Die russischen Streitkräfte machen Boden gut

Seite 3: Nato kann ukrainischen Bedarf nicht decken

Zudem scheinen die russischen Streitkräfte in den letzten Jahren eine bedeutende Anzahl von ukrainischen Flugabwehr-Startgeräten und -Radaranlagen außer Gefecht gesetzt zu haben. Wahrscheinlich wird es der russischen Armee auch in Zukunft gelingen, ukrainische Startgeräte zu bekämpfen und damit den Gesamtbestand der nur schwer ersetzbaren modernen Nato-Luftabwehr weiter zu reduzieren.

Die Nato-Lieferungen an die Ukraine im Bereich der Flugabwehr, einschließlich der schultergestützten Nahbereichssysteme, waren erheblich. Es ist davon auszugehen, dass es den Nato-Staaten kurzfristig nicht gelingen wird, den Bedarf der ukrainischen Streitkräfte zu decken, sodass in einem Zeitfenster von bis zu zwei Jahren nicht mit einer ausreichenden Verbesserung der Situation im Bereich der Luftverteidigung zu rechnen ist.

Im Klartext bedeutet dies, dass weder eine ausreichende Abwehr russischer Raketenangriffe auf die Infrastruktur der Ukraine noch eine Abwehr von Gleitbombeneinsätzen möglich sein wird. Damit wird es den russischen Streitkräften möglich bleiben, ukrainischen Verteidigungsstellungen zu neutralisieren und weiter vorzurücken.

Panzer durch Drohneneinsätze gefährdet

Kurzfristig verfügbar wären ‒ aufgrund der vergleichsweise geringen Fertigungskapazitäten ‒ der Nato-Staaten wahrscheinlich lediglich gepanzerte Fahrzeuge und ballistische Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS.

Die USA besitzen einen größeren Bestand an eingelagerten Bradley-Schützenpanzern (2.000 Stück) und Abrams-Kampfpanzern (3.450 Stück). Auch diese wären kurzfristig nicht verfügbar, sondern müssten von der Industrie modernisiert werden. Es ist aber wahrscheinlich, dass gewisse Stückzahlen relativ kurzfristig an die ukrainischen Streitkräfte übergeben werden können, insbesondere wenn zunächst aktive gepanzerte Fahrzeuge aus Armeebeständen geliefert werden.

Der Einsatz gepanzerter Fahrzeuge ohne ausreichende Luftunterstützung ist jedoch mit hohen Verlusten verbunden und nur bedingt effektiv. Zudem wird die Panzerwaffe durch die vielfach eingesetzte FPV-Drohne existenziell herausgefordert.

Von den ATACMS-Raketen verfügen die USA vermutlich über knapp 3000 Stück. Diese haben eine größere Reichweite als die russischen Gleitbomben und können daher ein breiteres Einsatzspektrum abdecken. ATACMS werden wahrscheinlich nicht direkt an der Front eingesetzt, sondern eher zur Bekämpfung militärischer Ziele im Hinterland der russischen Armee, wo sie den Nachschub empfindlich stören könnten. Sie kosten mit bis zu 1,7 Millionen Dollar pro Stück jedoch ein Vielfaches der russischen Gleitbomben.

Auch mittelfristig nur geringe Rüstungsproduktion in den Nato-Ländern

Wenn man davon ausgeht, dass die USA etwa 3.000 ATACMS im Gesamtbestand haben, und diese sie komplett an Kiew übergeben, so entspricht das nicht einmal der Sprengkopf-Nutzlast, die die russischen Streitkräfte mit den Gleitbomben in nur einem Monat zum Einsatz gegen die Ukraine bringen.

Dabei kommt es nicht nur auf die Höhe der bereitgestellten Mittel an. Wichtiger sind die aktuell vorhandenen Produktionskapazitäten. Und da stehen die Nato-Staaten erheblich unter Druck. Die Ukraine wird das zur Verfügung gestellte Geld deshalb kurzfristig wahrscheinlich einfach nicht ausgeben können, da es nur wenig taugliche und dazu noch völlig überteuerte Waffen gibt.

Kurzfristig wird die Ukraine wahrscheinlich eine gewisse Menge an Artilleriegeschossen erhalten. Aber auch hier ist die russische Produktionskapazität deutlich höher als die aller Nato-Länder zusammengenommen. Ein großer Teil der Lagerbestände der Nato ist bereits in die Ukraine exportiert worden. Daher wird es im Bereich der Artillerie bei einem Ungleichgewicht zulasten der Ukraine bleiben. Dieses wird derzeit auf mindestens 1:5 geschätzt, was sich vermutlich in entsprechend höheren Verlusten niederschlagen wird.

Personelle Probleme der Ukraine kaum lösbar

Folglich stellt sich die personelle Situation für die Ukraine weiterhin und zunehmend als kaum lösbar dar. Zwar ist gerade ein neues Mobilisierungsgesetz in Kraft getreten, aber angesichts der anhaltend hohen Verluste aufseiten der ukrainischen Streitkräfte wird es immer schwieriger, junge Menschen zum Kriegsdienst zu zwingen.

Es ist davon auszugehen, dass die ukrainischen Streitkräfte trotz zunehmend gewaltsamer Rekrutierungsversuche derzeit nicht in der Lage sind, auch nur die eigenen Verluste auszugleichen.

Es gab und gibt keinen militärischen Pfad, auf dem die Ukraine einen Krieg gegen Russland gewinnen könnte. Selbst mit 14 Milliarden Dollar für neue Waffen wird es den ukrainischen Streitkräften nicht gelingen, kurzfristig die dringend benötigten Waffen zu bekommen, um die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten, denn die Nato-Staaten haben sie schlicht nicht im Angebot.

Russland strebt die Kapitulation Kiews an

Auch die Hoffnung der Nato, durch weitere militärische Unterstützung der Ukraine zumindest einen Waffenstillstand mit Russland zu ermöglichen und so einen an der Nato orientierten ukrainischen Staat zu retten, könnte sich als Wunschdenken erweisen.

Russland wird angesichts der kompromisslosen Haltung der Nato gegenüber seinen eigenen Sicherheitsinteressen nichts weniger als eine Kapitulation Kiews akzeptieren. Das Zeitfenster für Verhandlungen hat sich bereits vor Monaten geschlossen. Jetzt kann nur noch über die Form der Kapitulation verhandelt werden.

Mehr Waffen bedeuten nicht ein Mehr an Sicherheit im europäischen Haus, genauso wenig wie die jetzige Waffenlieferung Menschenleben retten wird, wie jetzt von ukrainischer Seite behauptet wird. Nur Verhandlungsbereitschaft mit dem Ziel gemeinsamer Abrüstung kann ein Weg zurück in ein friedliches Europa sein.