Die vierte Macht

Auf der Konferenz "Neue Kommunikationsmedien in der arabischen Welt" ging es um den Medien-Boom in der Region und die politischen Folgen; Erwartungen an eine Demokratisierung waren eher gedämpft

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Ganz gleich, ob im neo-marxistischen oder im liberalen Lager über die neue politische Weltordnung diskutiert wird, es scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass die Machtstruktur in drei Sektoren zerfällt. Denn ob das Konzept nun "Empire" oder "Global Governance" heißt, immer wieder ist die Rede davon, dass sich staatliche, wirtschaftliche und nicht mit Regierungen verbundene Akteure den Kuchen teilen. Medien (und die durch sie vermittelte, aber auch die durch sie entstehende Kultur) spielen in dieser Rechnung nur eine untergeordnete Rolle. Oder sie stehen gänzlich außen vor. Entweder werden sie dem Staats- oder Wirtschaftssektor zugerechnet - als verlängerter Arm des ersteren oder als Muskel des letzteren. Oder sie werden als das große emanzipatorische Instrument gehandelt, dass die durch die drei besagten Sektoren beherrschte Welt verbessern soll.

Dass der Medien/Kultur-Sektor als eigenständige Domäne, ja, als die vierte Macht gehandelt werden sollte, dass zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel der Medien/Kultur im arabischen Raum. Eine Konferenz, die letztes Wochenende im Haus der Kulturen der Welt unter dem Titel "Neue Kommunikationsmedien in der arabischen Welt" ausgetragen wurde, bot in dieser Hinsicht Anschauungsmaterial in Hülle und Fülle. Es referierten und diskutierten in der von Thomas Hartmann und Peter C. Seel konzipierten Konferenz u. a. die Soziologin Fatima Mernissi (Rabat), der Journalist Mohieddin Lazikani (London), die Nahostexperten Kai Hafez (Erfurt), Albrecht Hofheinz (Oslo) und Gregor Meiering (Amman) sowie der Schriftsteller Selim Nassib (Paris/ Beirut).

Dass die Medien/Kultur im arabischen Raum eine tragende Rolle im dortigen Wandlungsprozess spielt, darüber waren sich alle einig. Worüber die Meinungen auseinander gegangen sind, war, auf welche Art und zu welchem Grad der vierte Sektor mit den anderen Sektoren verflochten ist und welche Implikationen beispielsweise die Verflechtung mit dem Staat hat.

Medien-Boom im arabischen Raum

Ausgangspunkt der Konferenz ist die Durchsetzung der neuen Kommunikationstechnologien in der arabischen Welt gewesen. Im letzten Jahrzehnt haben Satelliten-TV, Mobiltelefon und Internet zu einer großräumigen Vernetzung der Region beigetragen. Allein 100 arabische Satellitenfernsehsender sind seit Mitte der 1990er Jahre entstanden. Die Aushängeschilder dieser Entwicklung, etwa TV-Sender wie Al Jazeera und MBC, erreichen ein Massenpublikum. In Oman ist nahezu jeder Haushalt in der Lage, diese Sender zu empfangen, in Kuwait sind es gut 80%, in Saudi Arabien rund 75%. Der Libanon und die Vereinigten Arabischen Emirate erreichen eine Versorgung von rund 65% der Haushalte, in Jordanien verfügen rund 45% der Haushalte über eine entsprechende Ausrüstung, während es in Ägypten unter 10% sind.

Wie Gregor Meiering anmerkte, hat sich in letzter Zeit die Nutzung von Satellitenschüsseln und -empfängern jedoch auch außerhalb der Ölmonarchien der arabischen Halbinseln beständig nach oben entwickelt. Was seiner Beobachtung nach einhergeht mit dieser Entwicklung, ist der Verfall der meisten Regierungssender und, so Meiering, damit implizit die Macht der bestehenden Regierungen, die allseits aufgrund ihrer Verfassungen entweder als illegitim oder schlichtweg als inakzeptabel angesehen werden. Doch ebnet diese Entwicklung tatsächlich den Weg zur Demokratie?

Zwischen Emanzipation und Unterdrückung

Es steht außer Frage, dass der Boom der Medien/Kultur im arabischen Raum mit einer demokratischen Hoffnung verbunden ist. So ist immer wieder von den emanzipatorischen Potentialen die Rede gewesen, etwa, weil die Neuen Medien ermöglichen, soziale und politische Einschränkungen individuell zu unterlaufen, aber auch weil sie neue Foren politischer Debatten mit neuen Teilnehmern schaffen oder weil sie der Erweiterung von Frauenrechten Vorschub leisten. In ihrer Keynote Speech sprach Fatima Mernissi jedoch auch davon, dass die Neuen Medien die politische Landschaft der arabischen Region auf unerwartete Weise verändern könnten, etwa, wenn in den diversen Medienformaten lang vergessene orale Traditionen wieder entdeckt werden, denen der Islam seinen Aufstieg zur Weltreligion verdankt.

Zur Frage stand jedoch auch, ob diese Entwicklungen zur Emanzipation und Mündigkeit oder zu seichterer Unterhaltung und nur anderen Formen von Unterdrückung und Zensur führen. Von unausgesprochenen Regeln und von Selbstzensur sprach beispielsweise der Moderator des Satelliten-TV-Senders Arab News Network (ANN) Mohieddin Lazikani, während Christa Salamandra mit ihrer These vom Trend zu einer Lokalisierung von Nachrichteninhalten, einen Eindruck davon vermittelte, worauf jene unterschwelligen Richtlinien zielen. Salamandra kam bei ihrer Studie der Diaspora-Araber-Kultur in London, wo übrigens auch ein großer Teil der arabischen Satellitenfernsehsender angesiedelt ist, zu dem Schluss, dass die dort kultivierten Werte sich einer globalen bzw. universalen Perspektive gegenüber versperren und stattdessen alte Regionalismen wiederbeleben. Salameh Nematt malte ein komplementäres Bild an die Wand, als er die interne Politik von Al-Dschasia in eine Tradition des Panarabismus stellte.

Nematt zu Folge, der seit 2003 Leiter des US-Büros der arabischen Tageszeitung "Al-Hayat" ist, habe dieser Panarabismus zur Folge, dass das entstehende Gemeinschaftsgefühl unter den Arabern einen großen Graben zwischen "us" (den Arabern) und "them" (den Westlern) aufklaffen lasse. An der Tagesordnung des Senders stünden zwei dominante Bildmuster: Einerseits Bilder von Palästinensern, die von Israelis getötet werden und andererseits Bilder von Irakern, die von US-Amerikanern getötet werden. Diese Senderpolitik ermögliche auf diese Weise, dass nationale Probleme in den jeweiligen Ländern ausgeblendet werden. Stets werde die große arabische Sache über die nationalen Unzulänglichkeiten gestellt. Letzten Endes ermögliche Al-Dschasiras Programmpolitik den jeweiligen Regimes, unangetastet an der Macht zu bleiben.

Auch Salamandra hatte zu verstehen gegeben, dass die Senderinhalte angestammten Eliten und Interessengruppen eher dienlich sind, als dass sie diese in Frage stellen würden. Während dies einerseits auf die Identitätspolitik der Diaspora-Araber zurückzuführen wäre, die in ihrer neuen Heimat insgeheim einem vermeintlich heilen Ursprung hinterher trauern, wurde immer wieder die These in Feld geführt, dass die Sender in großem Maße durch die Regierungen der Region (und durch ihren bis ins Ausland reichenden Einfluss) wenn nicht gesteuert, so doch manipuliert werden - wie es bei Massenmedien in Zeiten des Krieges allenthalben der Fall ist.