Die schmutzige Wahrheit hinter Flüssiggas-Importen aus den USA
LNG-Terminals und Fracking: Menschen in den USA leiden unter dem Exportboom. Denn das Gas-Business vergiftet wichtige Lebensräume und das Klima. Was Betroffene Europa vorwerfen.
In einem "neuen deutschen Tempo" hat die Bundesregierung es geschafft, andere Quellen für die Versorgung mit Erdgas zu finden, so Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist die Versorgung mit Erdgas durch den einstigen Partner unsicher geworden, seit dem Sabotageakt auf die Nord-Stream-Pipeline sind Gaslieferungen ohnehin kaum noch möglich.
LNG, oder Liquified Natural Gas, bietet derzeit nicht nur für Deutschland eine attraktive Lösung. Importiert wird LNG über die sogenannten "FSRUs," oder "Floating Storage and Regasification Units". Diese gigantischen Tankschiffe sind dafür ausgerüstet, verflüssigtes Erdgas zu regasifizieren und per Pipeline in das deutsche Energienetz zu speisen. In Wilhelmshaven, Lubmin, Stade und Brunsbüttel entstehen insgesamt sechs FSRUs mit notwendigen Dockanlagen, wovon die Hälfte schon im Einsatz sind.
Für Deutschland ist damit ein maßgebliches Problem der Versorgung gebannt, denn Erdgas macht bis heute einen beachtlichen Teil des inländischen Energiemixes aus. Rund zehn Milliarden Euro hat die Bundesregierung unter Führung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz für LNG zugesagt, mit deutlichen Erfolgen.
Sollte sich die Versorgungslage stabil halten, könnte die Bundesrepublik innerhalb weniger Jahre sogar mehr Erdgas in Form von LNG importieren, als einst aus Russland kamen. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck zufolge könnte der Überschuss dann aus Deutschland in europäische Nachbarländer weiterverkauft werden.
Doch woher, wenn nicht aus Russland, kommt das neue Gas? Neben Norwegen und Belgien sind die USA mittlerweile zu einem der wichtigsten Gaslieferanten für Europa geworden. Auf dem Weltmarkt exportiert derzeit kein Staat so viel des fossilen Rohstoffes wie die Vereinigten Staaten von Amerika.
Durch die enormen Preisanstiege ist der Export in zahlungskräftige Länder in Nordeuropa für die amerikanischen Produzenten ein lukratives Geschäft. Folgt man jedoch den neuen Lieferketten zurück ins Produktionsland, ergibt sich ein Bild, das deutlich komplizierter ist.
"Diese Industrie ist gefährlich, sie ist schädlich und sie ist zerstörerisch", sagt Emma Guevara. Die junge Aktivistin arbeitet für die Umweltschutzorganisation Sierra Club und lebt dort, wo das amerikanische Erdgas verschifft wird. Rio Grande Valley nennt sich die Region an der südlichsten Spitze von Texas, ein satt grünes Dreieck zwischen der Grenze zu Mexiko im Westen und dem Atlantischen Ozean im Osten.
Das Rio Grande Valley ist mit seinem subtropischen Klima eine wichtige Agrarregion für die Vereinigten Staaten, hier werden seit Generationen Zitrusfrüchte, Zuckerrohr und Baumwolle angebaut. Vor der Küste werden Krabben und etliche Fischarten gefangen, die Gewässer des Golfs von Mexiko gelten als besonders reichhaltig.
Trotz des Reichtums von Wasser und Boden ist das Rio Grande Valley eine der ärmsten Regionen der USA, fast ein Drittel der Bewohner:innen leben unter der offiziellen Armutsgrenze, über 90 Prozent von ihnen sind Latinos. "Die Grenze zwischen erster und Dritter Welt verschwimmt hier", sagt Guevara über ihre Heimat, die sie als strukturell benachteiligt beschreibt.
Für die Gasindustrie gibt es derzeit wohl wenige Orte, die so interessant sind wie die texanische Küste. Mit seinen gigantischen Fördergebieten und einer industriefreundlichen Regierung ist der große Bundesstaat im tiefen Süden der USA auch ein idealer Partner für die Erdgas-hungrigen Partner in Europa. Mit hunderten Kilometern Pipeline, die bereits an die Küstengebiete verlegt worden sind, gibt es für die Industrie allerlei Anreize, hier die Terminals zu bauen, über die Erdgas verflüssigt und verschifft werden kann.
Um in europäische Stromnetze gespeist zu werden, muss das Gas in Texas zunächst verflüssigt werden. Auf minus 162 Grad Celsius herabgekühlt kann es platzsparend auf großen Tankschiffen verladen werden, um dann bei der Ankunft in Europa "regasifiziert" zu werden. Bei den aktuellen Höchstpreisen lohnt sich der Aufwand für die Produzenten allemal, trotz des Umstands, dass bis zu einem Viertel des Gases für den Energieaufwand im Zuge der Verflüssigung draufgeht.
Dort, wo die "Rio Grande LNG" und "Texas LNG" genannten Terminals entstehen sollen, geht die Landschaft langsam in den Ozean über. Der Rio Grande bildet seit 1848 die Grenze zwischen den USA und Mexiko, besiedelt ist das Delta zwischen Atlantik und Fließgewässern aber seit Jahrtausenden.
Dr. Christopher Basaldú gehört zu den Esto’k Gna, einer Stammesgruppe, deren Geschichte weit vor die beider Staaten zurückgeht. An einem verregneten Tag führt der Experte für indigene Kulturen uns zur Baustelle von "Texas LNG", am Ende einer bröckelnden Landstraße.
Über das hohe Schilfgras kann man nur wenig erkennen, aber auf einer frisch gezogenen Baustraße stehen mehrere Pickup-Trucks mit Firmenlogos, Indiz dafür, dass die Vorbereitungen für das Großprojekt auch an diesem Tag weitergehen.
Christopher Basaldú erklärt, dass der Ort, an dem "Texas LNG" entsteht, für seinen Stamm heilig ist. Auf der sogenannten Garcia Pasture, wo auch heute gearbeitet wird, wurden Tausende Artefakte der Esto’k Gna gefunden. "Hier standen Dörfer, hier wurden Menschen begraben", sagt er.
Dr. Basaldú blickt aus dem Auto und erklärt, dass seinem Stamm trotz dieser Geschichte der Zugang zu dem Gebiet verboten wird. "Wir würden uns strafbar machen", sagt Basaldú. Kurz darauf kommt ein Mann in Arbeitskleidung die Straße hinuntergelaufen und tritt an das offene Autofenster ran.
Wenn Fracking bei Euch verboten ist, warum ist es dann OK bei uns?
"Waren sie nicht neulich schon mal hier?", fragt er.
"Ich nicht", sagt Basaldú, "aber vielleicht jemand anderes von meinem Stamm."
"Und was machen Sie hier?" will der Mann wissen.
"Ich schaue mir an, was hier passiert", sagt Basaldú, "und sie?"
Der Mann identifiziert sich als Ingenieur, der im Auftrag von Texas LNG das Gelände ausmisst. Davon, dass auf der Garcia Pasture die Gebeine von Christopher Basaldú’s Vorfahren zu finden sind, will er noch nie etwas gehört haben.
"Sie befinden sich hier auf gestohlenem Land", sagt Basaldú.
"Aber das ganze Land ist gestohlen!", ruft der Ingenieur darauf nervös. Kurz danach bricht Basaldú frustriert das Gespräch ab.
Die zuständige Bundesbehörde "FERC" hat kürzlich beide der geplanten Terminals bei Brownsville abgenickt. Dass der enge Schiffskanal, an dem sie entstehen sollen, inmitten von ökologisch empfindlichen Feuchtgebieten liegt, oder dass dabei wichtige Kulturstätten der Esto’k Gna zubetoniert werden, wurde dabei kaum berücksichtigt.
Die Esto’k Gna sind trotz ihrer jahrtausendealten Geschichte in den USA nicht auf Bundesebene anerkannt, womit sie politisch noch weniger Macht haben, als viele Stammesgemeinden im Süden der USA es ohnehin schon haben.
Dass die Vereinigten Staaten derzeit so viel Erdgas anzubieten haben, ist vor allem dem Fracking geschuldet. Durch diese "unkonventionelle Fördermethode", wie es im trockenen Sprachgebrauch der US-Öl- und Gasindustrie heißt, konnten seit Ende der Nuller-Jahre massive Vorkommen in den Vereinigten Staaten freigelegt.
Fördergebiete, die einst als versiegt galten, können nun durch die Kombination von Hochdruck und einem Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch plötzlich ausgebeutet werden. Seit Ende der Nuller-Jahre herrschen dort, wo Öl- und Gasvorräte freigelegt werden, wieder Boomzeiten.
Das Permbecken ist ein solcher Ort. Fast 500 Kilometer lang und 400 Kilometer breit, erstreckt sich das gigantische Fördergebiet über einen beachtlichen Teil des Nordwestens von Texas, und von dort in den Nachbarstaat New Mexico. An Tagen, an denen die Sicht ausreicht, sieht die flache Landschaft des Permbeckens aus, als würde sie von großen eisernen Insekten bewohnt.
Neben den klassischen Bohrköpfen, die an einem Ort langsam nicken, an anderen schon lange stillstehen, findet sich im Permbecken auch allerlei Anzeichen für Fracking: Lkw mit bauchigen Wassertanks, Zwischenspeicher für Methangas, große Sandwerke entlang der Autobahnen, in denen der sogenannte "Fracksand" aufgearbeitet wird, mit dem die Öl- und Gas-Reservoire unter dem Permbecken wortwörtlich geknackt werden.
Fracking ist nicht ohne Grund in Deutschland und den meisten EU-Staaten entweder sehr stark eingeschränkt oder vollkommen verboten. So bedrohen unter anderem die Injektionen von Chemikalien und das Aufknacken großer Reservoire das Grundwasser von Gegenden, in denen gefrackt wird.
Auch die Entsorgung von bereits im Fracking genutzten Wasser bereitet Probleme. Im Permbecken werden dafür meistens bereits benutzte Bohrlöcher verwendet. In manchen Teilen von West Texas führt die unterirdische Entsorgung von Frackwasser zu seismischer Aktivität.
Die vielen kleinen und großen Ölfelder der Region haben neben ihrem industriellen Aussehen die Eigenschaft, oft einen durchdringenden Gestank zu verbreiten. "Das ist Schwefelwasserstoff, es ist ein toxisches Gas, das aus Ölquellen kommt", sagt Dr. Amy Townsend-Small von der Universität Cincinnati im Bundesstaat Ohio.
Townsend-Small forscht seit über einem Jahrzehnt zu den Emissionen, die durch Ölbohrungen entstehen. "Man kann daran sterben, wenn man zu lange oder in zu starker Konzentration damit in Berührung kommt."
Schwefelwasserstoff ist so gefährlich, dass Arbeiter:innen auf den Ölfeldern mittlerweile dazu verpflichtet sind, kleine Sensoren mit sich zu tragen, die sofort ausschlagen, falls die Konzentration des Gases zu hoch ist.
Schwefelwasserstoff ist vielleicht das gefährlichere Gas, doch das natürliche Methangas entweicht in Texas in die Luft. Neben Tausenden verwaister Bohrstellen, die nicht ausreichend versiegelt wurden, wird im Permbecken allein tonnenweise Gas in die Atmosphäre entlassen.
Auch wenn sich viele Betreiber bemühen, ihr Gas zu verkaufen, so ist es für manche der hier aktiven Ölfirmen immer noch eher ein lästiges Nebenprodukt. Neben dem üblichen "Flaring", bei dem überschüssiges Gas über Fackeln abgebrannt wird, gibt es auch das "Venting", bei dem es schlicht in die Atmosphäre entlassen wird.
In Texas ist das vollkommen legal. Nach Schätzungen der Umweltorganisation Environmental Defense Fund, die Methanemissionen im Permbecken über ein Jahr verfolgt hat, könnte die Förderregion die größte industrielle Methanquelle der Welt sein. Als potentes Treibhausgas mit einem äußerst hohen Wärmepotenzial sind solche Emissionen für das Klima katastrophal.
Emma Guevara aus dem Rio Grande Valley möchte, dass sich Konsumenten in Deutschland und Europa bewusst werden, was die Förderung und der Export von Erdgas in ihrer Heimat für Spuren hinterlässt.
"Wenn Fracking bei Euch verboten ist, warum ist es dann OK, das bei uns zu machen", will sie wissen. "Für uns fühlt es sich so an, als würden wir hier für den Wohlstand von Europa geopfert werden", sagt sie. "Zum zweiten Mal."
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