Die WTO schließt eine kritische Website, Hunderte neue entstehen

Der Angriff der WTO auf die Parodie-Site Gatt.org könnte zum Schuss ins eigene Bein werden

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Die World Trade Organisation (WTO) kann offenbar keine Kritik vertragen, schon gar nicht, wenn sie in Form einer richtig lustigen Parodie daherkommt. Wie Telepolis berichtete, versucht die WTO zu erwirken, dass eine Parodie-Site mit dem Domainnamen gatt.org aus dem Verkehr gezogen wird. Den rechtlichen Ansatzpunkt dazu liefert der Digital Millennium Copyright Act. Mit dem Copyright als Hebel soll Kritik mundtot gemacht werden.

Am Montag dem 12. November erhielt Jonathan Prince, Inhaber der Domain Gatt.org, ein Schreiben von seinem Provider Verio. Darin erklärt Verio, dass die WTO "in Übereinstimmung mit dem Digital Millennium Copyright Act" verlangt, dass Prince das markenrechtlich geschützte Logo der WTO und anderes urheberrechtlich geschütztes Material von der Gatt.org-Website nimmt. Sollte das nicht bis Dienstag den 13. November 17:00 Uhr geschehen, sehe sich Verio gezwungen, die Site vom Netz zu nehmen. Die Site gatt.org ähnelt der Site der WTO äußerlich, transportiert aber eine 180° entgegengesetzte Botschaft.

Die Initiative der WTO, genau zu dem Zeitpunkt, als in Doha die Konferenz der Mitgliedsstaaten über die Eröffnung einer neuen Welthandelsrunde stattfand, ist allerdings verwunderlich. Denn die WTO weiß seit zwei Jahren von der Existenz der Site, als sie in einer Verlautbarung angab, dass die Site die Benutzer absichtlich täuschen würde. Zudem wird die WTO nicht müde zu erklären, dass sie nichts gegen "ehrliche Kritik" einzuwenden habe.

"Es ist der Krieg", meint hierzu Jonathan Prince, "Bush hat Null Toleranz populär gemacht und jetzt herrscht Jagdsaison auf jede Form von Dissenz. Deshalb hat die WTO beschlossen, genau zu dem Zeitpunkt, wenn sie sich in Doha für ihre Konferenz treffen, eine Website anzugreifen, um von ihren Problemen abzulenken." Die umkämpfte Website ist zwar unter dem Namen Jonathan Prince eingetragen, doch dieser betreibt sie gar nicht inhaltlich. Das besorgt die Organisation RTMark. Diese sagen von sich selbst, ihr erstes Ziel sei es, "die unternehmensgesteuerte Unterwanderung des demokratischen Prozesses" aufzeigen zu wollen. Deshalb verstehe man sich als ein Clearing-house für Projekte gegen korporativen Machtmissbrauch.

Im Sinne dieser Clearinghouse-Funktion betreibt nun RTMark die Gatt.org-Site auch nicht selbst, sondern hat das an eine Gruppe namens Yesmen (die "Ja-Sager") delegiert. Die Yesmen versuchen nun mit phantasievollem Protest auf die Bedrohung zu antworten. Sie haben eine Software geschrieben, die das automatische Remixen von Werbsites ermöglicht. Jeder mit Zugriff auf einen Unix-Server könne damit ständig aktuelle Parodien von Sites wie WTO oder IMF erzeugen. Die Philosophie dahinter: Wird eine kritische Website abgewürgt, entstehen Hunderte neue.

Jonathan Prince findet die Software der Yesmen zwar interessant, doch hält das nicht für die richtige Lösung. Ihm geht es um Grundsätzlicheres. Die undemokratische und niemandem zur Rechenschaft verpflichtete WTO würde in diesem Fall die Verfassung der Vereinigten Staaten mit Füßen treten. Doch dasselbe täten sie jeden Tag in der Dritten Welt oder würden Unternehmen dazu Tür und Tor öffnen, erklärte Prince.

Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels war gatt.org noch online. Mit der Erfahrung, die RTMark im Betreiben medienwirksamer Kampagnen besitzen, zum Beispiel als einer wichtigsten Teilnehmer im "Toywar" zwischen der Künstlergruppe Etoy und dem (inzwischen Pleite gegangenen) E-Commerce-Unternehmen eToys, könnten noch einige interessante Wendungen bevorstehen. Direkt an der Frontlinie stehen zwar die Yesmen, doch ein Sprecher von RTMark sagte gegenüber Telepolis, er finde die Situation "recht amüsant".