Die italienische Journalistin Giuliana Sgrena wurde im Irak verschleppt
Die Anschläge reißen auch nach der Wahl nicht ab, Schiiten, voraussichtliche Wahlsieger, verlangen, den Islam zur Grundlage der neuen Verfassung zu machen, Kurden wollen die Unabhängigkeit
Giuliana Sgrena ist Korrespondentin der römischen Tageszeitung Il Manifesto im Irak, Übersetzungen ihrer Artikel werden in dem Hamburger Wochenmagazin Die Zeit und dem deutschsprachigen Schweizer Nachrichtenmagazin facts abgedruckt. Am Freitag wurde sie in Bagdad verschleppt, seitdem fehlt jede Spur von ihr. Nach Al-Dschasira bekannte sich die "Organisation des islamischen Dschihad", die den Abzug der italienischen Soldaten binnen 72 Stunden fordert. Die Echtheit dieses Bekennerschreibens wird jedoch bezweifelt. Letztes Jahr wurden die Italienerinnen Simona Torretta und Simona Pari von derselben Gruppe entführt und später - möglicherweise gegen Zahlung von Lösegeld - frei gelassen. Allerdings hat noch eine weitere, bislang unbekannte Gruppe mit ähnlichen Namen - Organisation für den Dschihad im Zweistromland - erklärt, die Entführung ausgeführt zu haben.
Über Bemühungen von deutscher Seite, die Freilassung der Reporterin zu erwirken, ist bisher nichts bekannt. Lediglich die Zeit-Redaktion "appelliert" in einem Aufruf an die Entführer, die Kollegin wieder frei zu lassen und "vertraut" ansonsten auf das Verhandlungsgeschick der "Regierungen in Rom und Berlin".
Zu Beginn des Irak-Krieges reiste die konsequente Kriegsgegnerin nach Bagdad, um von dort aus über die Schrecken des Krieges zu berichten. In ihren Reportagen spielt die Situation der Zivilbevölkerung eine wichtige Rolle, vor allem die Lebensbedingungen der irakischen Frauen lag ihr am Herzen. "Seit dem Zusammenbruch des Staates herrschen im Irak die Stammesgesetze", schrieb sie in der Zeit. Die Folge laut Giulaina Sgrena: Zwangsverschleierung, Zunahme von sexueller Gewalt und drastischer Anstieg so genannter Ehrenmorde. "Das stellte das Verwaltungsbüro des Bagdader Leichenschauhauses fest", so Sgrena. "Nicht einmal die gefangenen Frauen aus Abu Ghraib sind verschont worden, ob sie nun missbraucht worden sind oder nicht. Manche haben sich nach ihrer Freilassung das Leben genommen, andere sind ermordet worden."
"Sie ist hinausgefahren, auch in die entlegensten Dörfer, weil sie wissen wollte, was genau geschehen ist", beschreibt Ulrich Ladurner seine Kollegin. "Sie wollte mit ihren eigenen Augen sehen, weil sie den Kriegsparteien niemals traute". So auch am vergangenen Freitag: Sie war zu einer Moschee im an sich gut bewachten Universitätsviertel von Bagdad gefahren, um mit Flüchtlingen aus Falludscha zu sprechen, die dort untergebracht sein sollten. Nach Verlassen der Moschee wurde sie von bewaffneten Männern aus dem Auto gezerrt und verschleppt. Der Fahrer und der Dolmetscher konnten entkommen.
Eine italienische Kollegin von der römischen Rundfunkstation GRT erhielt während und nach der Entführung zwei Anrufe per Handy von Giuliana Sgrena. Beim ersten Anruf habe sie Schüsse gehört, beim zweiten sei lediglich arabische Musik zu hören gewesen. Darüber hinaus hatte ein Zeit-Redakteur noch nach der Entführung telefonischen Kontakt zu Sgrena. "Während des kurzen Gesprächs per Satellitentelefon wirkte die Reporterin verstört. Offenbar telefonierte sie aus einem geschlossenen Raum, es waren keine Umgebungsgeräusche zu hören, der Klang war sehr gedämpft. Sie sagte lediglich, sie könne jetzt nicht sprechen und bat um einen späteren Anruf. Doch dann war nur noch ihre Mailbox zu erreichen. " Vor dem Rathaus in Rom kamen nahmen Hunderte von Menschen an einer Solidaritätskundgebung für Giuliana Sgrena teil. In einer Mitteilung schrieben die Kollegen von IL Manifest:
Dear Giuliana, some people are already saying that your abduction is a sign of retribution, against us as pacificists and left-wing journalists. They tell us we should repent. We are sure you repent not a single comma of what you wrote. Four our part, we won't disappoint you, that's for sure. Rather, as far as we can from here, we prefer to share the fear of the moment, and to do so together. This is the only 'weapon' we have and the only one we would like to see in the world. It's the way you are, and the way we are.
Vor einem Monat war dei französische Journalistin Florence Aubenas, die für Liberation arbeitet, entführt worden. Auch sie soll Interviews mit Flüchtlingen aus Falludscha geführt haben. Bis heute ist sie verschwunden, es gibt keine Informationen über sie. Heute wurden vier ägyptische Mitarbeiter einer Telekom-Firma in Bagdad entführt. Bei einem Überfall hat gestern die Gruppe Ansar al-Sunna sieben irakische Soldaten getötet. Bei weiteren Anschlägen kamen gestern im Umkreis von Bagdad 25 Zivilisten und Sicherheitskräfte sowie ein US-Soldat ums Leben.
Die Wahlen sind noch keine Lösung der Probleme
Nach Auszählung von mehr als einem Drittel der Stimmen liegen wie erwartet die schiitischen Parteien mit großem Abstand in Führung. Allen voran die Vereinigte Irakische Allianz mit 67 Prozent, hinter der Ajatollah Ali al-Sistani steht, die Irakische Liste von Allawi konnte nur 17 Prozent erzielen (Nach dem Fest der Demokratie).
Die Stimmen in den kurdischen Gebieten wurden noch nicht ausgezählt. Auch hier gab es eine hohe Wahlbeteiligung. Nach einer nicht-offiziellen Volksabstimmung in den drei kurdischen Provinzen haben an dieser 80 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Fast zwei Millionen Kurden oder 98,7 Prozent stimmten für eine Loslösung Kurdistants vom Irak Shamal Huaizi, einer der Organisatoren des Referendums, sagte, Kurdistan sei 1924 mitsamt Mossul vom Irak annektiert worden. Die Kurden hätten ein Recht darauf, über die Frage der Unabhängigkeit abstimmen zu können.
Schiitische Geistliche erklärten bereits, dass der Islam Grundlage für die neue Verfassung werden müsste. Ibrahim al-Jaafari, gemäßigtes Mitglied der Vereinigten Irakischen Allianz, schlug bereits vor, dass al-Sadr, der wie al-Sistani gute Beziehungen zu Iran hat und dessen Mahdi-Armee mehrmals gegen die Koalitionstruppen gekämpft haben, an der Regierung beteiligt werden sollte. Sunnitische Parteien, die die Wahl boykottiert hatten, wollen nun doch an der Verfassung mitarbeiten, verlangen aber einen genauen zeitplan für den Abzug der Koalitionstruppen.