle reich - alle frei? Die Ethik des Kapitalismus Podiumsdiskussion mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sahra Wagenknecht, Johannes Singhammer, Christoph Moosbauer, Dr. Florian Roth. Moderation: Dr. Walther Ziegler. Literatur: Christian Herchenröder: Kunstmärkte im Wandel', Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen, 2000. Beat Wyss: Die Welt als T-Shirt: Zur Ästhetik und Geschichte der Medien. Köln: DuMont 1997.