Diesel-Debatte: Feinstaub statt Stickoxide?
Der Verkehrswissenschaftler Matthias Klingner macht darauf aufmerksam, dass "ein großer Teil der gemessenen Feinstaub-Immissionen natürlich verursacht und durch den Tagesgang der Sonne geprägt ist"
Matthias Klingner leitet das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI). In den Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN) macht er auf ein Phänomen aufmerksam, das nicht nur vielen Lesern dieser Lokalzeitung unbekannt war oder immer noch ist: Dass der weitaus größte Teil des Feinstaubs in der Luft nicht von den Abgasen von Autos kommt, sondern ganz natürliche Ursachen hat, die auch nach einem Totalverbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor durchaus dafür sorgen können, dass der Grenzwert überschritten wird.
Um das zu verhindern, müsste man auch die Gesetze der Physik verbieten - oder die Sonne, die durch ihre Erwärmung des Bodens dafür sorgt, dass warme Luft aufsteigt und wieder absinkt, wenn sie sich abgekühlt hat. Diese 200 bis 2000 Meter dicke "Walze" aus aufsteigender und absinkender Luft wirbelt Dreck auf, der für das menschliche Auge nicht sichtbar ist, aber regulär bis zu 40 Mikrogramm das Feinstaubs ausmacht, dessen Grenzwert bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt. Im Winter, wenn sich Walzen durch darüberliegende kalte Luftschichten stark verdichten, können die natürlich hervorgerufenen Feinstaubwerte sogar bis zu 140 Mikrogramm erreichen. Vor allem dann, wenn es lange nicht regnet.
Von fünf bis acht Mikrogramm Feinstaub, die der Autoverkehr beiträgt, kommen nur zwei bis vier Mikrogramm aus deren Abgasen - der Rest entsteht dadurch, dass die Fahrzeuge Staub aufwirbeln. Staub, den auch Elektrofahrzeuge aufwirbeln würden. Oder Pferdefuhrwerke, die Umweltextremisten wie Niko Paech propagieren. Selbst eine "komplette Sperrung des Verkehrs" würde deshalb "die Spitzenbelastung faktisch gar nicht reduzieren."
Antagonistischer Widerspruch
Stickoxide stammen dagegen durchaus in relevantem Umfang aus Verbrennungsmotoren. Vor allem dann, wenn diese Motoren ihren Treibstoff bei sehr hohen Temperaturen verbrennen, die dafür sorgen, dass sich wenig Feinstaub bildet. Diese von Öko-Politikern geforderte Verbrennung bei hohen Temperaturen hat den Nebeneffekt, dass dabei auch der in der Luft enthaltene Stickstoff verbrennt. Das Stickstoffmonoxid (NO), das sich bei so einer Verbrennung bei hohen Temperaturen bildet, oxidiert später in der Luft zu Stickstoffdioxid (NO2).
Weil es Klingner zufolge "ein antagonistischer Widerspruch" ist, "Feinstaub und Stickoxidwerte durch eine geschickte Motorsteuerung gleichzeitig reduzieren zu wollen", sollte man sich seiner Ansicht nach auf den Faktor konzentrieren, dessen Anteil sich wirklich relevant verringern lässt, und die seiner Ansicht nach "unsinnigen" Feinstaub-Grenzwerte "entschärfen" oder wieder abschaffen. Dann könnten Ingenieure Motoren entwickeln, die möglichst wenig Stickstoff mitverbrennen.
"Utopisches Wunschdenken"
Ein baldiger kompletter Austausch der Verbrennungs- durch Elektromotoren, wie ihn sich die Grünen vorstellen, ist seinen Worten nach "utopisches Wunschdenken", weil die Batterien der Elektrofahrzeuge immer noch viel zu wenig Energie speichern, zu viel Platz und zu lange zum Aufladen brauchen. "Wenn Sie in zwei Minuten ihren Diesel betanken", so der Verkehrswissenschaftler in einem anschaulichen Vergleich dazu, dann "bräuchten Sie für ein Elektroauto drei große Windräder, um die Batterie in der gleichen Zeit zu laden" - und "keine Batterie hält derzeit derartig hohe Ladeströme aus." Auch die "Umweltbilanz des Elektroautos" und "insbesondere der Batterien" ist seinen Worten nach "durchaus nicht so brillant, wie es gern dargestellt wird" (vgl. Studie: Elektroautos in China umweltschädlicher als Benziner). Deshalb solle man weiter intensiv dazu forschen, aber nichts überstürzen.
Ein öffentlicher Nahverkehr, der beispielsweise in München wegen Überfüllung zu Stoßzeiten schon jetzt kaum mehr funktioniert und im ländlichen Raum extrem unwirtschaftlich wäre, ist Klingner Meinung nach ebenfalls keine Patentlösung. "Die in den 70iger Jahren vertretene Philosophie, ich muss den Verkehr nur ausreichend behindern, dann steigen alle auf Bus und Bahn um", hat sich seinem Eindruck nach "nirgendwo bewahrheitet", weshalb er für einen "vernünftigen Verkehrsmix" plädiert, der "ideologiefrei diskutiert werden" sollte.
Allerdings gibt sich der Fraunhoferinstitutsleiter eher pessimistisch, was die Chancen für eine Zustandekommen so einer ideologiefreien Diskussion betrifft. Angesicht der real existierenden Dieseldebatten, die teilweise von von Personen geführt werden, deren naturwissenschaftliche Kenntnisse nicht ausreichen, um zwischen Gasen und Festkörperpartikeln zu unterscheiden, ist dieser Pessimusmus wahrscheinlich auch realistisch. Die von ihm gestellte Frage, warum in der Dieseldebatte offen zutage liegende Wahrheiten und Illusionen so selten offen ausgesprochen werden, hängt möglicherweise auch mit Akteuren zusammen, deren Abmahngebaren die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem gestern erschienenen Artikel unter die Lupe genommen hat.