Die neu entdeckte Einigkeit der Uneinigen

Die Sieger erhalten das heiß begehrte Votum der Vereinten Nationen für ihre Nachkriegsmission im Irak

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Bushs Antiterrorkampf ist ein äußerst fragiles Unternehmen, wenn man es nicht nach den Anschlägen in Casablanca/Marokko, Riad/Saudi Arabien oder gerade wieder in Falludscha/Irak und den jüngst bekräftigen Kampfansagen von al-Qaida gar für gescheitert halten will. Die Terroristen mögen geschwächt sein, doch der Kampf geht weiter - nicht zuletzt auch deshalb, weil die rigorose US-Kriegspolitik neue Wut im islamischen Lager geschürt hat. In Amerika sitzen Bush zudem Kritiker seiner Wirtschaftspolitik wie Warren Buffett und George Soros im Nacken. Schuldenmacher Bushs Steuersenkungsprogramm fördere die soziale Ungerechtigkeit. Sieht so eine erfolgreiche US-Regierung aus?

Wenigstens an der irakischen Friedens- und Ölfront wollte Bush jetzt punkten. Mit der Annahme der von Amerika, Großbritannien und Spanien in den UN-Sicherheitsrat eingebrachten Resolution mit einem 14 : 0 Ergebnis ist dieser Coup zumindest vorläufig gelungen. Einziger Schönheitsfleck: Syriens Vertreter erschien nicht zur Abstimmung.

Die Unterstützung für Amerikas vierten Resolutionsentwurf für den UN-Sicherheitsrat blieb erwartungsgemäß nicht aus, nachdem die USA eifrig, wenn auch größtenteils kosmetisch nachgebessert hatten. Zuletzt konnten daher auch die Stimmen von Russland, Frankreich, China und Deutschland ohne nennenswerte Gegenwehr eingesammelt werden. Der fundamentale Konflikt der Völkergemeinschaft wurde entschärft, ohne zu garantieren, dass sich Neuauflagen dieses Zwistes nicht schon morgen anlässlich neuer Präventivkriege ereignen.

Weitgehend nur rhetorische Aufwertung der UN-Rolle

Zweifler wie der französische Außenminister de Villepin haben vor allem Amerikas Nachkriegs-Resolution zugestimmt, um die Vereinten Nationen wieder in das Machtspiel zurückzubringen. Doch hat die Völkergemeinschaft durch die nun beschlossene Resolution wirklich an Bedeutung gewonnen? Die mehrfache Veränderung des Resolutionsentwurfs richtete sich im Wesentlichen auf die Frage, welche "vitale Rolle" der UN bei Wiederaufbau, Regierungsbildung und Demokratisierung des Irak zukommt.

Laut der Resolution wird nun ein unabhängiger Vertreter der Vereinten Nationen vor allem an der Koordination humanitärer Aufgaben beteiligt. Regelmäßig soll dieses Feigenblatt der Völkergemeinschaft den Sicherheitsrat über diese und kompetenziell ähnlich unpräzise gefassten Tätigkeiten aufklären. Dessen Unabhängigkeit besteht also im Wesentlichen darin, dass die Machtausübung, die die Besatzer allein für sich beanspruchen, weitestgehend unabhängig von seinem Einfluss ist.

Der UN wurde mithin eine Nebenrolle zugewiesen, was immerhin vermittelt, dass sie in den Weltmachtplänen der USA überhaupt noch existiert. Spielentscheidend für die Sieger ist es, ihre Kontrollfunktion als Besatzungsmacht unter Umständen auch langfristig zu sichern. Deshalb hatte der US-Botschafter bei der UN, John Negroponte, zuvor erklärt, dass ein automatisches Ende der angloamerikanischen Besatzung für die Sieger inakzeptabel sei. Dem französischen Vorschlag, die Besatzungsherrschaft nach 12 Monaten zu beenden, wolle man keinesfalls entsprechen. Das Ende der Besatzung ist nun mit der Entwicklung der politischen Verhältnisse hin zu einem freien, egalitären und demokratischen Irak verkoppelt.

Die Frage, wann die politischen Verhältnisse die hohen Erwartungen der Sieger befriedigen, vermögen gegenwärtig aber weder die Sieger und schon gar nicht die Besiegten selbst zu beantworten. Ohnehin könnte es zum Paradox verordneter Freiheit und Demokratie werden, dass sich letztlich doch wieder autoritäre Kräfte im Irak durchsetzen. Denn nicht nur in diesem Punkt bleibt die Resolution appellativ, wenn etwa eine zukünftige irakische Regierung projektiert wird, die ihre gerechte Herrschaft nicht an ethnische, religiöse oder geschlechtsspezifische Kriterien knüpft. Der amerikanische Zivilverwalter Paul Bremer erklärte gerade noch, dass sich die Bildung einer repräsentativen Interimsregierung weiterhin verzögere.

Eine kleine Konzession an die besänftigten Kriegskritiker der USA beinhaltet die Regelung, dass der Sicherheitsrat nach einem Jahr den Erfolg der Resolution überprüfen und wenn notwendig über neue Maßnahmen beraten soll. Zentral neben der zumindest rhetorischen Aufwertung der UN-Beteiligung ist die Aufhebung der Handelssanktionen gegen den Irak mit Ausnahme des Waffenembargos. Der köstliche Stoff der Pipelines kann also jetzt, kontrolliert von den Besatzungsmächten, vom Irak über den Weltmarkt wieder in die Industrieländer fließen. Das UN-Programm "Öl für Lebensmittel" wird in sechs Monaten auslaufen. Stattdessen soll sich ein Entwicklungs-Fonds bei der Zentralbank des Irak konstituieren, in dem die Erlöse aus dem Öl-Geschäft gesammelt werden. Bis zur Bildung einer irakischen Regierung sollen aus diesem, von einem internationalen Gremium kontrollierten Topf notwendige Versorgungsimporte, Reparaturkosten für Ölförder-Anlagen und Wiederaufbaumaßnahmen finanziert werden. Auch Kuwait soll aus den irakischen Energieverkaufsgeschäften Reparationen für den ersten US-Golfkrieg erhalten.

Das Völkerrecht bleibt bei der großen Einigkeit auf der Strecke

Die Außenminister von Russland, Frankreich und auch Joschka Fischer erklärten vor Unterzeichnung pflichtgemäß, den Krieg mit dieser Resolution nicht nachträglich zu rechtfertigen. Doch der Text der Resolution verbindet an verschiedenen Stellen die vor dem Krieg von Bush aufgeblasenen Gefahren mit der nun anstehenden Friedensmission, weiterhin die vom Irak ausgehenden Bedrohungen für die Weltsicherheit zu bekämpfen. Gerade diese Referenz an Bushs vorgeschobenen Kriegsgrund, Massenvernichtungswaffen - die augenscheinlich nicht vorhanden sind - zu vernichten, begründet den Verdacht, dass die Resolution letztlich doch als nachträgliche Legitimation des Krieges herhalten wird.

So wird so hartnäckig wie kontrafaktisch "the importance of the disarmament of Iraqi weapons of mass destruction" hervorgehoben. Die vorliegende Resolution widerspricht auch dem vorherigen Kurs des Sicherheitsrats, die Sanktionen erst dann aufzuheben, wenn die UN-Waffenkontrollen zu einem negativen Ergebnis bei ihrer Suche kommen. Zumindest der erneute Einsatz der UN-Waffeninspekteure könnte nach der in diesem Punkt modifizierten Endfassung der Resolution vom Sicherheitsrat wieder aufgegriffen werden. Zwar kann niemand mehr ernsthaft glauben, dass schließlich nach unzähligen fehlgeschlagenen Recherchen doch noch Massenvernichtungswaffen gefunden werden, aber irgendwann ersetzt das Gerücht bekanntlich die Wirklichkeit.

Die nun beschlossene Resolution dürfen alle beteiligten Mächte als politischen Erfolg verbuchen. Die Bush-Regierung sieht sich in ihren Kriegsgründen bestätigt und sichert sich die vorläufige Regentschaft über den Irak. Die Kriegsgegner dagegen dürfen weiterhin von der "vitalen Rolle" der UNO träumen, wenngleich der französische Außenminister de Villepin sofort erklärte, "perfekt" sei diese Resolution nicht. Insofern macht die vorliegende Resolution besonders deutlich, dass das Völkerrecht weiterhin eine weiche bis windelweiche Kategorie im unfriedlichen Zusammenleben der Völker bleibt, die maßgeblich von politischen und diplomatischen Opportunitäten beherrscht wird.