Die "gerechte Strafe für die Sünden" im Zeitalter der Aufmerksamkeit
Auch negative Aufmerksamkeit stärkt die Prominenz
Wieder einmal ist die Aufmerksamkeit der Amerikaner und die der übrigen Welt wie schon im letzten Januar auf Präsident Bill Clinton, seine sexuellen Überschreitungen, Lügen und möglichen strafbaren Handlungen gerichtet. Hunderte Seiten über seine angeblichen Verfehlungen, die auch die Einzelheiten über jede sexuelle Begegnung mit Monica Lewinsky enthalten, sind ins Internet gestellt worden, um von der ganzen Welt heruntergeladen zu werden.
Auch wenn die überwiegende Mehrzahl der Amerikaner an Clintons Schuld glaubt, hat er weiterhin eine hohe Popularität als Politiker behalten, und die meisten wollen nicht, daß er zurücktritt. Interessant dabei ist, wie sogar "negative" Aufmerksamkeit ihrem Empfänger zugute kommt und letztlich sogar Macht und Ansehen größer werden läßt.
Als Präsident hat Clinton die amerikanische Nachrichten viele Jahre lang dominiert. Sein Bild erschien mehrere Male in der Woche auf den Titelblättern der Tageszeitungen, sein Gesicht sah man fast jeden Abend in den Fernsehnachrichten, egal wie geringfügig die Anlässe oder wie bedeutungslos seine Handlungen waren. Während der Jahre hat er gelernt, dem nachzuhehelfen und sicherzustellen, wie man sich ins Scheinwerferlicht stellt. Dadurch hat er als der Mensch des Landes, der ganz offensichtlich am wichtigsten ist, die Aufmerksamkeit vergrößert, die wir ihm entgegenbringen.
Wenn es eine Naturkatastrophe gibt, ist Clinton da. Wenn ein Unterhaltungskünstler, Politiker, Geschäftsmann oder ein anderer Prominenter stirbt, läßt Clinton sein Beileid bekannt werden. Wenn ein Rekord im Sport eingestellt wird, werden, ebenso wie bei jedem bemerkenswerten sportlichen Triumph, die erfolgreichen Athleten in das Weiße Haus eingeladen, so daß das Lob des Präsidenten aufgezeichnet werden kann. Immer wenn ein Würdenträger kommt oder irgendwo auf der Erde ein Friedensabkommen unterzeichnet wird, stellt Clinton sicher, daß er daran beteiligt ist und gibt oft Staatsdinner mit vielen Prominenten aus Hollywood, die sowohl die ausländischen Besucher als auch die amerikanische Presse beeindrucken. Fast täglich teilt er ein winziges politisches Vorhaben oder ein Ersuchen an den Kongreß mit oder aber er kämpft sehr sichtbar über jeden einzelnen Punkt eines vorgeschlagenen Gesetzes mit der republikanischen Mehrheit im Kongreß.
Natürlich hat Clinton all dies von Ronald Reagan gelernt, von dem er auch einen guten Teil seiner Politik übernommen hat. Und er hat sich das besser angeeignet, als dies George Bush während der acht Jahre als Reagans Vizepräsident vermocht hatte. Auch wenn Reagan ein professioneller Schaupieler war, ist Clinton der brillantere Darsteller, der ein größeres Spektrum an Emotionen, eine größere Bindung mit seinem Publikum, eine beeindruckendere Ehrlichkeit und eine größere Macht sowie ein sichtbares Interesse an sehr viel mehr Themen hat.
Der Großteil des Erfolgs verdankt sich seiner Fähigkeit, das Beste aus dem mit über 700 Journalisten gigantisch großen Presseapparat des Weißen Hauses zu machen. Zu ihnen gehört eine festangestellte Gruppe bekannter Stars, die praktisch immer zur Hand sind, auch wenn Clinton nur selten auf Fragen von Journalisten antwortet oder seinem Pressesekretär erlaubt, etwas von einiger Bedeutung zu sagen, und auch wenn Bill und besonders Hillary die Presse nicht sehr mögen und sich Journalisten andauernd über die schlechte Behandlung durch das Weiße Haus beschweren.
Die an das Weißen Haus berufenen Reporter ziehen einen Vorteil aus jeder Nachricht, die sie über Clinton bringen können, da sie dadurch ebenfalls ins Scheinwerferlicht rücken. Im Unterschied zu den 535 Kongreßmitgliedern oder den Hunderten von Richtern und Tausenden von Beamten und Diplomaten in Washington gibt es nur einen Präsidenten - und ein Star zu sein, ist vor allem etwas für ein Individuum.
Folglich fällt der Präsident auf, egal was er macht. Ein Reporter, der sein Gesicht mit dem des Präsidenten verbindet, indem er auf dem Bildschirm auftaucht oder einen Artikel unterzeichnet, kann unabhängig davon, wie geringfügig die berichtete Story ist, durch die Assoziation ein Star werden. Überdies werden die bekanntesten Journalisten oft um ihre Meinung gebeten, und durch ihre oft ziemlich dummen Verlautbarungen mehren sie ihre eigene Berühmtheit. Dadurch stärkt ihre Verbindung mit dem Präsidenten dessen Position als Star der Stars.
Viele diese Reporter kümmern sich nicht viel um Politik und wissen wenig, aber das stört kaum. Sie können immer eine persönliche Perspektive finden, und persönliche Dinge haben aufgrund ihrer Natur stets eine direktere Wirkung auf das große Publikum als politische Verlautbarungen, die normalerweise ein bestimmtes Fachwissen zu ihrem Verständnis erfordern und oft anscheinend nur einen kleinen Teil der Öffentlichkeit betreffen.
Daher garantiert ein von allen in seinen Grundzügen verstehbarer Sexskandal, in dem der Präsident verwickelt ist, eine wachsende Aufmerksamkeit für diejenigen, die über ihn berichten und ihn kommentieren. Aber er läßt auch dem Präsidenten eine größere Aufmerksamkeit zukommen. Selbst die Kongreßmitglieder, die mehr und mehr ihrer eigenen Aufmerksamkeit auf die angeblichen Missetaten des Präsidenten richten, stellen sicher, daß ein Teil der Zuschauer auch sie persönlich wahrnehmen wird. Aber wenn sie sich so entscheiden, lassen die Hunderten von Kongreßmitgliedern kollektive nur die Gesamtsumme der Aufmerksamkeit größer werden, die sich auf die einzige Person richtet, die Präsident ist.
Die Einzelheiten von sexuellen Handlungen offenbaren tiefreichende Hinweise auf die Psyche der Person. Dasselbe ist bei Fragen von Schuld oder Unschuld der Fall. Man kann sich nur mit einem dieser Bereiche auseinandersetzen, wenn man sich den Erfahrungen und tiefen Gefühlen der Person öffnet, und um das zu tun, muß jeder Zuschauer, unabhängig davon, ob er dies prinzipiell verurteilt, mit dem Täter in einem bestimmten Ausmaß sympathisieren, wodurch die Resonanz zwischen ihm und uns stärker wird.
Wir werden mit unserer Aufmerksamkeit nicht weniger, sondern stärker auf alle folgenden Behauptungen ausgerichtet, die er macht, wozu auch die Bitten gehören, auf eine bestimmte Weise zu handeln, beispielsweise ihn gegen den Kongreß zu unterstützen oder die Kongreßmitglieder zu wählen, die ihn nicht nur vor dem Amtsenthebungsverfahren bewahren wollen, sondern auch seine Programme unterstützen, während seine Gegner kaum die Hoffnung hegen können, diese Aufmerksamkeit zu erreichen.
All dies würde bei einem Präsidenten nicht so gut funktionieren, der sich wie Richard Nixon im Watergate-Skandal zurückzieht, sich nicht häufig in der Öffentlichkeit zeigt, nicht einmal versucht, "seine Seele zu erleichtern" - oder was wir darunter verstehen sollen -, und auch nicht die Gabe hat, dies zu tun. Clinton selbst unternahm nicht viel, um zu verhindern, daß seine Aussage vor der Grand Jury ungekürzt innerhalb eines Monats veröffentlicht wurde, während fast ein Vierteljahrhundert nach Watergate die Tonbandaufzeichnungen, die Nixon belastet hatten, noch nicht gesendet wurden. Clintons "widerwillige" Offenheit dient seinem Vorteil weitaus stärker.
Man muß abwarten, ob Clinton schlau und bewußt genug ist, um Wege zu finden, seine größere Macht zu gebrauchen, aber wenn seine Darstellung in der Vergangenheit dafür ein Hinweis ist, so wird er dies sicherlich schaffen.
Siehe auch: Weltstar Clinton. Unter den Web-Prominenten ist der Präsident die Nummer 1.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer