Die Verteidiger der Zivilisation
Die neue Bundeswehr soll auch gegen "weltweit operierende Terrororganisationen" kämpfen, der Landesverteidigung wird keine große Bedeutung mehr eingeräumt
Voraussichtlich in einigen Wochen will Bundesverteidigungsminister Peter Struck die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) bekannt geben, an denen sein Ministerium gerade arbeitet. Ein Entwurf ist jetzt schon durchgesickert.
Der Entwurf für die neuen Richtlinien, die die derzeit gültigen, vor über zehn Jahren vom damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) erlassenen, ablösen sollen, hat es in sich. Von einer "Bundeswehr ganz neuen Typs" sprach die Tageszeitung "Die Welt", die am 25. April den Entwurf der neuen Richtlinien - der aber laut Verteidigungsministerium noch vorläufigen Charakter hat - in Auszügen veröffentlicht hat. So solle die Bundeswehr jetzt die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands sichern, da die Landesverteidigung nicht mehr den sicherheitspolitischen Erfordernissen entspreche.
"Eine Gefährdung des deutschen Staatsgebietes durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht", heißt es in dem Entwurf.
Dass das Territorium der Bundesrepublik Deutschland angegriffen wird, hält das Verteidigungsministerium für so unwahrscheinlich, dass sogar das für die Landesverteidigung nötige Kriegsgerät abgerüstet werden soll. Nötig sei nur noch eine "Befähigung, die es erlaubt, die Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Streitkräften innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens wieder aufzubauen". Auch über eine Reduzierung der Personalsstärke von derzeit 285.000 Soldatinnen und Soldaten soll jetzt nachgedacht werden.
Das eingesparte Geld wird die Bundeswehr für neue Ausrüstung im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus brauchen. Religiöser Extremismus und Fanatismus, "im Verbund mit der weltweiten Reichweite des internationalen Terrorismus", bedrohe die "Errungenschaften moderner Zivilisationen", warnt das Ministerium. Die neue Aufgabe der Bundeswehr lautet demnach:
"Die Bundeswehr bekämpft weltweit operierende Terrororganisationen und trägt dazu bei, ihnen sichere Rückzugsgebiete zu entziehen und Seeverbindungswege zu sichern."
Damit übernimmt die Bundeswehr das Konzept des Krieges gegen den Terrorismus, der keinen Anfang und kein Ende mehr kennt:
"Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen." Eine Einschränkung soll es allerdings geben: "Alle Einsätze der Bundeswehr - mit der möglichen Ausnahme von Evakuierungs- und Rettungsaktionen - werden nur gemeinsam mit Verbündeten und Partnern im Rahmen von VN, Nato und EU stattfinden."
Die zukünftigen Einsätze der Bundeswehr werden dabei "das gesamte Einsatzspektrum bis hin zu Operationen mit hoher Intensität" umfassen - einschließlich Operationen im Inneren, wo die Bundeswehr bei "terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen" einsetzbar sein soll. "Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen."
Das SPD-geführte Verteidigungsministerium will außerdem die Beibehaltung der Wehrpflicht in die Richtlinien hineinschreiben, was beim kleinen Koalitionspartner, den Grünen, prompt auf Kritik stieß. Der grüne Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei sagte der "Welt", auch die Pläne für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren gingen zu weit.
Überraschend scharfe Kritik kam von der FDP. Deren Wehrexperte Günther Nolting nannte es im Interview "bedenklich", wenn über frühzeitige Anwendung militärischer Maßnahmen gegenüber nicht staatlichen Akteuren und Terroristen geredet werde. "Soll hier etwa der Grundstein für präventive Einsätze der Bundeswehr gelegt werden? Davor kann nur gewarnt werden." Außerdem warnte er "vor einer leichtfertigen Überdehnung des Einsatzgebietes für deutsche Streitkräfte":
"Diese kann nämlich in der Formulierung der verteidigungspolitischen Richtlinien vermutet werden, wenn es heißt, dass die deutsche Wirtschaft auf Grund ihres hohen Außenhandelsvolumens und der damit verbundenen besonderen Abhängigkeit von empfindlichen Transportwegen und -mitteln zusätzlich verwundbar ist. Hier wird angestrebt, die Bundeswehr zu einem Global Player zu machen."
Jetzt werde "offiziell Abschied genommen vom Grundgesetz", kritisierte der Politikwissenschaftler Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) die neue Ausrichtung der Bundeswehr auf weltweite Einsätze. Dort heißt es unter Artikel 87a Absatz 1: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." Die Friedensbewegung müsse nun gegen das Präventivkriegskonzept, den Einsatz der Bundeswehr im Innern und gegen die Herausbildung einer Gegen-Militärmacht EU angehen, forderte er.
Die konservative Presse lobte dagegen Verteidigungsminister Struck. "Sein zunächst beiläufiges Wort, Deutschland werde auch 'am Hindukusch' verteidigt, wird jetzt zur neuen Doktrin der deutschen Streitkräfte", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am 27. April. "Damit wird ein Kulturbruch vorbereitet, der sowohl das außenpolitische Selbstverständnis der Bundesrepublik wie auch die Rolle der Bundeswehr erfaßt."
Die Zeitung kritisierte nur, dass Struck noch an der Wehrpflicht festhalten will und witterte eine Koalition aus "linken Verantwortungsneutralisten einerseits und einem konservativen Militär-Biedermeier, welches das Einsatzspektrum der Bundeswehr geographisch im wesentlichen auf den nationalen und den Nato-Rahmen begrenzt sehen will, andererseits", die dafür sorge, dass die Bundeswehr eine "überdimensionierte, aber unterfinanzierte Streitkraft" bleibt. Einige Offizieren würden lieber "im alten Denken verharren", "weil sie in dieser Friedensarmee zu Verteidigungsbeamten geworden sind", kritisierte Kommentator Michael Inacker. Und was den Mann besonders stört: "Wirkliche Krieger - und die braucht nun mal jede Armee - findet man in der Bundeswehr selten."