Die Verkehrspolitik als offene Flanke des Giffey-Senats
- Die Verkehrspolitik als offene Flanke des Giffey-Senats
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Berlin-Wahl 2023: Entscheidet das Verkehrschaos das Votum in der Hauptstadt?
Nicht nur der Tunnel der U-Bahn ist in Berlin abgesackt. Parallel dazu gehen auch die Umfrage-Zahlen der Grünen in den Keller. Laut Ifratest-dimap kommen die Grünen derzeit nur noch auf etwa 17 Prozent – ein schwerer Dämpfer für den Endspurt der grünen Spitzenkandidatin, der aus Bayern stammenden Verkehrssenatorin Bettina Jarasch.
Dass es ausgerechnet Jarasch trifft, ist keineswegs ein reiner Zufall.
Kernthemen der Grünen
Die Verkehrspolitik ist längst keine Achillesferse, sondern die offene Flanke des Giffey-Senats. Denn im Gegensatz zu Themen wie "Silvesterkrawalle", "Flüchtlingskrise" und "Gender-Gaga", die außer AfD-Sympathisanten vor allem die rechtspopulistisch offene Stammwählerschaft der Union mobilisieren, sind "Verkehrspolitik" und "Verkehrswende" Kernthemen der Grünen, die hier Kompetenz nicht nur beanspruchen, sondern auch von vielen Wählern zugesprochen bekommen.
Man kann damit bei grünen Stammwählern ebenso punkten, wie bei klimasensiblen Unions-Sympathisanten. Vor allem aber ist das Thema Verkehrspolitik schichten- und altersübergreifend: Es berührt alle Milieus, es berührt diejenigen, die morgens zur Arbeit müssen ebenso wie die Studenten, die durch die ganze Stadt in ihr Uni-Seminar wollen, wie Berufsschüler, wie Hausfrauen, die ihre Einkäufe erledigen möchten.
Umso schlimmer, wenn hier gerade so gut wie nichts läuft. Da hilft auch nicht das in Berlin sehr populäre – und im Deutschland-Vergleich einmalige – ÖPNV Ticket für 29,90 Euro (ein Nachfolgeprojekt zum "Neun-Euro-Ticket", das allerdings nur im Berliner AB-Kernbereich gilt) nicht, denn damit Kunden vom günstigen Preis richtig profitieren können, müssten Züge, Busse und Tram erstmal überhaupt fahren.
Wie die Hauptstadt einer Bananenrepublik
Genau das ist aber gerade nicht der Fall: Die Hauptstadt Berlin wirkt in manchen Teilen der City wie die Kapitale einer Bananenrepublik. Zwar schwärmen die Politiker aller Regierungsparteien bei ihren Sonntagsreden gern von der Mobilitätswende; faktisch aber ist gerade das Verkehrsthema zu einer Belastung für den Senat geworden: Dabei ist der Streit um historische Flaniermeile Friedrichstraße ein Symbol.
Die Friedrichstraße wurde soeben gegen den Willen der Regierenden Bürgermeisterin von der Verkehrssenatorin für den Autoverkehr stillgelegt – was zu einer heftigen Kampagne des Tagesspiegel führte, der sich zur Stimme seiner SUV-fahrenden Zehlendorfer Abonnenten und der Hauptstadt-Autolobby machte.
Viel schwerer wiegt der Totalausfall der wichtigen Ost-West-U-Bahn U2, die wegen eines um 3,8 Zentimeter abgesackten Tunnels am Alexanderplatz zwischen Senefelderplatz und Spittelmarkt komplett stillgelegt wurde und erst wieder Ende August 2023, nach den Sommerferien, in Betrieb genommen werden wird. Frühestens.
Ein irrsinniger Vorfall, verursacht durch den Bau eines miserabel geplanten Hochhauses. Zum naheliegenden Schluss, jetzt alle Hochhausbauten in Berlin entsprechend zu überprüfen, führt das natürlich nicht.
Wegen Bauarbeiten zurzeit für sechs Wochen ausgefallen ist auch die wichtige Nord-Süd-S-Bahn S1/S2 sowie mehrere der Straßenbahnen im Ostteil der Stadt – vor allem die zentrale Verbindungstram M1, die den Prenzlauer Berg normalerweise mit der Friedrichstraße verbindet. Schlechtes Timing zur Wahlkampfzeit.
"Westprojekte" und "Ostprojekte"
Im Westen gibt es keine Straßenbahnen, im Osten gibt es sie deshalb, weil gerade in der Linkspartei eine große Tram-Lobby den Ton angibt, und bereits in den Nuller-Jahren die Tram zur Freude der Nostalgiker mithilfe fragwürdiger Umweltargumente stark ausbaute.
Deswegen müssen auf den viel befahrenen Strecken die Tram-Schienen alle drei bis fünf Jahre komplett erneuert werden – ein Problem, das sich bei den elektrobetriebenen Bussen im Westen selbstverständlich nicht stellt.
Verkehrsmäßig ist die Hauptstadt immer noch geteilt. Noch immer unterscheidet man hier fein säuberlich "Westprojekte" und "Ostprojekte" – so erst dieser Tage der aus dem Osten der Stadt stammende Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB in der Berliner Zeitung.
Auch sonst gibt es Dutzende Probleme: Die Verwahrlosung der U8, die vor allem durch die angeblichen Problemviertel Kreuzberg und Neukölln führt und tatsächlich durch Schmutz, Verwahrlosung und eine auffällige Häufung von Junkies und Obdachlosen geprägt ist – "Mit der U8 fahre ich nicht mehr", lässt sich auch Wieseke im erwähnten Interview zitieren:
Alles ist besser, als die U8 ... der Nahverkehr kann nicht die sozialen Probleme Berlins zulasten der Fahrgäste lösen. ... es wird immer schlimmer. Ich werfe den Bezirken und dem Senat vor, dass sie zu wenig unternehmen.
Jens Wieseke, Fahrgastverband IGEB
Manche S-Bahn Verbindungen existierten zwar bis zum Bau der Berliner Mauer 1961, wurden aber in den über 30 Jahren nach Ende der Teilung nicht wieder eröffnet.